Kapitel 3

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Leere, schwarze Fenster, eingetretene Türen, Glassplitter. Ich lief durch den verlassenen Dorfteil. Nichts mehr erinnerte an die bunten Straßenfeste und langen Sommernächte, in denen ich und meine Freunde durch die Stadt gestreift waren. Alle Häuser waren leer und zurückgelassen. Zurückgelassen von all den Bewohnern, die das Dorf innerhalb der letzten zwei Monaten verlassen hatten.

Der Morgen war kalt gewesen und ich hatte mir einen dickeren Pulli anziehen müssen. Der Herbst kam und ich wusste, dass es anders sein würde. Das Dorf war verlassener und stiller als sonst.

Warnungen von den anderen Dörfern waren bis hierher gekommen, nichts war mehr sicher. Die anderen Dörfer waren auch nur noch verlassene Geisterstädte. Ich ließ die Häuser hinter mir und lief über eine Wiese. Foxy war schon vorrausgerannt und ich sah immer wieder seinen Rücken, wenn er über das Herbstgras sprang.

Die Wiese. Etwas in meinem Herz wollte wieder zurück, zu den alten Erinnerungen, als ich in das Dorf kam. Es war fast 5 Jahre her, aber trotzdem zogen sie mich immer weiter.

Die Sonne ging unter, aber die Kinder blieben sitzen. Keiner wollte den ersten Schritt gehen, keiner wollte alles als erstes hinter sich lassen. Sio saß etwas entfernt und hatte den Kopf gesenkt, sein Gesicht lag jetzt komplett im Schatten seiner Kapuze. Lex hatte die Beine angezogen und bemerkte die Blicke der anderen nicht. Sie starrte einfach nur ins Leere. Joy stand auf, setzte sich neben ihre beste Freundin und umarmte sie still. Mila schwieg und zerfetzte die Blätter, die vor ihr Lagen. Leo hatte sich abgewand und Liam hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Niemand sprach etwas. Sie waren ein Rudel gewesen, sie hatten sich Treue und Zusammenhalt geschworen. Jetzt ließen sie die Gemeinschaft hinter sich. Der Mond schimmerte und die Sonne verblasste, der Sommer verblasste und es blieben nur Erinnerungen.
                                         ***

Sio lehnte am Baum. Alle waren gegangen, niemand hatte etwas gesagt. Die letzten Worte, die gesprochen wurden, waren »Es tut mir leid«. Sio hatte sie ausgesprochen und sie hingen in der Luft, wie die Trauer. Niemand wischte sie weg, niemand überdeckte die Wahrheit. Es war vorbei. Sio zog weg, Leo und Mila mussten auf ein Internat, weg von hier und Liams Eltern hatten sich getrennt, er musste auch wegziehen. Als Sio das Rudel verlassen musste, war klar, dass es vorbei war. Sio war so etwas wie ihr Anführer. Niemand wusste, wie er hieß, er wurde einfach Sio genannt und obwohl er sehr zurückgezogen und alleine war, wollte niemand ein Rudel ohne ihn. Er wohnte nicht in Düsterwald, war aber fast immer am Baumhaus. Die Stille erdrückte Sio fast. Seine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen und er wartete. Er wusste nicht auf was, aber er stand einfach da, an den Baum gelehnt und beobachtete die Fahne des Rudels. Ein heulender Wolf. Ein einzelner Wolf. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Eine Gestalt kam. Lex. Er schloss die Augen »Ich... muss los« Die Sonne ging auf, Sio wusste, er musste gehen und seine Kindheit hinter sich lassen. Lex nickte. Sie war im Frühling gekommen. Er und seine Freunde hatten sie aufgenommen, hatten das Rudel gegründet. Sie hatten ihr geholfen, über ihre Trauer zu kommen und jetzt lief eine einzelne Träne über ihre Wange. Sie hatte es nicht verdient, das Rudel, ihre Freunde zu verlieren. Aber das war das Leben und es ging weiter. Sie waren 11 und hatten ihr ganzes Leben vor sich, aber ihre Kindheitsgruppe hatte sich aufgelöst. Würde vergessen werden. Stumm umarmten sie sich. Ihnen war klar, dass sie nie wieder zusammen durch den Wald rennen und in der Dämmerung auf Felsen klettern konnten. Der Mond verblasste und das Baumhaus lag verlassen da.

Verlassen. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Ich wandte mich ab und atmete tief durch. Das Rudel waren meine Freunde. Sie waren von Anfang an da und verstanden mich. Sie waren da, als ich Freunde brauchte. Sie waren einfach da, als meine Familie zerbrach. Zusammen hatten wir gelacht und geweint, jetzt war es vorbei. So lange her. Ich hatte keine Ahnung, was aus Leo, Liam, Sio und Mila geworden war. Zu viel Zeit war vergangen. Joy war die einzige, die noch da war und mit der ich reden konnte.

Ich gab mir einen Ruck und joggte den restlichen Weg zu Aline, meiner Kampfsportlehrerin. Sie lebte außerhalb des Dorfes, weil sie Ruhe und Platz brauchte, um irgendwelche Forschungsexperimente durchzuführen. Ihre Hütte war voll mit irgendwelchen selbstgebauten Maschinen und High-Tech Geräten.

                                   ***

Die Sonne ging unter und ließ die Bäume lange Schatten werfen. Ich setzte mich auf einen Felsen und lehnte meinen Kopf gegen einen Baum. Mein Atem ging schnell, das Training war anstrengend gewesen.

Ein Ast knackte und ich fuhr hoch. Zwei blaue Augen blickten mich an. Ich stand langsam auf. »Alexandra? Sorry, wollte dich nicht erschrecken.« Ich kannte ihn, das war der Sohn des neuen Bürgermeisters. Damian.

»Warum bist du hier?« Fragte ich abweisend. »Ist das dein Wald oder was?« Er warf mir einen herausfordernden Blick zu. Ich boxte ihm gegen die Schulter und wandte mich zum Gehen ab.

»Hey, Alexandra!« Er lief mir ein Stück hinterher. »Es wird gleich dunkel und... Es gibt hier Werwölfe.« Den letzten Teil flüsterte er, aber ich hörte ihn genau. »Aha.« Ich wusste, dass die Hälfte des Dorfes ihre Häuser verlassen hatten. Aber dachte der wirklich, ich hätte im Wald Angst von einem Werwolf getötet zu werden?

»Und jetzt? Hast du Angst alleine im Wald zu bleiben und fragst mich, ob ich dich raus begleiten kann?« Ich hob eine Augenbraue und lief weiter. »Nein. Also, ich habe mich verlaufen.« Er lächelte verlegen. »Komm.« Sagte ich, ohne mich umzudrehen. Foxy knurrte und lief voraus.

Ich lief schnell. Hatte keine Lust mit ihm zu reden. Ich kannte ihn kaum, aber irgendwie fühlte es sich an, als würde ich ihn seit Jahren kennen. Ich drehte mich um und er blickte mich fragend aus seinen leuchtend blauen Augen an.

Ich blieb stehen und zeigte auf einen Weg. »Der Weg geht aus dem Wald.« Ich wollte lieber noch ein wenig draußen bleiben. Damian nickte und lächelte mich kurz an »Dann... Danke.« Ich nickte nur. Wir blieben beide stehen und starrten uns nur in die Augen. Er lächelte noch einmal und ich wandte mich ab. 

Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt