Vorne an der Leinwand kann ich van Goghs "Sternennacht" sehen. Das Bild, das heutzutage jeder Hipster als Wallpaper oder als Poster in seinem Zimmer hat, denke ich mir. Ich finde es gar nicht so beeindruckend. Das ist zwar wahrscheinlich das Todesurteil für eine Kunststudentin in Amsterdam, aber was solls, es ist schlichtweg die Wahrheit.
"Frau Kaiser?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich lege mein Smartphone zur Seite und schaue auf, als plötzlich etwas warmes, nasses den Weg auf meine Jeans findet.
„Scheiße" rufe ich und springe auf. Einige Studenten lachen, andere verdrehen die Augen, Professor Smith schaut mir mit undurchdringlicher Miene in die Augen. Das heißt, er würde mir in die Augen schauen, wenn ich nicht auf meine Jeans schauen würde, in dem verzweifelten Versuch, mit ein paar Taschentüchern die größten Kaffeepfützen zu entfernen.
"Post-Impressionismus", höre ich eine Stimme neben mir flüstern. Ich habe keine Ahnung, was für eine Stimme das ist, geschweige denn, wem sie gehört. Etwas verwirrt blicke ich in die braunen Augen meiner Nebensitzerin. Shit, nicht einmal mehr ihr Name will mir in diesem Moment einfallen. Noch ganz damit beschäftigt, das Kaffee-Desaster unter Kontrolle zu bringen, stammele ich die Worte, die erneut an mein Ohr dringen, nach
"Po- äh, Post-Esspresso-, Express-, äh, wie auch immer." Wieder hört man leises Lachen im Raum.
"Impressionismus, Frau Kaiser. Der Post-Impressionismus. Von dem haben Sie schon einmal gehört, oder?" Ich presse die Lippen fest aufeinander um zu verhindern, dass weitere merkwürdige Wörter aus meinem Mund kommen, nicke Professor Smith kaum merklich zu und setze mich wieder auf meinen Stuhl. Die Beseitigung der Sauerei auf meiner Hose würde wohl die Waschmaschine zuhause übernehmen müssen, in aller Ruhe, ohne dass in etwa 150 Leute und ein Professor mit einer Ausstrahlung von weiteren 150 Leuten dabei zusehen würden.
"Ich hasse Kunstgeschichte", erkläre ich meiner Freundin Anni auf dem Weg in die Cafeteria.
"Esspressionismus? Ernsthaft Maila? Ich kann nicht mehr", lacht diese nur.
"Ja, ja, ich hab dich auch lieb Anni." Jetzt kann ich nicht mehr anders, als in ihr Lachen mit einzustimmen.
Wir holen uns unsere Donuts, wie wir es jeden Montagmorgen tun. Sie einen mit Zuckerguss, ich einen mit Schokoladenguss. Das ist unsere Art, uns selbst für eine neue Woche zu motivieren.
"Mhm, sag mal, hast du am Wochenende schon was vor?", fragt mich Anni zwischen zwei Bissen in ihren Donut.
"Ich muss Samstag wie immer im Café arbeiten, aber ansonsten, nope. Warum fragst du?"
"Meine WG will am Samstag eine kleine Party starten, so zur Einweihung. Also, die Wohnung ist zwar nicht neu, aber ich bin ja erst dieses Semester eingezogen, und Olivia auch", erklärt sie mir.
Anni hat mit dem Start des Semesters ihr kleines Wohnheimzimmer auf dem Campus verlassen und ist in eine WG in Amsterdam Noord gezogen. Und ich habe es in den letzten zwei Wochen noch nicht geschafft, mir ihr neues Zuhause einmal anzuschauen. Meistens sind wir nämlich bei mir, denn meine kleine Zweizimmerwohnung liegt nur wenige Meter vom Campus entfernt und wir können sie problemlos in einer Freistunde zu Fuß erreichen.
"Klaro, ich spreche am Mittwoch mit meiner Chefin ab, wann ich Samstag Feierabend habe, und dann könnt ihr definitiv mit mir rechnen. Ich will deine Mitbewohner unbedingt kennenlernen. Ich muss doch wissen, wer jetzt mit mir um die Zeit meiner besten Freundin wetteifert", scherze ich.
"Als könnte dir da irgendjemand die Stirn bieten", lacht Anni. Ach ja, meine Anni. Wir beide haben vorletzten Herbst angefangen an der Universiteit van Amsterdam zu studieren, sie Literatur, ich Kunst. Zwei Studiengänge, die so unfassbar zukunftsorientiert sind wie wir selbst. Im Ernst, ich kenne nur wenige Leute, die sich so wenig Gedanken um die Zukunft machen wie ich. Zu Schulzeiten hat das meine Familie ganz schön an ihre Grenzen gebracht, aber mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt. Immerhin bin ich nun an einer Universität eingeschrieben und mache etwas, was mir irgendwie Spaß macht. Darüber hinaus denke ich allerdings noch nicht. Und meine Freundin Anni ist eine der wenigen Personen, die da ganz ähnlich tickt. Vielleicht ist das nicht die beste Kombi, aber auf jeden Fall die lustigste.

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Und zwischen uns das Leben
RomansaAn der Universiteit van Amsterdam spielt sich der normale Wahnsinn des Studentenlebens ab. Hier lebt die chaotische Maila ganz im Hier und Jetzt. Unbeschwert lebt sie einen Alltag zwischen Uni, Job und neuen Freundschaften. Doch dann gibt es nicht...