Ist die Welt es eigentlich wert, für sie zu kämpfen ?

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In einen kleinen Laden im Erdgeschoss eines zum Teil eingestürzten Hochhauses flüchtete sich ein verlorener Soldat einer aufgeriebenen Einheit. Er schwitzte aus allen Poren, hatte Kratzer vom Schrapnell und Sand, der vom Sturm draußen herumgeschleudert wurde und alles zerschmirgelte, war bleich, mager und der Anblick des Todes unzähliger Genossen hatte seine Augen sich trüben lassen. Seine Uniform war durch den Staub beige gefärbt ebenso wie seine Frisur, die abrasiert und erst im Laufe des Krieges zurückgewachsen war. Nur knapp war er dem launischen Wetter entkommen, das zwar wohl die gesamte, weitläufige Stadt umbrauste aber die Kampftätigkeiten kaum mindern konnte. Sich umsehend, was für ein Raum ihn hier aufgenommen  hatte,  fand er sich in einem kleinen Lokal. Die stählernen Jalousien waren heruntergelassen und von innen mit  Brettern und Möbeln verstärkt worden. Andernfalls hätte man darauf zweifellos die Dellen von Kugeln entdeckt. Eine gläserne Lampe über der Bar, ein Deckenfluter und eine Unmenge kleiner Kerzenstummel erleuchteten den  provisorischen Schutzraum, der alles andere als verlassen war. Gut ein halbes Dutzend Familien hatte hier Zuflucht gefunden und das nicht zum ersten Mal, wie es schien, denn alle schwiegen in gefasstem Ertragen. Die Menge der auf Ihn gerichteten Augen verunsicherte den jungen Wehrpflichtigen, der lange nicht mehr so viele Zivilisten auf einmal gesehen hatte. Besonders der strenge und abwartende Blick eines Mannes hinter der Theke veranlasste ihn, verlegen die Augen zu senken. Die Zeit fühlte sich elend langsam vergehend an wärend nur das Geräusch des Windes die peinliche Stille durchbrach. Erst eine leichte Geste des Wirtes, der mit einer kurzen Kopfbewegung den Außenseiter einlud, sich zu setzen, erlöste sie alle aus  ihrer Starre. Die Bürger wendeten sich wieder sich selbst zu und der Soldat entledigte sich dankbar seines staubbedeckten Helmes, wobei er sein zufriedenes Lächeln nicht aufhalten konnte. Der immernoch strenge Blick des Wirtes jedoch konnte es. Ein Paar dicker, buschiger,  schwarzer Augenbrauen ließ ihn noch autoritärer erscheinen. Der Mund war vollkommen von einem ebenso buschigen und ebenso schwarzem Bart verdeckt, der die gesamte Oberlippe bedeckte. Darunter erstreckte sich ein erstaunlich Weißes Hemd unter einer abgenutzen, dunklen, ärmellosen Weste. Eine Frisur, die beinahe als "Glatze" treffend beschrieben wäre rundete das Bild ab.

"Mann, was für ein Sturm ! Habt Ihr vielleicht 'was zu trinken hier ?" Sofort bereuhte der Soldat, etwas gesagt zu haben, denn sofort fühlte er neben dem bohrenden Blick des Wirtes auch die der zahlreichen anderen Gäste auf sich ruhen. Verlegen biss er sich auf die Lippen und senkte den Kopf abermals. Immernoch schweigend wie ein massiver Betonwall setzte der Gastgeber seine Arme in Bewegung  und stellte ein großes Trinkglas vor den Burschen, dann füllte er es mit wasserhaft farblosem Limo. Die größtenteils entwichene Kohlensäure tat der wiederentfachten Freude des Kämpfers keinen Abbruch, der sich gerade noch zurückhielt, in die Runde zu prosten. Sein glückliches lächeln konnten selbst die Triste der Situation und der offenkundige Argwohn der ihn umgebenden Leute nicht schwächen. Dann verschwendete er auch keine Zeit, setzte eilig an und begann zu trinken. Der Zucker und das Gefühl, endlich auch wilkommen zu sein beflügelte Ihn, wobei auch seine knappe Rettung dazu beigetragen haben mag.

Doch ein weiteresmal wurde seine Ausgelassenheit jäh unterbrochen, denn ein kleines Mädchen in einem rosaroten Kleidchen und mit schwarzen Zöpfen fing beim Anblick des Maschienengewehrs zu weinen an und suchte bei seiner Mutter Schutz, welche sofort -aber schweigend- anfing, es zu beruhigen. Dem Soldaten nun war das von allem das peinlichste. "Hey Kleines ... du brauchst doch keine Angst zu haben. Ich bin einer von den Guten." Die Mutter feuerte unter ihrem Kopftuch einen giftigen Blick ab. Verzweifelt wendete sich der Soldat in die Runde, verkrampft lächelnd und nach Unterstützung suchend. Doch ihm antwortete nur wieder betretenes Schweigen und eine hochgezogene Augenbraue des Wirts. "Wir sind die Befreier."

"Jap", sagte der Wirt und nahm ein Glas hervor um es mit einem Tuch zu reinigen. Fassungslos versuchte der Soldat es noch einmal :"Was habt ihr denn alle ? Die Befreiungsarmee - wir kämpfen für euch ! ... Gegen die Unterdrückung, für die Freiheit ..." "Ach, ist das so ?" Der Wirt schüttelte kaum merklich den Kopf und hielt seine Augen fest aus das Glas gerichtet. "Was soll das heißen ? Natürlich ist das so ! Gegen den Terrorismus !"."So wie ich mich erinnere hat eure Befreiungsarmee die Regierung gestürzt." Der Wirt sprach ruhig und ließ seine Worte sehr beiläufig klingen. "Ja logisch ! Das Unrechtssystem musste doch abgesetzt werden um Platz für eine ordentliche Regierung zu machen." "So so." "Das war kein Coup D'êtat, das war notwendig" "M-hm" "Glaubst du mir etwa nicht ?" Der Soldat war zornig geworden. Dieser Zivilist, der keine Ahnung von Politik hatte, stellte seine Weltanschauung in Frage. "Doch. Wie könnte ich anders ?" die unter den Balken von Augenbrauen verdeckten Augen hatten sich vom Glas abgewendet und fixierten nun das Gewehr. "Bist du etwa gegen uns ?" "Natürlich nicht. Das sind doch Terroristen. Natürlich stehe ich auf der Seite freier Meinungsäußerung und Redefreiheit." Dem Soldaten blieb nichts übrig, als den Kopf zu senken und bei leisem, verzweifeltem Lachen ungläubig den Kopf zu schütteln. "Nein nein nein, so war das doch nicht gemeint  ..." Er blickte wieder zu seinem Gegenüber auf, das ihm in die Seele starren  zu schien und das Glaß und  Tuch ruhen ließ. "Wir kämpfen für das Gute, wirklich. Und wenn erstmal unser System aufgebaut ist, dann wird sich hier alles  ändern." "Daran zweifle ich nicht." "Ach komm schon ... ! Wir kämpfen für die Redefreiheit, für Gerechtigkeit , für  unsere Kultur ... !" "Schade um die Stadtbücherei, nicht ?" Dem Soldaten kahm sofort in den Sinn, was gemeint war : das Militär hatte in den ersten Wochen die Stadtbücherei und eine Reihe Museen in der Stadtmitte besetzt und geplündert. Die Schäden durch ein anschließend ausgebrochenes Feuer wurde vom Generalstab zwar als "bedauerlich" beschrieben, aber nie auch nur versucht zu ersetzen. Auch waren keine Anstrengungen unternommen worden, die Brandursache zu ermitteln. Dass das Geld der geplünderten Kunstgegenstände in  Waffen floss war ein offenes Geheimnis.

" Mh, stimmt ... aber - <<C'est la Guerre>> ... Im Krieg ist sowas eben manchmal notwendig."  Der Barkeeper machte sich nichtmal die Mühe, darauf zu antworten. "Ich meine - unsere Feinde sind mindestens genausoschlimm. Sie haben Schulen und Krankenhäuser angegriffen !" "Nachdem IHR die Patienten und Schüler als Geiseln genommen habt !" "Wer war das ?!" Der Soldat sprang auf und suchte in der Menge nach dem frechen Zwischenrufer. Erst beim erschrockenen zurückweichen fiel ihm auf, dass er das Gewehr angelegt hatte und auf sie zielte. Schnell nahm er die Hand vom Auslöser und ließ es wieder locker über seine Schulter gehängt fallen. Das Starren um Ihn war nie unerträglicher gewesen. Obwohl es gut 36°C im Raum hatte fühlte es sich für den Soldaten an, als würde ein eisiger Windhauch durch ihn schnellen. "... Na gut ... schon klar ... wir haben einiges  auf dem Kerbholz ... Aber keiner kann mir sagen, dass wir schlimmer sind als die !" Der Wirt  war der einzige, der nicht zusammengezuckt war und vollkommen unberührt an seinem Platz stand. "Das ist also der Maßstab..." Erneut überkahm den Soldaten Entsetzen. Er wollte nichts lieber, als den Mann mit einem guten Argument in seine Schranken verweisen - hinter den Tresen verbannen, wo er hingehörte - aber ihm kahmen nun selbst Zweifel an seinen Ansichten. " ... aber ... Was sollten wir sonst tun ?" Immernoch stand er neben der Bar. Nun musste er nach dem Hocker tasten, um sich an etwas abstützen zu können. "Man ... muss doch für seine Ideen einstehen ... man muss das Gute verteidigen ... " Da sagte der Barkeeper, wieder vollkommen leidenschaftslos und beiläufig "Welches Gute gibt's denn da noch zu  retten ?"

Den Trähnen nahe, ohne Antworten und von seiner Gesellschaft gefürchtet und ausgestoßen nahm der Soldat seinen Helm und verließ den Unterschlupf. Lieber würde er sich durch den Sandsturm, den Kugelhagel und die Ruinenstadt kämpfen, ohne Fragen, einfach nur kämpfen. Die Sorge, den Krieg zu verlieren, war früher seine größte Sorge gewesen; nun war es die Angst, trotz eines Sieges nichts erreicht zu haben als tausende neuer Gräber.



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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 12, 2022 ⏰

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