(2) Gerüchte und Schuldgefühle

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Der Kuss zwischen Serena und Jerik sprach sich in den nächsten Wochen rum.

Gina und Liane beteuerten Serena zwar, sich nicht erinnern zu können, irgendjemandem von dem Kuss erzählt zu haben, aber trotzdem war es rausgekommen. Die Wahrheit kam schließlich immer raus.

Serena war nicht wütend auf Gina und Liane. Es war ja unter anderem auch ihr eigener Fehler. Sie hatte Jerik versprochen, den Kuss geheim zu halten, und dieses Versprechen hatte sie binnen weniger Minuten gebrochen.

Die Möglichkeit, dass jemand gelauscht hatte, als Serena ihnen von dem Kuss erzählt hatte, war nicht auszuschließen.

So oder so ging das Gerücht über den verbotenen Kuss herum. Nur leider war es kein Gerücht. Das rief sich Serena ständig in den Kopf. So sehr sie Gerüchte auch hasste, wünschte sie sich doch, dieses wäre eins. Es war offensichtlich, dass Jade von dem Kuss Wind gekriegt hatte.

»Als ich von der Toilette kam, hab ich gesehen, wie Jade Jerik ordentlich Eine gescheuert hat. Sie hat ihn ein ›untreues Arschloch‹ genannt«, hatte ihr Kyla erzählt.

Kyla hatte nicht an das Gerücht geglaubt und war der Meinung, Jade würde einfach übertreiben. Nachdem Serena ihr beteuerte, dass an dem Gerücht etwas dran war, brachte sie nur ein »Oh« hervor.

Als die Schulglocke läutete, ging Serena mit Liane zusammen zur Bushaltestelle. Erst im Bus wagte Serena es, den Mund aufzumachen.

»Wie, glaubst du, ist das mit dem Kuss rausgekommen?«, fragte sie mit gesengter Stimme. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn die restlichen Schüler redeten lauthals miteinander. Selbst wenn jemand versucht hätte zu lauschen, wäre das in dem Stimmengewirr untergegangen. Liane zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Ich jedenfalls habe nichts verraten. Vielleicht hat jemand dieses Gerücht erfunden und es hat sich zufällig als wahr herausgestellt«, vermutete Liane. Serena war nicht überzeugt. Wie gut musste eine Person raten, damit sich das auch noch zu einhundert Prozent als wahr herausstellte?

Dieser Gedanke schien auch Liane zu kommen, denn sie sagte: »Ist aber äußerst unwahrscheinlich.«

In den nächsten Tagen merkte Serena, in wie weit sich die »Gerüchte« auf Jerik und Jade auswirkten. Sie hatte Jerik einmal mit einer blutigen Nase und einem Abgebrochenen Zahn in der Schule gesehen. Auch wenn sie sich nicht sicher war, in wiefern das etwas mit dem Kuss zutun haben könnte.

Eines Tages in der dritten Maiwoche, als Serena mit der U-Bahn fuhr, merkte sie, wie Jade sie von ein paar Plätzen entfernt finster und hasserfüllt anfunkelte, ehe sie sich wieder ihrem Handy zuwandte.

Serenas Magen verkrampfte sich. Noch nie zuvor hatte sie sich so sehr von Schuldgefühlen übermannt gefühlt. Sie schienen Serena förmlich aufzufressen. Nicht schnell und gierig sondern langsam und jeden Bissen genießend.

Am darauf folgenden Samstag, als Liane und Gina bei Serena zu Besuch waren, erzählte sie ihnen von den Schuldgefühlen und den hasserfüllten Blicken seitens Jade.

»Ist doch klar, dass sie sauer ist. Schließlich hat ihr Freund sie mit dir betrogen«, sagte Gina, die neben Serena auf der Bettkante in ihrem Zimmer saß. Sie zeigte dabei keine Spur von irgendwelchen Emotionen.

»Glaubt ihr, ihre Beziehung ist endgültig zerstört? Ich meine, es ist nicht das erste mal, dass einer den anderen betrogen hat«, sagte Serena, die letzteres nur angefügt hatte, um sich irgendwie Hoffnungen zu machen. Vergebens.

»Mag sein, aber vielleicht war dieses Mal die Grenze überschritten«, meinte Liane, die sich ›Mit dir an meiner Seite‹ von Nicholas Sparks aus Serenas Bücherregal genommen hatte und dieses betrachtete.

»Ich sage immer: ›Das Leben ist kein Nicholas Sparks Roman‹. Erst recht keine Verfilmung. Ich meine, wie wahrscheinlich ist es, das Liam Hemsworth dich beim Volleyball anrempelt und sich dann unsterblich in dich verliebt, nachdem ihr zusammen ein Schildkrötennest vor Waschbären beschützt?«

»In meinen Träumen passiert das regelmäßig«, antwortete Gina mit leicht verträumter Stimme, woraufhin Liane ihr mit dem Buch auf den Kopf schlug.

»Autsch! Du weiß schon, dass das Hardcover ist, oder?«, beschwerte sich Gina, doch ihr Grinsen zeigte, dass sie nicht so wütend war, wie sie klang.

»Ich meine es ernst. Was wenn ich ihre Beziehung zerstört habe?«, fragte Serena besorgt und wurde erneut von Schuldgefühlen überwältigt. Sie hatte nicht einmal irgendwelche romantischen Gefühle für Jerik. Eine Trennung würde ihr nichts bringen. Im Gegenteil. Jade wäre wahrscheinlich extremst zornig auf Serena und eine Feindschaft war das Letzte, was Serena wollte.

»Du brauchst dich hier gar nicht schuldig zu fühlen!«, sagte Liane und zeigte drohend mit dem Finger auf Serena. »Der Kerl hat seine Beziehung selbst zerstört, als er dich geküsst hat. Das ist nicht deine Schuld.«

»Aber ich hab den Kuss erwidert«, meinte Serena, doch dieses mal antwortete Gina.

»Das spielt hier keine Rolle. Er hat angefangen. Er hätte es besser wissen müssen«, sagte sie und war ihrer Haltung nach zu urteilen sehr von ihrer Aussage überzeugt. Serena wollte widersprechen, doch Liane schnitt ihr das Wort ab.

»Nein. Es reicht. Jerik ist Schuld, nicht du. Damit ist das Thema gegessen«, sagte sie stur. Liane ging auf Serenas Kommode zu und schaltete das kleine Radio darauf ein.

Hey! Hey! You! You!
I don't like your girlfriend

Ohne ein weiteres Wort schaltete sie das Radio wieder aus.

»Sag mal, hast du schon eine Idee, wie du deine Haare für den Abschlussball machen willst?«, versuchte Gina das Thema zu wechseln.

Kurz darauf war das Thema erneut beim Abschlussball. Schon bald hatte Serena ihre Schuldgefühle vergessen.

Als sie am Montag Morgen um kurz nach sieben zur Bushaltestelle ging, sah sie Jerik dort stehen. Er sah nervös aus. Nervöser als sonst, seit dem Kuss auf Georges Geburtstagsfeier. Als er sie sah, kam er auf sie zugerannt.

»Hey Ena. Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«, fragte er. Anhand seiner Stimmlage konnte Serena erkennen, dass es ihm wichtig sein musste. »Ich brauche deine Hilfe. Ich hatte eine Flasche Wodka dort drüben versteckt und ich finde sie nicht mehr.« Er deutete auf den Waldhain gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Serena schaute skeptisch dort hin. »Ist es sehr wichtig?«

»Ich weiß, es klingt dämlich, aber ich schulde ein paar Typen Geld und entweder ich gebe es ihnen bar oder in Form von Alkohol«, sagte er und in seiner Stimme lag schon fast ein flehender Unterton. »Bitte hilf mir beim Suchen. Die machen mich fertig, wenn ich mit leeren Händen ankomme.«

Serena sah eine Möglichkeit, sich irgendwie für den Kuss zu entschuldigen, der seine Beziehung zerstört hatte. Sie gab nach.

»Ich helfe dir. Aber ich hab nicht viel Zeit. Der Bus müsste gleich kommen«, sagte sie. Jerik bedankte sich und so überquerten sie die Straße.

»Ena! Der Bus kommt!«, rief Liane, die scheinbar gerade erst um die Ecke gebogen war. Ihrem schweren Atem nach zu urteilen, war sie gerannt. Es war nichts neues, dass sie ab und zu mal verschlief, weil sie die Schlummertaste gedrückt hatte. Jedenfalls hatte sie Recht, denn nur wenige Sekunden später kam der Bus um die Ecke und blieb an der Haltestelle stehen.

Jerik fluchte leise, aber trotzdem konnte Serena ihn verstehen. Beide rannten wieder über die Straße und stiegen in den Bus ein.

Serena ließ sich neben Liane auf die Sitzbank fallen. Als diese fragte, was Serena mit Jerik am Waldrand gemacht habe, antwortete sie nur, sie wollte ihm helfen, etwas zu suchen. Liane beließ es dabei.

Serena schaute sich um. Zwei Reihen hinter saß Jerik, der mit gebissener Unterlippe auf seinem Handy tippte. Sicher hatte es etwas mit den Typen zu tun, denen er Geld schuldete.

Niedergeschlagen ließ sich Serena zurück auf den Sitz fallen. Da hatte sie einmal die Chance, sich irgendwie für den Kuss zu entschuldigen und sie wurde ihr genommen. Zu gerne hätte sie Jerik geholfen, nach der Wodkaflasche zu suchen.

Ein Kuss mit FolgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt