1

13 6 1
                                    

P A U L

Der Schweiß lief ihm nur so runter, er rollte sich von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Die Hitze war unerträglich und eine Mütze Schlaf war ihm verwehrt. Mit einem tiefen Seufzer erhob sich Paul von seinem Feldbett, woraufhin er auf die kleine Lampe, die in der Mitte des Zeltes hing blickte. Allerdings etwas zu lange, denn nun hatte er das Gefühl bunte Lichtpunkte vor den Augen zu sehen. Er brummte und seine Füße fanden sich in dem warmen Sand wieder. Nicht mal am Tag konnte der Soldat ein Nickerchen halten, weshalb er mit einem etwas grimmigen Gesichtsausdruck das Zelt verließ. Was Caroline wohl gerade tat? Sein Blick nahm von Sekunde zu Sekunde einen immer traurigeren Ausdruck an. Wie sehr er sie doch vermisste, die Blondine war die Liebe seines Lebens und doch waren sie sich gerade so fern.
„Ah, Paul. Kannst du doch nicht schlafen? Gut, dann hilf mir.", überrumpelte ihn Jeremy. Der Verlobte fühlte sich so leer als er ihm in die Augen blickte, er sah ihr so ähnlich. Paul nickte seinem Kumpel zu, woraufhin seine Hände direkt an die Griffe der Munitionskiste gingen und sie anhob, um sie vom Truck ins Lager zu tragen.
„Hat Caroline geschrieben?", erkundigte sich Paul, doch erntete nur ein Kopfschütteln. „Leider nicht..., sie wird sehr beschäftigt sein. Zuhause geht es drunter und drüber. Die Kriminalität hat ein ganz neues Maß angenommen, mein Freund. Sie wird dir zeitlich antworten. Vertrau mir. Und sonst hast du ja den allerbesten Freund den du je haben könntest. Mich.", grinste er und setzte eine Kiste ab.
„Sieht langsam knapp aus", stellte Paul mit zusammen gezogenen Augenbrauen fest. Jeremy nickte, als er seinen Blick durch das Lager schweifen ließ.
„16 Männer, 3 Ärzte und 30 Einwohner. Wenn der Konvoi nicht bald kommt, haben wir ein großes Problem", erläuterte der frisch gebackene Colonel. Die Sonne knallte und Pauls Lippen waren spröde, der Schweiß lief ihm nur so runter, während seine Kehle sich nach einem Schluck Wasser sehnte. Der Sand glänzte unter der Sonne und heizte sich auf, was die Menschen mit ihrem Schuhwerk kaum spürten. „HILFE! GENERAL!", hörte man dumpf, worauf Jeremy und Paul sich fragend umschauten. Ihr Blick fiel auf einen Soldaten der in der Ferne winkte. Neben ihm hing eine regungslose Silhouette.
„Ich dachte alle Nachtpatrouillen wären wieder da!", entfuhr Paul und ging mit schnellen Schritten den beiden entgegen, während er sich eine Waffe und einen Rucksack schnappte. Alle Patrouillen waren eigentlich zurückgekommen. Da war Paul sich sicher.
Etwa fünfzehn Meter vor den beiden scheinbaren Soldaten blieb Paul skeptisch stehen. Der Schweiß und die Hitze machten es ihm nicht gerade einfach, dazu noch der Durst und die Sehnsucht nach seiner Verlobten.
„Wie ist ihr Name?", rief der General und hielt seine Waffe fest, bereit jeden Moment das Feuer zu eröffnen.
„Ich, äh- Ich bin- AH", weiter kam er nicht. Paul versenkte eine Kugel geradewegs in seiner Schulter. Der Schuss hallte weit durch die sandige Landschaft. „Miserabel..", murmelte der General und verengte seine Augen zu Schlitzen. So eine schlecht vorbereitete Falle.
„Hände weg von der Waffe, sonst jage ich sie hier und jetzt in die Luft.", brummte er und richtete den Schaft der Waffe auf die mit Sprengstoff gefüllte Puppe, die einen verletzten Mann darstellen sollte. Paul schüttelte den Kopf. Es war nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch noch dumm. Wenn das Stroh unter dieser Sonne Feuer fing, hätte er sich und vielleicht viel mehr Leute in die Luft jagen können.
Der junge Mann zitterte, ließ jedoch nicht wie befohlen von der Waffe ab.
Paul seufzte und drehte sich um. Es sah aus als würde er ihn dort liegen lassen und ihm seinem Schicksal überlassen. So war es auch, doch nach wenigen Schritten drehte er sich um. „Ich beschleunige das Ganze mein Freund", sagte er mehr zu sich selbst, als zu seinem Gegenüber und schoss in die Strohpuppe. Es trat das ein was Paul vorausgesehen hatte. Eine riesige Flamme stieß hervor, gefolgt von einem lauten Knall, der für weitere Sekunden noch durch die staubige Wüste echote. Paul wandte sich dem Lager zu und wusste nicht was er dort sah. Es brannte. Vor wenigen Sekunden stand es noch da. Die Augen des Brünetten weiteten sich, seine Kehle kratzte, sein Brustkorb zog sich zusammen. Was war geschehen?
Er rannte so schnell wie er konnte ins Lager, wo er Jeremy mit zwei weiteren Soldaten vorfand, welche verzweifelt versuchten die Flammen zu löschen. Überall lagen Tote. Gequälte Schreie verbunden mit dem Geruch von verbrannter Asche erfüllten die Luft. Kinder hielten die Hand ihrer reglosen Mütter, während andere ihre verbrannten Kinder im Arm hielten. Soldaten lagen schwer verwundet auf dem Boden. Es war schrecklich. Blut. Überall war Blut.
„Was ist passiert?", zischte Paul und sah schockiert zu den anderen.
„Sie haben versucht sich gegenseitig zu beschützen, als die Penner uns einen Sprengsatz rein gejagt haben! Es war eine Falle in einer Falle. Die wollten vermutlich nur die Bewohner ins Jenseits befördern, damit wir abziehen. Tja, jetzt haben wir noch drei von ihnen hier. Die kannst du dir gleich mal vornehmen.", entgegnete Jeremy aufgebracht. Die Röte stieg ihm ins Gesicht und die Wut konnte man deutlich spüren. Er war wie sie. Aufopferungsvoll und nach Gerechtigkeit strebend. Er nickte nur und sah wie ein Arzt gerade jemanden ins Zelt trug und dort versorgte. Er folgte ihr ins Zelt „Sarah? Kann ic-" „Klappe! Gib Sie die verdammte Salzlösung rüber!", unterbrach sie Paul barsch. Paul tat wie ihm befohlen wurde und schaute besorgt auf den Verwundeten. Das Blut war überall, ihn hatte es wohl ganz schlimm getroffen. Seine Atmung war unregelmäßig und schwach. Der würde nie durchkommen. Das war Paul bewusst.
„Sarah.. er-"
„Halten Sie die Klappe! Er hat mich und ein Kind beschützt. Ich lasse ihn nicht ohne weiteres Sterben!", brüllte sie und war den Tränen nahe. Arme Sarah, sie wollte ihn echt retten, doch auch sie wusste das er sterben würde. Der Verletzte packte Sarahs Arm, als sie ihn weiter behandeln wollte. Er nickte einfach nur stumm, worauf Sarah anfing zu zittern, gefolgt von einem bitterlichen Weinen. Paul nahm sie in den Arm und der Mann schloss mit seinem letzten gequälten Atemzug die Augen.
„Shhhh.. alles wird gut", flüsterte er, während er ihren Rücken sanft streichelte. Die Kollegen verweilten vielleicht 10 Minuten so. Die Luft war drückend, die Atmosphäre unangenehm und dennoch tröstete Paul die kleine Ärztin, bis sie sich löste und ernst schaute.
„Wir müssen den anderen helfen!", sagte sie und zischte schon mit einer Tasche an ihm vorbei. Er verließ ebenfalls das Zelt, doch er hingegen wandte sich den Bewohnern zu, die gerade in besserer Verfassung waren.
„Ich bitte Sie! Beruhigen Sie sich. Ist hier noch irgendjemand verletzt?", rief Paul in die kleine Gruppe aus vielleicht elf Personen.
Eine Frau trat mit einem Jungen, vermutlich ihr Sohn, auf dem Arm vor, ihr Blick war verzweifelt, denn Blut quoll aus seinem Oberschenkel und er selbst war bewusstlos. Viele Schrammen und Kratzer zeichneten sich auf dem kleinen Körper ab.
„E-er hat mic-mich b-be-beschützt", schluchzte die junge Dame und legte den Jungen in seine Arme. Der General nickte ihr zuversichtlich zu und verschwand mit ihm im Zelt. Kurz darauf hörte man, wie sie in Tränen ausbrach und ihre Angst und Verzweiflung aus sich herausschrie.
„Tony! Hier ein Junge!", rief der Brünette der anderen jungen Ärztin zu. Diese hatte gerade erneut einen Todeszeitpunkt festhalten müssen und wandte sich zu dem verletzten Jungen. Sorgenfalten legten sich auf ihre kleine Stirn, welche leicht glänzte.
„Er hat seine Mutter beschützt...", murmelte Paul, doch die junge Frau ließ sich nicht ablenken. Tony ging ihrem Beruf nach und versorgte den Jungen so gut wie konnte. Mit einem Tuch und einer kleinen Ampulle tupfte sie die Wunde zunächst ab.
„Legen Sie ihn hin und drücken Sie das drauf", befahl sie und verschwand kurz im hinteren Teil des Zeltes. Man hörte Geklapper und Gefluche, Tony schien etwas zu suchen. Zähneknirschend kam die junge Ärztin zurück und kümmerte sich um den Verletzten.
Sie begutachtete die Wunde genau und schüttelte frustriert den Kopf. Sorge und Frust zeichneten sich deutlich in ihrem Gesicht ab, Dreck befleckte ihr Gesicht und Schweißperlen auf ihrer Stirn glänzten im Licht.
Der Junge regte sich langsam, worauf er mir direkt in die Augen blickte.
Er schien nicht sofort zu bemerken wie ihm geschah und im nächsten Moment begann er zu schmerzerfüllt zu schreien. Was war nur los? Selbst nach all den Jahren als General bei der US- Army verstand er noch immer nicht, wie die Menschen zu so etwas imstande waren. Paul schluckte. Es war so als könne er den Schmerz des Jungen spüren und die Angst zu sterben in ihm erkennen. Der Beschützer der Frau schlug nun wild um sich, gefolgt von Geschrei und Tränen. „Halten Sie ihn! Los!", brüllte Tony schon fast dem General zu und er tat wie ihm befohlen. Er drückte den Jungen an den Schultern auf die Liege, sein Blick direkt auf seine Augen gerichtet, die Angst, Wut und Schmerz zeigten.
Tony hantierte weiter an der Wunde, zugleich fluchte sie, worauf der Kleine sich unter Pauls Händen vor Schmerz windete. Der junge Mann biss sich auf die Lippe. Wie konnte man nur so grausam sein? Leere breitete sich in seinem Brustkorb aus. Er wollte den Jungen retten. Es durfte einfach nicht sein, dass ein kleiner Junge seine Mutter beschützten muss, dass ein Kind so leiden muss, dass ein Kind vielleicht sterben muss und das nur, weil andere Menschen machtgierig sind. Gierig nach Macht und Besitz.
Der Junge wurde immer ruhiger, seine Augen blickten in Pauls Gesicht.
„Werde ich sterben?", hauchte er, den Tränen nah.
Pauls Blick schweifte zu Tony.
„Nein, du wirst nicht sterben. Das lasse ich nicht zu", antwortete Tony für den General. Der Junge nickte, worauf Paul von ihm abließ.
Er ging ums Bett und wandte sich leise, kaum hörbar, an Tony: „Wird er sterben?".
Sie biss sich auf die Zunge, die Ärztin wollte es nicht aussprechen, doch es war eindeutig. Ihre trockene Kehle kratze, kein Ton kam heraus, als sie zum Sprechen ansetzten wollte.
Pauls Herz schlug fest, er erkannte diesen Blick, doch er wollte es aus ihrem Mund hören.
„Kann ich was für den Kleinen tun? Kann ich helfen?", erkundigte er sich vorsichtig.
„Halte seine Hand", mehr kam nicht. Sie saß da und biss auf ihrer Unterlippe rum, ihre Augen starr auf die Wunde und das immer weiter laufende Blut gerichtet.
Sie drückte weiter auf das Bein, um die Blutung irgendwie stoppen zu können, doch sie wusste, dass der Junge keine guten Chancen hatte. Die Vorräte waren leer und die Reste wurden durch die Explosion zerstört. Es gab keine Verbände mehr. Alles war leer und somit auch die Überlebenschance des Jungen, denn seine Arterie war angeschnitten worden. Es war eigentlich sicher.
„Lasst mich zu meinem Jungen!", ertönte es schrill und die Mutter kam tränenüberströmt ins Zelt. Sie hielt die Hand zitternd vor ihren Mund, als sie ihren Sohn erblickte.
Pauls Brust lag schwer und die Leere wurde immer größer. Sein Hals war trocken und bei dem verzweifelten Anblick der Mutter wurde er traurig.
„Ma-ma..", keuchte der Junge und Paul musste den Blick abwenden. Es war zu viel. Er beobachtete heute den zweiten unschuldigen Menschen beim Sterben.
„Mein Junge!", schluchzte die Mutter und schloss den Jungen in ihre Arme.
Wie konnten Ärzte sowas aushalten? Pauls Blick fiel auf Tony, sie hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Paul hatte sie noch nie weinen gesehen, Tony ging zuvor immer verhältnismäßig locker mit solchen Situationen um, doch jetzt hatte sie Tränen in den Augen.
Allein die Vorstellung, dass sein eigener Sohn in seinen Armen sterben würde, schnürte Paul die Kehle zu. Es war ganz ruhig im Zelt, man vernahm nur etwas gedämpften Lärm von draußen und das leise Schluchzen der Mutter.
Der Junge schloss ein letztes Mal seine Augen keuchte.
„Alles wird gut. Ich hab dich doch lieb...Mama".

OutlawWo Geschichten leben. Entdecke jetzt