Kapitel 13

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Tyara klappte das rätselhafte Buch zu und legte es neben ihren Arm auf den Tisch. Jano richtete sich ein wenig auf. Rian kam herbei und setzte sich an den Tisch. Meisterin Dorya blieb vor Tyaras Bank stehen. Die vier erschöpften Schüler, die ihr gefolgt waren, bildeten einen Halbkreis um die Meisterin.

Meisterin Dorya legte ihre Hände auf die Schulter des Mädchens links von ihr und den Jungen rechts. Das kleine, blonde Mädchen spähte die Meisterin ein wenig ängstlich von der Seite an. "Hört mir alle gut zu!", befahl ihre Mentorin. "Ihr habt es alle aus dem Labyrinth geschafft. Ihr werdet euch folglich einigen weiteren Prüfungen unterziehen müssen."

Tyara ließ ihren Blick über die Runde schweifen. Direkt neben ihr stand ein älteres, sehr dünnes Mädchen. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Knoten zusammen gebunden. Mit zusammengekniffenen Augen und vor der Brust verschränkten Armen hörte sie zu, wobei sich ihre Miene nur noch weiter verdüsterte.

Neben ihr stand das kleine, strohblonde Mädchen. Ihre Augen glänzten feucht. Tyara verspürte warmes Mitgefühl. Sie wusste nur zu gut, wie es ihr ging. Wie hieß sie noch? Enni? Nein, Eny. Meisterin Dorya blickte die Schüler eindringlich an.

"Ist das gefährlich?", fragte Eny mit bebender Stimme. Meisterin Dorya seufzte. "Ja. Euer Können wir geprüft. Wir müssen die besten von euch finden. Ihr Blick traf den von Tyara. "Aber es ist so sicher wie möglich." Eny war keinesfalls beruhigt. Der Junge neben Meisterin Dorya blickte ebenso grimmig drein wie die Blonde.

Ein Mädchen mit roten Locken vervollständigte den Halbkreis. Ihre Locken standen ihr wild ab, als würden sich ihre Haare demonstrativ gegen die Idee, eine Prüfung zu bestehen, sträuben.

"Ich weiß noch nicht genau, wie eure nächste Prüfung aussieht", fügte Meisterin Dorya hinzu. "Sicher ist nur, dass euer Mut und eure Überlebenskünste auf die Probe gestellt werden. Ihr müsst eure Grenzen überwinden. Mehr wird euch gleich der Burgherr sagen."

Meisterin Dorya beugte sich zurück und trat zur Seite. Die Türen der Bibliothek flogen erneut auf. Ein stämmiger Mann in einem tiefroten Mantel mit gespaltener Schleppe und goldenen Ringen an den Fingern schritt herein. Er hatte sein Kinn erhoben. Ganz offensichtlich war er sich sicher, dass er hier die alleinige Macht hatte, was auch der Fall war.

Tyara setzte sich gerader hin. Der Halbkreis teilte sich. Der Burgherr blieb in der neu entstandenen Lücke stehen. Er faltete die Hände vor dem Bauch.

"Guten Tag." Seine Stimme klang eisern. "Morgen findet eure zweite Prüfung statt. Ihr werdet euch um vier vor der Burg versammeln. Dann werdet ihr in den Wald geführt." Eny stieß scharf die Luft aus. "Ihr werdet die Nacht im Wald verbringen", sprach der Burgherr ungerührt weiter. "Zweiergruppen sind erlaubt, aber nicht mehr."

Er nickte, drehte sich um und ging davon. Die weinrote Schleppe, schleifte geräuschvoll über den Boden. Die schweren Holztüren schlugen hinter dem Burgherrn zu. Stille breitete sich aus.

Tyara sah sich zu ihren Mitschülern um. In deren Gesichtern spiegelte sich das selbe Unbehagen. Meisterin Dorya winkte Jano, der hinter dem Tisch saß, zum Aufstehen. "Kommt! Ihr müsst gegen."

Tyara stand auf. Sie ließ das rätselhafte Buch vom Tisch gleiten und versteckte es hinter ihrem Rücken. Meisterin Dorya sah sie mit strengem Blick an. "Das muss hier bleiben." Sie nahm Tyara das Buch ab und legte es auf einen Tresen gegenüber. "Bibliothekar" stand in goldenen Buchstaben darauf geschrieben, obwohl niemand dahinter saß.

Die Meisterin schob sie durch die Tür. Die Gänge waren Irrwegen gleich. Einer führte nach rechts, einer nach vorn und einer nach links. Meisterin Dorya führte sie geradeaus. Der Gang war mit einem rotem Teppich ausgelegt. Dieser war mit goldenen Verzierungen bedeckt. Drachen. Wilde Ranken. Andere Tiere.

Jano stieß gegen Tyara. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Ungeschickt wich sie einer steinernen Ritterstatue aus. Sie bogen nach rechts, dann nach links ab. Sie folgten an der nächsten Kreuzung dem Weg und bogen ein letztes Mal nach links.

Das Tor ließ schwaches Sonnenlicht herein. Meisterin Dorya verabschiedete sich von der Gruppe. Es würde also erst morgen mit den Prüfungen weitergehen. Als Tyara nach draußen trat, fiel ihr zuerst auf, wie tief die Sonne stand. Es war schon fast Abend! Sie lief unter dem alten Kastanienbaum entlang und ließ die Burg hinter sich.

Während Tyara so durch die Straßen bummelte, dachte sie nach. Warum zogen der Burgherr und die Lehrer die Auswahl als Spiele auf? Würde es nicht schneller gehen, einfach ein paar Leute loszuschicken? Und wie konnte sie an das Buch kommen? Tyara wusste nicht warum, aber ein Gefühl tief in ihrem Innern drängte sie dazu es zu holen.

Vielleicht wiegte der Burgherr alle mit den Spielen in Ruhe und Sicherheit. Zweifellos musste er einen Panikausbruch verhindern. So konnte er den Bürgern zeigen, dass sie etwas taten. Brot und Spiele. Das würde die Menge auf Trapp halten. Bedauerlicherweise gehörte Tyara diesmal nicht zur Menge. Sie würde sich Aufgaben unterziehen müssen. Ihre guten Schulnoten würden ihr da auch nicht helfen.

Die Aufgaben hatten den Zweck die Besten der Besten zu bestimmten, ging Tyara auf. Und Tyara hoffte, dass sie nicht dazu zählte.
Da fiel es ihr ein. Sie musste noch einen ganzen Aufsatz über den Krieg schreiben! Unwillkürlich stöhnte sie.

In diesem Moment bemerkte Tyara, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Die quietschende Holztür durchbrach die gespenstische Stille in der Hütte. Sie ging zum Küchentisch, einem klapprigen Holzgestell, schnappte sich einen Apfel und ging in ihr bescheidenes Reich. Ihr Zimmer hätte als Abstellkammer durchgehen können, wenn sie etwas zum Abstellen gehabt hätte.

Tyara ließ sich auf ihre Pritsche sinken. Jetzt würde sie ihren Aufsatz schreiben. Aber heute Nacht, heute Nacht würde sie in die Burgbibliothek einbrechen und das Buch an sich nehmen. Sie konnte nicht anders. Sie wusste nicht wieso, aber sie brauchte dieses Buch einfach. Ein inneres Gefühl befahl ihr es an sich zu nehmen. Sie konnte nichts dagegen tun.

Die Legende der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt