Kapitel 1

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Maysie POV

Mit müden Augen beobachte ich die verschwommenen Häuser und Autos durch die getönte Scheibe. Wir waren bis drei Uhr heute Morgen unterwegs, wodurch ich nur drei Stunden in einem Hotelzimmer geschlafen hatte.

Ich konnte noch nie gut im Flieger oder Auto schlafen und so hänge ich jetzt eher tot als lebendig auf der Rückbank neben meinem Dad. Mein Kopf liegt an der kühlen Fensterscheibe und eine Sträne meines schulterlangen, hellbraunen Haares hängt nervend in mein Gesicht.

Als ich klein war, hatte ich blonde Haare aber entweder hatten meine Haare dann keinen Bock mehr auf blond, oder irgendjemand färbt mir täglich meine Haare und ich merke das nicht. Verwirrt schüttel ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Ich brauche dringend Schlaf.

Das Auto wird langsamer und ich kann sehen, dass wir auf einen Parkplatz vor einem hässlichen Gebäude fahren. Ich meine hässlich im Sinne von 'unvorstellbar, dass sich hier irgendjemand wohl fühlen kann'.

Morgen wird es auf diesem Parkplatz nur so von Schülern wimmeln aber jetzt ist er einfach nur eine menschenleere Asphaltfläche. Unser Chauffeur parkt direkt vor der großen Glastür und steigt aus, um uns die Tür zu öffnen.

"Denken die, dass ihnen die Schule explodiert, wenn sie auch nur einen Baum pflanzen?", frage ich mich, während ich meine Sonnenbrille aufsetze. Vielleicht hoffen sie ja auch nur, einen Preis für die hässlichste Schule des Landes zu bekommen. Ich steige hinter meinem Vater aus dem Auto und folge ihm und seinem Bodyguard Kás in die Eingangshalle.

Und schonwieder eine neue Schule .... yay.

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Als Kás die Tür zum Sekretariat öffnet, schaut ein älterer Herr irritiert auf. Es ist offensichtlich, dass er gerade dabei war zu gehen und eigentlich niemand mehr kommen sollte. "Sie sind zu spät .... das Sekretariat hat schon geschlossen!", sagt er, nachdem er sich gesammelt hat. "Wir konnten leider nicht früher kommen. Währen Sie so freundlich und richten Sie Mme Bleupied aus, dass Mr Manier da ist?"

Der Sekretär zögert, verlässt dann aber den Raum und lässt uns vor dem Tresen zurück.
Ich bin gerade mit dem Mustern der Tapete beschäftigt, als er zurückkommt und und uns informiert, dass Mme Bleupied uns in ihrem Büro erwartet.

Das Büro ist sehr einladend gestaltet. Wobei eigentlich die ganze Schule, oder der Teil, den ich bis jetzt gesehen habe, von innen einladender ist als von außen. Welche Architekten haben sich bitte den Mist ausgedacht?

Mein Vater hat sich schon in einen der Sessel gesetzt und Kás steht wie ein lebender Schrank neben der Tür. Ich seufze und lasse mich in den anderen Sessel gleiten. "Boah, ist der bequem .... bitte lass die auch in den Klassenzimmern stehen! Oder wenigstens Bibliothek, damit ich nicht die ganze Zeit zur Direktorin gehen muss ...."

Jemand räuspert sich und ich blicke auf. Mme Bleupied ist eine vergleichsweise junge Frau und ich bin mir sicher, dass sie oft kämpfen muss, um etwas durchzusetzen.
"Guten Tag, Mr Manier" sie nickt Dad zu "und Ms Rem" ihr Blick liegt auf mir. Dad und ich nicken und sie fährt fort "es wurde das Meiste ja schon telefonisch geklärt. Ich brauche sie also nurnoch für einige Unterschriften" während sie das sagt, bringt sie einen Stapel Formulare zu Tage. Ich würde am liebsten aufstöhnen, kann mich aber noch zurückhalten.

Mein Vater füllt schon seit fünf Minuten schweigend Formulare aus, nur ab und zu wird die Stille unterbrochen wenn er eine Frage hat. Plötzlich wendet sich Mme Bleupied an mich "auf welcher Schule warst du denn vorher?" Ich lächel und beginne in meinem Rucksack zu kramen während ich innerlich meinen Kopf gegen ihren eleganten Schreibtisch haue. Hätte sie mich nicht einfach weiter ignorieren können?

Endlich habe ich meinen Notizblock gefunden und angel mir einen Stift aus dem Stiftebecher vor mir.

Ich hatte letztes Jahr einen Privatlehrer.

Normalerweise schreibe ich in Stichpunkten, aber bei meiner neuen Direktorin mache ich mal eine Ausnahme. "Aha ... du redest also wirklich nicht?" Ich nicke und gebärde ich kann aber die Gebärdensprache woraufhin sie verwirrt schaut und sich an meinen Vater wendet. "Das heißt 'ich kann aber die Gebärdensprache'."

Ihr Blick huscht kurz zu mir und sie nickt, dann wendet sie sich wieder meinem Vater zu "Braucht sie einen Dolmetscher für den Unterricht?". "Nein. In der letzten Schule hat sie immer geschrieben und das hat ganz gut geklappt." Mme Bleupied mustert mich skeptisch, nickt dann aber und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.

Weitere drei Minuten vergehen schweigend, während Dad Zettel durchforstet. Schließlich tippe ich ihn am Arm wann können wir gehen? Ich bin müde er antwortet Gleich! und geht ein letztes Mal durch die Zettel. "Wäre das dann alles?", fragt Dad Mme Bleupied. "Ja. Die Bücher und ihren Stundenplan können Sie morgen früh vor dem Unterricht im Sekretariat abholen. Einen schönen Tag noch." Wir stehen auf, geben und noch die Hand und dann verlassen wir endlich das Büro.

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Wir sind wieder im Auto, auf dem Weg zum Hotel. Ich merke, wie meine Augen immer schwerer werden, als Dad das Wort ergreift "denkst du nicht, dass es jetzt Zeit wäre, wieder mit dem Sprechen anzufangen? Es ist jetzt schon drei Jahre her und mit der neuen Schule kannst du nochmal komplett neu anfangen. Wie willst du denn Freunde finden, wenn du nie redest?" Wenn sich die Leute keine Mühe machen, mit mir zu kommunizieren, interessiert es sie auch nicht, was ich zu sagen habe und gute Freunde wären sie dann auch nicht. Ich bin bis jetzt auch ganz gut klargekommen. Ich schaue ihn böse an, während ich wiederhole, was ich ihm fast Täglich zu verstehen gebe. Manche Menschen wollen einfach nicht verstehen ...

"Du musst ja auch nicht gleich mit allen reden. Es reicht mir auch, wenn du mit mir redest. Es muss ja keiner mitbekommen, weißt du, ich mache mir als dein Vater auch Sorgen um dich. Bitte." Ich seufze. Ich hatte schon öfter überlegt, bei ihm, meiner großen Schwester Sue oder besten Freundin Sanna eine Ausnahme zu machen, bin dann aber zu dem Schluss gekommen, dass das ziemlich bald dazu führen würde, dass ich mit allen wieder reden muss.

Entschlossen schüttel ich meinen Kopf Nein! und lege ihn an der Fensterscheibe ab. Für mich ist die Sache damit erledigt. Ich höre noch, wie Dad seufzt, aber er sagt nichts. Es tut mir wirklich leid, aber manche Probleme lassen sich nicht so einfach aus der Welt schaffen.

Unbewusst ist meine Hand zu meinem Hals gewandert und umschließt jetzt den kleinen Anhänger meiner Halskette. Eine Träne rollt meine Wange hinunter. Der Anhänger ist eine winzige, goldene Patrone.

Sie erinnert mich daran, wieso ich nicht mehr spreche.

silent howlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt