20. Dezember 2006 |7| + |Y|

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Das Leben könnte man mit einem Karussell vergleichen. Es dreht sich stehts und bleibt nur stehen, um Leute ein- oder aussteigen zu lassen. Nur bedenkt es dabei nicht, dass es manche dabei heraus wirft. Und teilweise einfach zu früh. Wie es bei Alice war. Und nun kehrt sie nicht zurück zu dem Freizeitpark, um erneut auf einem der Sitze Platz zu nehmen. Sie sitzt vor dem Tor und schaut uns beim fahren zu.

Und plötzlich kommt mir der Gedanke, dass Alice vielleicht grade in diesem Moment dabei zusieht, wie ich die CDs anstarre.

Und ich sitze erneut in meinem Zimmer, bereit, mir die Letzte - oder eher vorletzte CD anzuhören, die letzte Aufnahme ihrer Stimme, bevor sie beschloss, nie mehr das Wort zu ergreifen.

"Die letzte CD, in der es um jemanden geht, der mir geholfen hat, zu sterben. Aber wie sagt man so schön? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Auch wenn er dann die Wahrheit spricht. Danke Scott, du warst eine Bereicherung in meinem Leben."

Scott Hall. Ich weiß nicht, was sie an ihm gefunden hat, aber er hat ihr etwas angetan, dass unverzeihlich ist.

"Der Schein kann trügen, die letzte Hoffnung erlöschen und die beste Maske kann fallen. Du hast mich damals mies belogen, Scott. Alles fing an mit den Blicken, die du mir im Klassenzimmer zugeworfen hast, das hinterher laufen auf dem Heimweg und schließlich die Zettel, die du mir in den Rucksack gesteckt hast. Ich bekomme bald Flashbacks von Ethan... Nein, du warst besser als Ethan. Du warst ein guter Freund."

Ethan ist nicht mal einen Freund. Ethan ist ein Verräter.

"Aber was macht eigentlich ein guten Freund aus? Nachdem du mir diese Zettel in den Rucksack gesteckt hast, hast du auch angefangen, mit mir zu reden. Du hast mich jeden Tag gefragt, wie es mir geht und ob du mir helfen könntest. Es waren belanglose Sachen, wie zum Beispiel meinen Rucksack tragen oder meine Trinkflasche aufzufüllen. Und doch war ich froh: endlich jemand, der sich für mich interessierte. Aber irgendwie funktioniert es nie so, wie man es will - und das Leben macht auch nicht immer das, was es soll. Nein, das ist falsch. Das Leben macht was es soll, es macht nur nicht das, was wir wollen. Aber wenn es perfekt wäre, wäre es dann nicht langweilig?"

Vielleicht nicht langweilig, aber vielleicht wärst du dann noch am Leben, Alice.

"Und genauso war es auch bei mir. Mit diesen kleinen Gesten hast du mir den Tag versüßt. Du hast mir gezeigt, dass ich doch nicht so wertlos bin. Aber irgendetwas muss doch passiert sein, sonst würde ich mich jetzt nicht umbringen, oder? Ihr habt recht. Es ist wirklich etwas passiert."

Wer hätte das gedacht.

"Natürlich war es deine Schuld, Scott. Es war deine Schuld, nein, das ist nicht richtig. Es war euer allen Schuld, dass ich jetzt hier stehe, aber es war deine Schuld, dass ich meine letzte Hoffnung verlor. Und wie es dazu kam, erzähle ich euch jetzt."

Ich drehe mich zurück auf den Rücken, starre an die Decke und überlege, warum wir alle Alice so wehgetan haben. Was war der Grund unserer Handlungen?

"Stellt euch vor, jemand hält ein Glas in der Hand, was würdet ihr tun, wenn er das Glas fallen lässt? Würdet ihr versuchen es schnell aufzufangen, oder würdet ihr es einfach zu Boden krachen lassen, um am Ende die Scherben liegen zu lassen? Oder würdet ihr es runterfallen lassen, aber am Ende die Scherben aufkehren? Ich persönlich hasse ja die zweite Gruppe. Er versucht gar nicht erst jemanden zu helfen, sondern lasst ihn einfach stehen. Wie wäre mit der ersten Gruppe? Das sind die Menschen, die zu jedem sofort hingehen und versuchen ihm zu helfen. Wo sind diese Menschen geblieben? Ich glaube am zahlreichsten existiert heute noch die dritte Gruppe. Die Menschen die nichts tun, doch im Nachhinein alles bereuen. Lass mich raten, ihr gehört dazu."

Remaining Reveals | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt