02 | elektrisiert

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Wenig später stand ich mit Louis am Meer. Das Wasser schwappte in sanften Wellengängen über unsere Knöchel und danach wieder zurück in die Unendlichkeit des Ozeans. "Willst du noch mal zu den anderen rein?" Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Louis mich neugierig musterte, doch ich hielt meinem Blick nach vorne stand. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, "ich weiß nicht. Also prinzipiell schon, aber ich will die zwei nicht stören oder so." - "Würdest du dir weniger störend vorkommen, wenn ich mitkomme?"

Diesmal schaute ich zu ihm. Er hatte die Hände in den Seitentaschen seiner Badehose vergraben und seine Mundwinkel zu einem breiten Lächeln gezogen. Er war einer der wenigen Menschen, die in fast jeder Situation andere vor sich selbst an die erste Stelle setzten. Jemanden wie ihn fand man nicht so einfach wie den Sand am Meer. Ich hatte wirklich Glück, Louis kennengelernt zu haben, und es war traurig, dass ich Momente wie diese brauchte, um das zu realisieren.

"Ich ... also ...", hob ich an, verlor mich aber sofort wieder in meinem Gedankenchaos. Flüchtig fuhr ich mir durch die Haare, "ich meine, du hast dich ja auch eben erst gedu-" Ich brach erneut ab, als Louis plötzlich und ohne Vorwarnung beide Arme ausstreckte, einen Sprung nach vorne machte und ins Wasser tauchte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein Shirt auszuziehen. Wortlos verfolgte ich seinen Schatten, der durch den Wellengang völlig verzerrt wirkte.

Louis tauchte ein paar Längen von mir entfernt auf und schüttelte sich die durchnässten Haare aus dem Gesicht. Durch das triefende Wasser wirkten sie fast so dunkel wie sein Oberteil, das nun an seinem Oberkörper klebte. Ein herausforderndes Grinsen lief über seine glänzenden Lippen. "Wir können duschen, wann und wie oft wir wollen. Verdammt, wir sind am Leben, Harry. Genau jetzt, genau hier. Also lass uns keinen einzigen Moment davon verschwenden", rief er zu mir herüber. Seine Worte waren bis zur letzten Silbe mit immenser Energie geladen und elektrisierten mich sofort.

Mit jedem Schritt begann das Wasser, meine Badehose und die Ärmel meines halboffenen Hemdes mehr und mehr zu durchtränken. Der nasse Stoff fühlte sich unheimlich schwer an, doch das störte mich nicht. Irgendwie mochte ich es sogar. Ich mochte es, all die Steinchen unter meinen Fersen und zwischen meinen Zehen zu spüren. Die Sonnenstrahlen, die mein Gesicht kitzelten. Nach all den Konzerten und den Aftershowpartys hatte ich beinahe vergessen, wie wertvoll solche Kleinigkeiten eigentlich waren.

Ich schaute wieder zurück zu Louis, aber der stand nicht mehr dort, wo er eben noch gewesen war. Mein Puls raste, der Sauerstoff wurde knapp. "Louis?", schrie ich meine Lunge wund, wobei meine Stimme inmitten des Wortes brach. Es kam keine Antwort. Irritiert wandte ich mich nach ihm um, doch es fiel mir schwer, in meiner Panik überhaupt irgendetwas zu erkennen. Ich rief ihn ein zweites Mal. Und ein drittes und ein viertes Mal.

Keine Sekunde später spürte ich, wie sich Arme um meinen Bauch schlangen und mich daraufhin mit sich unter Wasser rissen. Machtlos streckte ich ein Hand über die Meeresoberfläche, doch die wurde vom Gewicht ebenso mitgezogen. Währenddessen sich das Wasser in meine Kleidung sog und mich weiter gegen den Meeresboden drückte, tastete ich den Körper vor mir ab. Meine Finger strichen über den feinen Stoff meines Baumwollshirts und über nackte, weiche Haut. Diese Berührungen kamen mir unglaublich vertraut vor. Der Schock in mir ließ nach und ich versuchte, meine Lider zu öffnen.

Das Meersalz brannte in meinen Augen, doch ich gab mein Bestes, sie so lang wie möglich offenzuhalten. Über mir glitzerten die Sonnenstrahlen auf der Meeresoberfläche und zwischen uns stiegen unzählige, weiße Bläschen auf.

Uns.

Mein Blick traf auf den von Louis, der mich belustigt angrinste, während er allmählich von mir abließ. Seine Hände rutschen von meinem Rücken ab, die Strömung trieb ihn ein Stück weg. Aber das fiel mir gar nicht erst auf. Dafür hatte ich mich viel zu sehr in seinen Augen verloren, die noch blauer und tiefer zu sein schienen wie das Meer um uns herum.

Nur, dass ich in ihnen ertrinken konnte, ohne dabei zu sterben.

reverie | 𝐥𝐚𝐫𝐫𝐲 𝐬𝐭𝐲𝐥𝐢𝐧𝐬𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt