04 | was wäre, wenn?

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Vereinzelte Wassertropfen mischten sich in das Meer, als ich mein völlig durchtränktes Hemd auswand. Abermals lockerte ich meinen Griff, nur um beide Ärmel wieder fest in meine Hände zu schließen und mit aller Kraft in die entgegengesetzte Richtung zu dehnen. Jede einzelne dieser Bewegungen fiel mir mit jedem Mal schwerer. Schließlich prallte die Mittagssonne direkt auf meinen nackten Rücken und mein Körper war vom Schwimmen und Tauchen restlos ausgelaugt.

"Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?"

Ich hob den Kopf an und schaute direkt in Gemmas Augen. Sie hatte sich bereits ihr weißes Strandkleid übergezogen und ihre Haare mit einem breiten Haarband zu einem unordentlichen Dutt gebunden. Ihre Finger strichen sanft über meinen Oberarm bis hin zu dem Hemd zwischen meinen Händen. "Kann ich?", fragte sie, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Ich gab ein zaghaftes Nicken von mir.

Währenddessen Gemma sich neben mich in den Sand fielen ließ und das Hemd sorgfältig vor sich ausbreitete, glitten meine Augen wieder die Meeresoberfläche entlang. Hinter uns hörte ich Louis und Gemmas Freund miteinander lachen. Worüber sie redeten, konnte ich nicht verstehen, doch das ging mich auch gar nichts an. Dennoch fiel es mir schwer, mich auf irgendetwas Anderes zu konzentrieren. Von all den Geräuschen um uns herum - den Möwen, den Wellen bis hin zum Rascheln der Palmblätter im Wind - war alles, was ich heraushörte, einzig und allein Louis' Stimme.

Kurzerhand fuhr ich mir mit beiden Handflächen mein Gesicht entlang und ließ diese daraufhin für eine Weile an meinen Schläfen ruhen. In diesem Moment musste ich unglaublich miserabel aussehen, doch das störte mich nicht. Das Einzige, was ich wollte, war die Welle an Gedanken, die Louis über mich hereingebrochen hatte, als er mich mit sich ins Wasser gezogen hatte, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Selbst beim Gespräch mit Gemma hatte ich das nicht geschafft, denn als sie uns gefragt hatte, warum wir uns miteinander gestritten hatten, war alles, was ich herausbekommen hatte, ein knappes Schon gut gewesen.

Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Der heutige Nachmittag hatte mein Selbstempfinden komplett durcheinander gebracht und ich wusste nicht im Geringsten, wie ich damit umgehen sollte. Mit einem Mal fühlte ich mich unbeschreiblich verletzlich. Wehrlos. Und immer dann, wenn ich glaubte, dass ich wieder ich selbst war, brachte mich mein Verstand dazu, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Es war, als ob ich ohne Schwimmweste in die Dunkelheit des Meeres geworfen geworden wäre und es jetzt an mir selbst lag, mich wieder zurück an die Oberfläche kämpfen.

Doch was, wenn ich es müde war, kämpfen zu müssen?

Oder was wäre, wenn der Sturz ins Wasser einfach das verborgene Chaos in mir an die Oberfläche getrieben hatte?

Perplex starrte ich vom Meer zurück zu Gemma, die gerade die Falten aus dem Hemd zu streichen versuchte. Ich schnappte noch einmal nach Luft, dann beugte ich mich zu ihr nach vor und senkte meine Stimme. "Wann hast du bemerkt, dass du in ihn verliebt bist? Also, wie hast du es bemerkt?", fragte ich, wobei ich mit dem Kopf nach hinten nickte. Etwas irritiert schaute Gemma zu mir hoch, folgte meinem Blick und sah mit einem verträumten Lächeln im Gesicht wieder zu mir zurück. "Indem ich mich immer wieder dabei erwischt habe, wie ich in anderen Menschen nach ihm gesucht habe. Und wie ich mich jedes Mal, wenn ich in Gedanken abgedriftet bin, in unseren Erinnerungen wiedergefunden habe. Und in den Worten, die er zu mir gesagt hat und in der Art wie wir uns angesehen haben. Die Art, wie ich mich in seiner Nähe gefühlt habe. Oh, und darin, wie ich es geschafft habe, dass jedes Gespräch mit ihm geendet hat", lachend vergrub sie das Gesicht in der Halsbeuge, "und wenn meine Freundinnen mich darauf angesprochen haben, habe ich begonnen, das so lange abzustreiten und mich zu rechtfertigen, bis mir die Argumente ausgegangen sind. Dabei war es doch so offensichtlich. Sobald er in der Nähe war, war es völlig um mich geschehen. Da konnte ich nicht mal mehr normal atmen. Oh Mann, ich sollte da jetzt nicht weiter drüber nachdenken."

"Wie kommst du eigentlich darauf?", fragte sie, wobei sie sich wieder dem Hemd zuwandte, und ich spürte, wie sich meine Welt in die andere Richtung zu drehen begann. Unbewusst grub ich meine Finger in den Sand und schaute zu Louis zurück. Ich sah ihm dabei zu, wie er eine Zigarette anzündete, als er sich auf einmal von Gemmas Freund zu mir wandte. Wir erwischten uns gegenseitig dabei, wie wir einander ansahen. Und da war es wieder. Das Gefühl, völlig schwach zu werden und mit dem Kopf voran in den Ozean zu stürzen.

reverie | 𝐥𝐚𝐫𝐫𝐲 𝐬𝐭𝐲𝐥𝐢𝐧𝐬𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt