Kapitel 6

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Nach knapp vier Tagen - in denen ich durch Schnee und Kälte geritten war - erreichte ich die gesuchte Hütte. Sie lag ziemlich zentral zwischen Nowgorod und Kiev. Aber dennoch abseits von den Dörfern und gut verborgen in den Wäldern. Ich wusste deswegen noch so genau wo sie sich befand, weil Fürst Rjurik damals öfter mit uns - und auch Igor - hier gewesen war. Während Oleg seine Schwester - Rjuriks Frau - besuchte, hatte der Fürst uns zum Jagen mitgenommen. Hier, bei dieser Hütte, hatten wir oft übernachtet. Deshalb wusste ich natürlich sofort, von welcher Jagdhütte die Rede war, als Prinz Dir Ivar davon erzählte.
Während des Überfalls, den Oleg auf Dir und seine Leute befohlen hatte, war es Dir gelungen Anna mit einer Hand voll Männer hierher zu schicken. Oder zumindest hatte er Ivar erzählt, dass er die Hoffnung hatte, dass sie es bis hierher geschafft hätten. Zumindest wären sie hier wesentlich sicherer, als in Dirs Anwesen in Nowgorod.

Von einer Anhöhe aus hatte ich einen guten Blick auf die Hütte. Zwischen den verschneiten Bäumen stieg Rauch auf und ich konnte zwei Männerstimmen ausmachen, die sich unterhielten. Es sah zumindest nicht danach aus, als wären Olegs Männer hier gewesen. Es wirkte beinahe schon idyllisch und friedlich...
Ich setzte meine Stute in Bewegung und bahnte mir einen Weg nach unten. Nach wenigen Minuten war ich nur ein Stück weit von der Hütte entfernt. Während ich mich noch wunderte warum ich plötzlich keine Stimmen mehr ausmachen konnte, wurde ich auch schon eines Besseren belehrt; links und rechts von mir stürmten zwei bewaffnete Männer aus dem Gebüsch. Durch den dritten Mann - der unerwartet hinter einem Baum hervor schoss und mir dadurch den Weg nach vorne versperrte - war ich von ihnen eingekesselt worden.
Mein Pferd scharrte nervös mit den Hufen. Doch ich schaffte es schnell es zu zügeln, indem ich ihm beruhigend zuredete und seinen Hals tätschelte.
"Wer bist du und was willst du hier?", verlangte der Mann vor mir zu wissen und hielt sein Schwert drohend in meine Richtung.
"Ich will zu Prinz Dirs Frau, Anna" Ich versuchte so ruhig und gelassen wie möglich zu sprechen. Da der Linke zu meiner Seite mit dem Bogen auf mich zielte, wollte ich ihnen keinen Grund liefern mich in irgendeiner Form als Gefahr einzustufen.
"Woher weißt du von der Prinzessin?"
"Prinz Dir hat mich darüber informiert wo sie ist" Das war zwar nur die Halbwahrheit, aber des tat im Grunde nichts zur Sache.
"Er hat dich gefragt wer du bist", mischte sich nun der Bogenschütze ein.

"Eine Verbündete von Prinz Dir. Näheres kann ich gerne eurer Prinzessin erläutern" Wenn möglich, wollte ich ihnen wirklich nicht unter die Nase reiben wie mein Name war. Wenn sie gut im kombinieren waren und etwas informiert, dann hätten sie dadurch sofort gewusst, dass ich eigentlich noch offiziell im Dienst von Prinz Oleg stand. Und ich wollte ganz besonders den Schützen nicht unnötig nervös machen.
Der Mann vor mir spuckte aus und musterte mich misstrauisch von oben bis unten.
"Was willst du von unserer Prinzessin?"
"Ihr eine Nachricht überbringen. Ihren Gemahl betreffend"
"Was für eine Nachricht?"
Ich seufzte schwer und sah ihn mit schräg gelegten Kopf an. "Verzeiht, aber sie ist ausschließlich für die Prinzessin gedacht"
Die drei Männer sahen sich unschlüssig an. Bei allem Verständnis - es war wirklich löblich dass sie ihren Part so gewissenhaft ausführten -, aber ich fror mir im Sattel allmählich wirklich den Hintern ab. Das einladende warme Feuer, das im Inneren der Hütte zu brennen schien, war deshalb schon sehr verlockend.
"Prinz Dir lebt also?", rief der Bogenschütze zu mir rüber.
"In der Tat. Auch wenn ich behaupten würde, dass jede Minute die wir hier vergeuden, eine zu viel ist. Er lebt. Aber wie ihr selbst merkt, ist es verdammt eisig. Und Prinz Oleg umsorgt ihn nicht gerade unter seinem warmen Dach..."

Ich hoffte mit dieser Aussage endlich etwas bewirken zu können. Mal davon abgesehen, dass ich endlich mit Anna sprechen wollte, bestand in Kiev tatsächlich immer noch große Gefahr für Dir. Klar, es konnte sein dass Oleg ihn einfach in seinem Käfig erfrieren lassen würde. Doch vielleicht wurde ihm auch langweilig und ihm fielen noch andere Dinge mit seinem Bruder ein.
"Senkt die Waffen. Lasst sie vortreten", verkündete der Mann vor mir und ich jubelte innerlich. Endlich. Ich hatte schon gedacht, das würde zu nichts mehr führen.
Zögerlich senkten die beiden anderen ihre Waffen und ich stieg vom Pferd. An den Zügeln führte ich es hinter mir her, während ich dem Mann in Richtung Hütte folgte. Davor angekommen klopfte er höflich an die Tür und sagte mit erhobener Stimme: "Prinzessin Anna, eine junge Frau ist hier. Sie behauptet Kunde über euren Gemahl überbringen zu wollen"
Ich spitzte die Ohren, auf eine Antwort wartend. Doch stattdessen wurde die Tür von einem Mädchen geöffnet, dass wohl noch nicht all zu viele Geburtstage hinter sich hatte. Sie trug ihr schwarzes Haar schlicht nach oben gesteckt und ihre Kleidung verriet mir, dass sie wohl eine Dienern der Prinzessin sein musste.
"Prinzessin Anna wünscht die Frau zu sprechen", sprach sie mit leiser Stimme und wagte es dabei kaum den Blick zu heben.
Zufrieden endlich an meinem Ziel angelangt zu sein, seufzte ich erleichtert. Ich band meine Stute an einem Baum fest und wandt im vorbei gehen das Wort an den Mann, der vorhin noch mit dem Bogen auf mich gezielt hatte. "Gib ihr bitte Wasser und etwas Futter wenn möglich. Die Reise von Kiev war lang"
Zwar schien er über meine Bitte nicht sonderlich begeistert, doch tat er schließlich doch wie ihm geheißen.

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