10- Narben

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Mittlerweile war es Abend geworden, Tsuyo stand gerade in der Küche, in der Hand eine Pfanne mit frischen Fischstäbchen. Zumindest hoffte er sie waren frisch, es waren eine der letzten Dinge die sich im Haus noch hatten auftreiben lassen. Verdammt unverantwortlich von Fuka's Pflegeeltern, ihren Sohn einfach so ohne genügend Essen vergammeln zu lassen. Wahrscheinlich hatten sie ihm nichtmal extra Geld dagelassen... Etwas aufgebracht schob er die Fischstäbchen auf zwei Teller, welche er schon bereitgestellt hat. Fuka tat ihm verdammt Leid. Heute Mittag hatten sie bestimmt 10 Minuten einfach nur da gestanden, bis sich Fuka wieder etwas beruhigt hatte. Aber auch wenn der Braunhaarige danach abgewiesen wurde, er hatte das Gefühl zu dem Kleinen vorgedrungen zu sein. Wenn auch nur ein bisschen, für ihn war es bedeutend. Tsuyo verteilte noch ausreichend Ketchup, ehe er die Flasche wieder in den Kühlschrank stellte. Er öffnete eine Schublade und fischte aus dem Silberbesteck zwei Gabeln heraus, welche er an den Tellerrand legte. Mit jeweils einer Hand ergriff er die Teller und stieß dabei mit seiner Hüfte die Schublade wieder zu. Noch als das Klirren des Bestecks ertönte lief er schon mit großen Schritten in den Flur. Aus der offenen Tür des Wohnzimmers hörte er durch den Lautsprecher vom Fernseher mehrere Stimmen, wahrscheinlich wieder ein Krimi oder irgendein komischer Film, so wie es Tsuyo einschätzte. Als er das Wohnzimmer betrat war das erste was er sah Fuka, welcher auf der Couch lag. Seine Augen waren geschlossen, sein Mund leicht geöffnet. Sein Arm lag unbequem über der kante hängend. Tsuyo legte ein sachtes Lächelnd auf. Er trat etwas vor und stellte erst einmal die zwei dampfenden Teller auf dem Tisch ab. Dann kniete er sich an der Couch etwas herab und strich Fuka erst einmal eine längere Haarsträhne aus dem Gesicht. Tatsächlich lag sein dichter Wimpernkranz aufeinander, der Kleine schlief also wirklich. Tsuyo schmunzelte etwas, er hatte doch extra was zu essen gemacht. Dieser Kleine ey... Der Braunhaarige senkte seinen Blick und wollte gerade Fukas Arm wieder auf die Couch legen, da fiel ihm auf wie ein weißer Stoff etwas aus dem Ärmel heraus ragte. Verwundert hob er den Arm des kleineren etwas an und zog vorsichtig den Ärmel etwas seinen Arm hinauf. Er musste ihn nichtmal bis zum Ellenbogen hochziehen, schon erblickte er einen Verband, welcher begonnen hatte sich abzuwickeln. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen schaute er kurz zu ihm auf, seine Augen noch immer fest verschlossen. Wie kann man nur so schnell so tief schlafen? Langsam ergriff Tsuyo das Ende vom Verband, zögernd begann er die ihn zu entwickeln. Er hatte nichtmal Ein-Viertel des Verbandes abgerollt, schon erblickte er was er schon vermutet hatte, aber inständig gehoffte es würde nicht so sein. Blutige Narben zierten seinen Arm, und sie sahen nicht sehr alt aus. Im Jugendhaus hatte er sie noch nicht, so viel war sicher. Tsuyo biss sich ein wenig auf die Lippe. Wut durchströmte seine Adern, aber vorallem Sorge. Was war der Auslöser dafür? Was war mit Fuka geschehen, was hatte er erlebt wovon Tsuyo nichts mitbekommen hatte? Was auch immer es war, es durfte nicht noch einmal geschehen. Tsuyo hatte keine Ahnung wo dieser unglaubliche Beschützerinstinkt herkam, aber das war ihm egal. Wie konnte man einen so armen Jungen nur zu so etwas beschissenem leiten? Der Braunhaarige wickelte den Verband wieder möglichst vorsichtig um Fukas Arm, bedacht darauf ihn nicht zu wecken. Glücklicherweise gelang ihm dies auch. Den Ärmel zog er das Stück zurück und schaute wieder auf. Die eisblauen Augen des kleineren waren noch immer verschlossen, was Tsuyo innerlich ausatmen ließ. Er strich kurz durch die blauen Haare des Kleineren und seufzte. Sein hübsches Gesicht, bis auf eine Narbe am Kinn fast makellos, sollte doch eigentlich seine Emotionen wiederspiegeln. Aber nichtmal seine kalten, eisblauen Augen sagten noch die Wahrheit. Wie kann er das alles nur so geschickt verbergen? Wie schafft er es das niemand bemerkt wie es ihm eigentlich geht? Oder bemerken sie es, ignorieren es aber? Tsuyo war nun noch mehr wütend. Er verließ langsam die Hocke und stand auf, da auf der Couch kein Platz mehr war widmete er seine Aufmerksamkeit einem Sessel, der ganz in der Nähe stand. Er nahm sich einen Teller und nahm ihn mit zu Platz, wo er erstmal die Fernbedienung ergriff.

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Erst etwa kurz vor Mittag wurde Tsuyo von blendenden Sonnenstrahlen geweckt. Der Braunhaarige brauchte erst etwas um wieder klare Gedanken fassen zu können und setzte sich wieder auf. Er hatte gar nicht mitbekommen wie er auf dem Sofa eingeschlafen war. Sein Blick huschte zur Couch, aber die war leer. Tsuyo streckte sich erstmal. Es wunderte ihn nicht das Fuka früher als er aufgewacht war, so früh wie der eingeschlafen ist. Dennoch recht ausgeschlafen erhob sich Tsuyo, noch einmal streckte er sich mit einem Gähnen. Er konnte nicht sagen warum, aber irgendwie hatte er gute Laune. So schlenderte er in den Flur, aus der Küche hörte er schon ein leichtes Rauschen. Wahrscheinlich ein Radio, denn zwischendurch hörte man auch mal einige verzerrte Stimmen. Doch irgendwann verschwand dieses Geräsuch, Tsuyo hörte wie der Blauhaarige sagte: "So ein blödes Ding...". Etwas schmunzelnd betrat Tsuyo die Küche, mit einer Hand streichte er durch seine haselnussbraunen Haare. Am Küchentisch sitzend saß Fuka, noch mit dem Blick auf sein Handy gerichtet. Neben ihm an der Tischkante stand ein kleines Radio, welches nun aber ausgeschaltet war. Der Tisch war gedeckt, zwei Brottüten und diverse Gläser und Packungen. Fuka's Teller war leer, nur einige Krümel zierten ihn noch. "Morgen", murmelte der kleinere ohne von seinem Handy aufzuschauen. Tsuyo grinste leicht und lief zum Tisch. Noch als er sich setzte sagte er: "Morgen... Wann bist du aufgewacht?". Er setzte sich, schaute aber direkt zum blauhaarigen rüber. "Mhm... Keine Ahnung. Etwa 4 bis 5 Uhr oder so", murmelte Fuka und scrollte kurz über seinen Bildschirm. Tsuyo aber riss die Augen etwas auf. "Was?! So früh?", sagte er überrascht und ergriff eine Scheibe Brot. "Ich bin zufrieden dass ich überhaupt geschlafen hab", gab Fuka nur kühl von sich. Tsuyo antwortete nicht mehr, er beschäftigte sich lieber mit seinem Frühstück. Aber nun kroch wieder die Erinnerung an gestern hoch, der Verband und die Narben. Als diese Bilder wieder in seinen Kopf schossen hielt er kurz inne, er überlegte ob er etwas sagen sollte. Aber recht schnell entschied er es doch sein zu lassen, gerade erst hatte er zumindest ein wenig gutes Verhältnis aufgebaut. Darauf ansprechen konnte er ihn später noch. Seine Gefühle versuchte er sich nicht anmerken zu lassen, auch wenn er darin verdammt schlecht war. Fuka hatte währenddessen mit seinem Pflegevater geschrieben, er hatte ihn gefragt wann sie denn zurück kommen würden. Er wollte Tsuyo rechtzeitig wegschicken, nicht auszumalen wäre es für ihn wenn sie sich gegenseitig sehen würden, und vorallem wegen der Regel seiner Mutter. Als er endlich die Antwort seines Pflegevaters bekam schate er kurz zu seinem größeren gegenüber. "Meine Pflegeeltern kommen nicht vor 17 Uhr zurück, sei aber trotzdem schon um 16 Uhr raus", erklärte er dem Braunhaarigen, woraufhin dieser nur verwirrt seinen Bissen runterschluckte. "Aber warum schon?", hackte er nach. Natürlich konnte er nachvollziehen das Fuka nicht unbedingt in eine unangenehme Situation kommen wollte, aber wundern tat es ihn schon. "Weil ich noch aufräumen und einkaufen muss. Außerdem haben es meine Pflegeeltern nicht so mit Besuch", erwiderte Fuka etwas zischend. Tsuyo verzog gespielt beleidigt das Gesicht. Innerlich würde er gerne mal mit Fukas Pflegeeltern reden, denn nichtmal die Erlaubnis geben Besuch herzuholen... "Du... warum lebst du weiter bei diesen Menschen? Du merkst doch selber das die dir nicht gut tun", sagte Tsuyo direkter als er eigentlich wollte. Sofort zuckte Fuka etwas zusammen, aber eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. "Naja... In der kurzen Zeit im Heim hab ich viel von anderen gehört. Sie wurden nur rumgereicht, von niemandem so richtig gewollt. Ich hab es mir schrecklich vorgestellt, aber blieb glücklicherweise davon fern. Hier will man mich zumindest haben, und das lieber als herumgereicht zu werden", gab Fuka mit gedämpfter Stimme von sich wieder. Das war der eine Grund, der andere wäre dann das seine Pflegeeltern ihm genau das gaben was er aus seiner Sicht verdient hätte. Aber vor Tsuyo wollte er es nicht laut sagen, dieses gespräch weiterführen wollte er ohnehin nicht. "Verstehe...", murmelte Tsuyo und biss nun wieder ab. Von Tag zu Tag tat ihm Fuka mehr und mehr leid. Geschlagen zu werden oder in einem Teufelskreis zu sitzen, genau genommen konnte Tsuyo sich da nicht entscheiden.

Seine Augen riefen nach Hilfe - [Boy x Boy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt