Caro
Am liebsten wäre ich umgedreht, noch bevor ich das Grundstück betrete. Das Haus wirkt so kalt, so anders als bei meinem letzten Besuch. Stand dort neben der Tür nicht mal ein Bäumchen? Haben sie es nun in den Garten hinterm Haus gepflanzt?
Jeder Schritt kostet mich Überwindung, erst scheine ich der Tür gar nicht näher zu kommen, dann stand ich plötzlich vor ihr. Ich starrte auf das Schild über der Klingel, auf dem in geschwungenen Buchstaben „Feine" stand. Alles in mir sträubte sich davor zu klingeln, denn dann würde jemand zur Tür kommen. Ich wusste gar nicht, was ich Emily sagen sollte. das stimmte nicht ganz. Ich mir drei Sätze überlegt, die ich zu ihr sagen wollte, die was ich wollte zusammenfassten. Aber würde das reichen?
Ich klingelte ohne nachzudenken. Unangenehm laut spielte die Melodie von „Für Elise". Vielleicht war sie ja auch gar nicht da?, dachte ich noch, aber da hörte ich schon das Klackern von Absätzen und die Tür wurde geöffnet. Es war Emilys Mutter, die mich erst überrascht, dann mit einer Strenge ansah, die mich noch unwohler fühlen ließ. Ich steckte meine Hände in die Jackentaschen, damit sie nicht sah, falls sie zu zittern anfingen. „Ist Emily da?", fragte ich mit einer Stimme, die nicht mir zu gehören schien, und kassierte einen weiteren Blick, der an Schärfe noch dazugewann. „Ich hole sie", sagte Frau Feine und ließ mich allein vor der verschlossenen Tür stehen.
Okay, jetzt bloß keinen Rückzieher machen, redete ich mir gut zu und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Das war doch gar nicht so schlecht, immerhin hat sie dich nicht gleich des Grundstücksverwiesen. Emily kommt gleich und dann könnt ihr reden. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus und verschluckte mich beinahe, als mir Emily tatsächlich plötzlich gegenüberstand. Ihre Haare waren wirklich kürzer, so wie ich es schon in der Schule bemerkt hatte, aber ihre Locken waren noch dieselben. Ich spürte sie an seiner Hand, als würde ich wie früher über sie streichen.
Emily
Ich höre die Absätze meiner Mutter aufgeregt klackern. Keinen Moment später betritt sie mit versteinerter Mine die Küche. „Was ist los?", frage ich und stelle die Tasse beiseite, an der ich eben nippte. „Deine Exfreundin steht vor der Tür." Caroline? Meine Mutter nickt, als könnte sie Gedanken lesen. „Soll ich sie wegschicken?" „Nein", entweicht mir die Antwort ehe ich darüber nachdenken kann und schon bin ich aufgestanden. „Emily, du musst wirklich nicht mit ihr reden, wenn du es nicht willst." Ich lasse meine Mutter stehen, kann nicht schnell genug an der Tür sein. Und dann blicke ich in ihr Gesicht. Es ist von der Kälte leicht gerötet, die Haare sind unter einer Mütze verborgen. Es die gleiche Mütze wie immer.
„Hi." Caros Hände zittern in ihren Taschen, genauso wie meine. „Hallo", meine Stimme klingt seltsam rau. Einen Moment starren wir uns beide an, dann räuspert sich Caro. Bevor ich sie davon abhalten kann beginnt sie zu sprechen: „Emily, es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe. Ich liebe dich, immer noch und viel mehr, als ich in Worte fassen kann. Bitte, lass uns reden." Ich sehe sie einfach nur an, weiß gar nicht, was ich darauf erwidern soll. Natürlich sind die Gefühle noch da und sie werden mit jeder Minute stärker, aber ich kann ihr nicht so einfach verzeihen. Sie kann doch nicht mit ein paar Worten wieder gut machen, was sie mit dem Kuss auf der Party zerstört hat.
Caro
„Hast du das einstudiert?" Enttäuschung zeichnet sich auf Emilys Gesicht ab. Kein gutes Zeichen. Ich versuche den aufkommenden Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Was soll ich denn darauf antworten?
„Ich möchte einfach mit dir reden, über alles. Bitte, ich möchte nicht, dass das letzte, was wir zueinander gesagt haben „Ich hasse dich" ist." Emily sieht mich unbewegt an, darum rede ich einfach weiter: „Ich würde dich gern treffen. In dem Café an der Ecke – weißt du noch, welches ich meine? Das, wo wir früher immer nach der Schule Kakao getrunken haben." Emily nickt leicht. „Also... Ich werde heute Nachmittag gegen vier Uhr da sein." Bevor ich noch etwas hinzufügen kann sagt Emily „Bitte geh jetzt". Ihre Stimme zittert dabei kaum merklich. Weint sie gleich? Oh nein, das wollte ich nicht. Ich wollte doch nur reden. „Emily-" „Bitte geh jetzt", wieder holt sie, ihre Augen wirken genau so feucht wie meine. „Okay, wie sehen uns dann vielleicht..." Mit diesen Worten drehe ich mich um und ergreife die Flucht.

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Nur drei Sätze
Novela JuvenilCaro und Emily lernen sich in der Grundschule kennen. Nach dem Wechsel auf's Gymnasium kommen sich die beiden näher, was aber nicht jedem Elternteil gefällt. Emilys Mutter sieht in Caro nicht den erwünschten Karriereprinzen für ihre Mutter und auch...