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Panisch rannte ich, so schnell ich konnte in den Gassen East New Yorks von Schatten zu Schatten, in der Hoffnung, dass mich niemand entdeckte.
Ich wusste nicht, was los war, aber als ich vor dem Restaurant gestanden hatte, bei dem ich verabredet war, sah ich von Weitem, wie ein paar Männer in schicken Anzügen verstohlen in meine Richtung zeigten und auf mich zukamen. Als einer der Männer unauffällig eine Pistole aus seinem Gürtel zog, schrillten die Alarmglocken in meinem Kopf und ich rannte so schnell wie möglich vor ihnen weg. Ich kannte mich nicht so gut aus, da ich erst vor ein paar Jahren hierhergezogen war, um näher bei meinem Verlobten zu sein. Hauptstrassen kannte ich gut, doch all die Seitengassen hatte ich stets ignoriert, wie ein kleines Kind, das von den Eltern ermahnt wurde, dass dort düstere Dinge geschahen. Jetzt verfluchte ich mich dafür, mich nicht auszukennen.

Seit heute Mittag, als ich einen Mann per Zufall berührt hatte, geschahen seltsame Dinge. Er hatte mich noch blöd angemacht, dass ich meine Hände bei mir behalten solle. Tja, seit da kribbelten meine Handflächen ununterbrochen und einige Leute begannen komisch blau zu schimmern. Erst hatte ich den Verdacht, dass mir jemand Drogen untergejubelt hatte und ich nun auf einem Trip war. Aber das hätte doch schon längst wieder nachlassen sollen.

Nun zog ich die Kapuze meiner Jacke tiefer ins Gesicht, sodass mich niemand erkennen konnte und mischte mich mitten unter die Menschenmasse, die glücklicherweise vor mir auf einer belebten Strasse auftauchte. So unauffällig wie möglich lief ich mit der Masse mit. Fast schon verzweifelt suchte ich mein Handy in meiner Handtasche und hätte beinahe laut gejubelt, als ich es endlich fand. Zum Glück besann ich mich im letzten Moment eines Besseren, denn das hätte genau die Aufmerksamkeit dieser Männer auf mich gezogen.

Schnell tippte ich auf ein paar Zahlen ein und liess es klingeln. Nach dem zehnten Piep sprang automatisch der Anrufbeantworter an und ich fluchte leise vor mich hin. Wieder wählte ich dieselbe Nummer und liess es klingeln. Doch wieder hob keiner ab. „Verdammte Scheisse! Nimm das verfluchte Handy ab..!", fluchte ich lauter vor mich hin.
„Kann ich behilflich sein?", sprach mich jemand an, der mein Fluchen nicht überhört hatte. „Nein, schon gut, danke", antwortete ich, seine Hilfe ablehnend und lächelte ihn einmal kurz an, sodass er sich keine Sorgen mache musste. „Mein Verlobter geht bloss nicht ans Telefon", fügte ich hinzu, während ich wieder in meiner Tasche kramte. Dann sah ich hoch, weil ich keine Antwort bekam, doch der Mann, der mich angesprochen hatte, war nicht mehr da und ich wusste nicht, wieso ich ihm das überhaupt erzählen wollte. Nochmals versuchte ich es, tippte die Nummer ein und liess es klingeln.

Da ich nicht wusste, wohin ich sollte, geschweige denn, wie ich hier wegkommen wollte, versuchte ich, einen Weg zurückzufinden.
Vielleicht war es auch bloss Einbildung, dass mich diese Männer verfolgten? Vielleicht war ich wirklich auf Drogen? Die Menschenmasse begann sich plötzlich aufzulösen, es wurden immer weniger Leute. Und da sah ich sie. Die Männer, wie sie weiter vorne nach jemandem Ausschau hielten. Ich wusste, dass ich jetzt so unauffällig wie möglich sein sollte, aber irgendwie konnte ich nicht anders als einen dieser Männer anzustarren. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Aber woher?

Als hätte er meinen Blick gespürt, schaute er hoch und entdeckte mich. Schnell rief er seine Männer zusammen und zeigte auf mich. Diese bewegten sich sofort in meine Richtung und ich machte auf der Stelle kehrt und zwängte mich durch die mir entgegenkommende Menschenmenge. Jemand rempelte mich an und ich wäre fast zu Boden gestürzt, wäre ich nicht in der Menge eingeklemmt gewesen. Panisch schob ich mich zwischen den Menschen hindurch und wagte kurz einen Blick zurück, was ich sofort bereute. Er war direkt hinter mir! Keine Sekunde später ergriff er mich und zog mich an sich. In seinem Würgegriff gefangen, schleppte er mich aus der Menge hinaus und ich war unfähig, eine Bewegung gegen seinen Willen zu tun. Ich wollte schreien, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf mich zu lenken, doch es gelang mir nicht. Kein Ton fand den Weg aus meinem Mund und so kam es, dass keiner der Menschen das Geschehen beachtete, da jeder vertieft in seine eigenen Gedanken gefangen war.

Frozen SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt