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Nach zwei Stunden Fahrt fiel mir auf, dass eine dunkle Mercedes-Limousine uns folgte. Wann immer ich langsamer wurde, reduzierte der Fahrer hinter mir ebenfalls das Tempo, um mir nicht zu nahe zu kommen und wann ich schneller wurde, beschleunigte er ebenso, um mich nicht aus den Augen zu verlieren. Um zu testen, ob mein Gefühl richtig war, fuhr ich in eine Einfahrt für ein Motel und als die Limousine mir folgte, fuhr ich einfach weiter.

„Wach auf!", rief ich und schüttelte meinen Reisebegleiter. Er schrak hoch und war sofort bereit, sich zu verteidigen. „Wir kriegen Besuch", informierte ich ihn und deutete nach hinten. „Dieser Mercedes folgt uns seit einiger Zeit mit stetigem Abstand." „Rutsch mal rüber", forderte er mich auf, nachdem er etwas Unverständliches gegrummelt hatte. Doch bevor ich protestieren konnte, fielen die ersten Schüsse und ich drückte automatisch aufs Gas. Nicht-James hatte dies nicht kommen sehen und flog zurück auf die Rückbank.
Sobald er sich gefasst hatte, wühlte er unter der Bank und zog ein Präzisionsgewehr hervor. „Woher hast du das?", fragte ich überrascht, doch er ignorierte meine Frage. „Fahr in die nächste Ortschaft, wir müssen sie abhängen!", schrie er mir bloss zu, krabbelte nach vorne, hielt das Gewehr aus dem Fenster und zielte auf den Beifahrer in der Limousine hinter uns.

Währenddessen trat ich aufs Gas, schön darauf bedacht, nicht zu ruckartig zu fahren, damit er nicht danebenschoss. Der erste Schuss fiel und kurz darauf drehte er sich zu mir. „Fahr schneller, sie kommen näher!", schrie er mir zu. Als er mir das sagte, schaltete ich alles um mich herum ab und fuhr. In meinem Kopf legte sich ein Schalter um und brachte die Rennfahrerin in mir hervor. Jetzt gab es nur noch mich, das Auto und die Strasse. Ich trat fester auf das Gaspedal und fuhr auf eine Abzweigung zu. „Juna!", schrie mein Beifahrer neben mir entsetzt und klammerte sich an seinem Sitz fest. Als wir nahe genug an der Abzweigung waren, ging ich vom Gas, schaltete ein paar Gänge herunter, damit ich nicht zu schnell in die Kreuzung fuhr und driftete perfekt in die andere Strasse.
Kaum war das Auto wieder gerade, trat ich erneut aufs Gas und blickte zu meinem Beifahrer rüber. Ich konnte nicht anders als ihn anzugrinsen, als ich sah, wie er mich mit grossen, überraschten Augen anstarrte. Seine normale Gesichtsfarbe schien langsam wieder zurückzukommen. „Die nächste rechts", lotste er mich, als die nächste Abzweigung auf uns zukam. Diesmal war er gewappnet und liess mich mein Ding durchziehen.
„Die nächste links", gab er mir weiterhin Anweisungen und ich tat wie geheissen. Dies ging ein paar Abzweigungen so weiter, bis eine alte Frau gemütlich über die Strasse spazierte und ich gezwungen war, eine andere Route zu nehmen, wenn ich sie nicht überfahren wollte. „Was soll das?! Wir müssen da lang!", schrie er mich an. „Ich weiss, aber da war 'ne Oma auf der Strasse!", fauchte ich ihn an und suchte einen anderen Weg.
Nach ein paar weiteren Abzweigungen hatte ich unsere Verfolger endlich abgehängt. Ich bog in eine schmale Strasse ein und wollte erleichtert aufatmen, als sie plötzlich vor uns auftauchten. „Verdammt! Wie können die wissen, wo wir sind?!", stiess ich verzweifelt hervor, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr. Kaum war ich wieder auf der Hauptstrasse, legte ich den ersten Gang ein und trat aufs Gas. Rauch qualmte von den Reifen und versperrte den Verfolgern die Sicht. „Halt an!", befahl mir Nicht-James und etwas in seinem Ton liess mich genau die tun. Die Räder kamen noch nicht mal zum Stillstand, da hatte er schon die Tür geöffnet und ein Bein draussen.

Er legte sich auf den Boden und stand mit etwas in der Hand wieder auf. „GPS-Sender", grummelte er und warf ihn in den Mülleimer an der Strasse. „Weiter", war alles, was er sagte, als er wieder einstieg und ich fuhr wortlos weiter. Die Verfolger hatten noch immer keine freie Sicht und dadurch, dass die anderen Fahrer auf der Strasse ebenfalls nichts sahen, versperrten diese ihnen den Weg. „Wie kam das dorthin?", traute ich mich nach ein paar Abzweigen zu fragen. Er wusste keine Antwort, also schwieg er für eine Weile.

„Auf dem Parkplatz ...", entwich es ihm überrascht. „Als er direkt neben dem Auto stand. Die wussten, dass du in diesem Auto warst." „Aber wie?", fragte ich mich selbst. „Die nächste rechts und dann gleich links", wies er mir den Weg, bevor er eine Gegenfrage stellte. „Wer weiss, dass du so Auto fährst?" „Niemand", antwortete ich wahrheitsgemäss.
„Dein Verlobter?", hakte er nach, doch ich schüttelte bloss den Kopf und bog rechts ab. „Nein, ich hab's ihm nie erzählt." „Wo hast du gelernt, so zu fahren?", versuchte er weiter herauszufinden, wie die darauf kommen konnten. „Mein Vater hat es mir beigebracht. Früher sass ich auf dem Schoss, als ich noch zu klein war, um selbst zu fahren. Und sobald ich übers Lenkrad sehen konnte, sass er daneben und gab mir Anweisungen", erklärte ich ihm, bei dieser Erinnerung lächelnd, bis ich mich fragte, wieso ich ihm das überhaupt erzählte. „Vielleicht haben sie es durch ihn erfahren", mutmasste er weiter. „Nein. Mein Vater ist an dem Tag, als ich 17 wurde, gestorben", sagte ich und mein Lächeln erlosch komplett. „Tut mir Leid", meinte er entschuldigend und aufrichtig.

„Warum hast du es deinem Verlobten nie erzählt?", fragte er weiter. „Naja, das war Papas und mein kleines Geheimnis. Nicht mal meine Mutter weiss davon." Ich schmunzelte bei der Erinnerung daran, wie wir uns damals versprochen hatten, dass das unser kleines Geheimnis war. „Also vertraust du lieber mir dieses Geheimnis an, als deinem zukünftigen Mann", schlussfolgerte er. „Wow, den musst du ja höllisch lieben", fügte er sarkastisch hinzu. Ich tat so, als würde ich mich auf die Strasse konzentrieren, aber insgeheim beschäftigte mich seine Aussage extrem. Er hatte recht, ich war im Begriff, diesen Mann zu heiraten, aber vertraute lieber einem Fremden mein Geheimnis an anstatt ihm.

„Halt schnell an", unterbrach er mein Grübeln und ich bremste ab. Er stieg aus und joggte in die Bäckerei gleich an der Strasse. Was zum Teufel will er dort? Leicht nervös schaute ich mich immer wieder um und hoffte, dass diese Männer nicht wieder auftauchten. Doch das war zu schön, um wahr zu sein, denn genau, als Nicht-James wieder aus dem Laden kam, bogen sie in unsere Strasse ein.

Schnell liess ich die Scheibe herunter. „Nicht-James, lauf!", schrie ich so laut ich konnte und mein Begleiter schmunzelte über den Namen, schaute sich aber alarmiert um und entdeckte unsere Verfolger. Er rannte zum Auto und griff nach der Tür, genau in diesem Moment, als ein Schuss erklang. Die Menschen auf der Strasse schrien hysterisch und rannten in alle möglichen Richtungen, da sie nicht wussten, von wo der Schuss kam. Nicht-James stöhnte vor Schmerz auf und liess sich auf den Sitz fallen.

„Fahr", stiess er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Ohne zu zögern fuhr ich los und schlängelte uns zwischen den Gassen durch, bis ich sie abgehängt hatte. Dann endlich schaute ich zu meinem Beifahrer und sah, dass er am Bauch getroffen worden war. Blut durchtränkte sein Shirt und er hielt sich die Wunde zu. „Halb so schlimm, ist nur ein Streifschuss", winkte er die Sache ab. „Fahr in dieses Parkhaus", wies er mich an und zeigte mit zitterndem Finger auf ein Gebäude, drei Strassen weiter.

Im Parkhaus nahm ich wie geheissen den am besten versteckten Parkplatz und stieg aus. Nicht-James wühlte schon im Kofferraum rum, bevor ich überhaupt die Tür geöffnet hatte. Als er fündig geworden war, grinste er triumphierend. „Was ist?", fragte ich verwundert. „Du hast jetzt einen Job zu erledigen", sagte er und hielt mir Nadel und Faden hin.
Ungläubig sah ich von seiner Hand in sein Gesicht. „Nein, vergiss das!", lehnte ich diese Aufgabe ab. Ich wollte nicht mit einer Nadel in seinem Körper rumstochern.
„Wenn du es nicht tust, mach ich es selber", entgegnete er schulternzuckend und fing an, den Faden einzufädeln. „Okay, okay, ich tu es ja", gab ich nach und streckte die Hand aus, um mir die Nadel und den Faden zu nehmen. „Willst du nicht was um draufzubeissen?", fragte ich ihn, während ich konzentriert den Faden einfädelte. „Nein", war alles, was er dazu sagte.
Mit leicht zittrigen Händen näherte ich mich seiner Wunde und stach in seine Haut. Stich für Stich nähte ich die Wunde zusammen und Nicht-James zuckte kein einziges Mal zusammen.
Als die Wunde endlich zusammengenäht war, atmete ich erleichtert auf, denn es hörte langsam wirklich auf zu bluten. „Danke", sagte er, zog sein Shirt aus und wühlte im Kofferraum nach einem frischen. Es war schwer, meinen Blick von seinem Oberkörper zu reissen, wobei die Wunde oder die Narben, die er besass, nicht einmal der Grund waren. Zum Glück schaffte ich es diesmal, wegzuschauen, bevor er seinen Kopf zu mir drehte und ich setzte mich wieder auf den Fahrersitz.

„Wir sollten weiter", sagte er, als er sich neben mich setzte. „Danke, dass du mich daran erinnerst", konnte ich mir eine sarkastische Bemerkung nicht verkneifen und fuhr los. Diesmal hatten wir Glück und unsere Verfolger hatten uns nicht mehr gefunden.
Als wir wieder auf dem richtigen Weg, schwiegen wir eine Weile. Ich hing meinen Gedanken nach, während mein Beifahrer versuchte zu schlafen.

„Du glaubst mir den Namen wirklich nicht", riss er mich aus meinen Gedanken. Kurz blickte ich zu ihm hinüber und sah ein verschmitztes Lächeln, was mein Herz einen Aussetzer machen liess, ich aber nie zugeben würde. „Nein", lächelte ich zurück. Er grinste und schüttelte den Kopf. Danach schwieg er wieder für eine Weile und schaute aus dem Fenster.
„Darren", sagte er plötzlich und sah mich erwartungsvoll an. Doch ich war zu vertieft in meine Gedanken gewesen, sodass ich nicht realisierte, was er mir damit sagen wollte. „Mein richtiger Name ist Darren Hunter", wiederholte er seinen Namen, als er kapierte, dass ich eine lange Leitung hatte. „Freut mich, Darren", entgegnete ich und lächelte ihn an, bevor ich mich wieder auf die Strasse konzentrierte.

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