Kapitel 4

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Sarah kniete am Boden, schon fast hysterisch warf sie ihr unnützes Handy auf den Boden. Die Zeit wurde knapp, was auch immer hier passiert war, Natalie brauchte Hilfe. Da kam ihr ein schrecklicher Gedanke, es sah nicht nach einem Unfall aus, was wenn es Mord war?

Wenn jemand hier war, dann hatte er sie sicher gehört, sie hatte mehrmals durch das Haus gerufen, war nicht gerade leise gewesen. In ihrem Kopf flogen die Gedanken nur so durcheinander, die meisten Nachbarn waren um die Uhrzeit schon zu Hause somit war das Haus gegenüber ihre beste Möglichkeit um Hilfe zu rufen. Beim Aufstehen rutschte sie aus und für einen Moment blieb sie auf allen vieren knien. Der Schmerz in ihrem, ohnehin schon kaputten Knie, ließ alles schwarz vor Augen werden. Mit wackeligen Beinen stand sie auf, entschlossen sich zusammenzureißen. Natalie war vielleicht noch am Leben, egal wie unrealistisch es war, sie musste daran festhalten. 

Schwankend ging sie aus dem kleinen Badezimmer, sie stützte sich an der Mauer des Flurs ab, um nicht hinzufallen. Ihr Schuh trat auf Scherben, es knirschte laut und sie sah hinunter. Ein altes Foto lag am Boden, ihr wurde seltsam zumute als sie es betrachtete und plötzlich hatte sie ein Flashback.

Ihre Eltern schrien sich gegenseitig an während sie immer weiter blutete, sie ignorierten sie vollkommen. Natalie stürmte in den Raum, blieb kurz stehen sah sich um und ohne weiter nachzufragen, kniete sie sich hin und drückte ein Tuch auf die Wunde. 

„Alles wird gut, ok?", flüsterte sie, ihre Augen feucht aber mit einem leichten Lächeln nahm sie ihr noch das Messer aus der anderen Hand. 

So schnell wie die Erinnerung gekommen war, war sie auch wieder vorbei, wie ein kurzer Traum aus dem man nicht ausbrechen konnte. Hatte sie sich den Kopf gestoßen, ohne es zu bemerken? Keine Zeit darüber nachzudenken! Sie hatte es bis vor die Haustür geschafft, ihre Hand lag auf der Schnalle, da hörte sie ein Röcheln das scheinbar von oben kam. 

„Du musst jetzt wirklich nach Hause, sonst bekomme ich wieder ärger mit deiner Mama." Natalie schubste sie aus der Tür. „Wir sehen uns morgen, ruf mich an wen du die Aufgabe erledigt hast und ich abschreiben kann." 

Ihr Lachen hallte ihr in den Ohren nach. Was passierte hier, war es das Adrenalin, das alles durcheinander brachte. Wieder im hier und jetzt angekommen drückte und zog sie an der Eingangstür, doch sie ging nicht auf und mit ihren blutverschmierten Hände rutschte sie immer wieder ab. Aus Verzweiflung schlug sie mehrfach gegen die Tür, ihre Nerven machten das nicht mehr lange mit. Für eine Sekunde wollte sie Schrein und weinen, ihrer Wut und Verzweiflung einfach freien Lauf lassen, doch wusste sie das es nicht helfen würde. 

„Ich versteh dich, aber du musst dich zusammenreißen sonst sitzen wir noch ewig an der Hausübung." Natalies strenger Blick wanderte über den Tisch und bohrte sich in ihre Augen, sie klopfte mit dem Stift auf das Heft. 

„Streng dich an, das ist wichtig." 

Die Treppe hinter ihr knarrte, irgendjemand kam hier runter, wer auch immer es war, hatte es nicht eilig und blieb nach jedem Schritt stehen. Ihr Herz schlug schneller, ohne hinzusehen, rannte sie ins Wohnzimmer und duckte sich hinter das Sofa. So unauffällig wie möglich versuchte sie einen Blick auf die Treppen zu erhaschen doch da war nichts, niemand war zu sehen und das Knarren war auch verstummt. Geduckt blickte sie zu dem Fenster, einen kurzen Augenblick lang spürte sie Hoffnung in sich aufsteigen. Doch dann sah sie es, unter dem Beistelltisch kauerte ein schwarzer Schatten, nicht einmal einen Meter von ihr entfernt. Panisch sprang sie auf und rannte Richtung Terrassentür, sie musste hier raus, wenn sie überleben wollte! Die Tür flog mit einem lauten Krachen auf, doch kurz bevor sie ankam, riss etwas an ihrem Fuß. Sie stürzte, versuchte nicht auf dem Bauch zu landen, ihr Kopf prallte dabei vom Boden ab wie ein Ball. Den Schmerz spürte sie nicht aber sie konnte das Blut schmecken, das sofort aus der Wunde gepumpt wurde und ihr über den Mund ran. 

„Du kannst nicht hier bleiben", sagte Natalie und drehte sich in dem schmuddeligem kleinen WG Zimmer im Kreis. Dann packte sie ihre Schultern und sagte entschlossen, „Es wird Zeit das du hier rauskommst und dein Leben lebst!" 

Es hörte sich an als ob sie direkt neben ihr stand. Die Tür war so nah, ein paar Schritte und sie wäre draußen, vielleicht konnte sie jemand hören. Benommen begann sie zu Schrein. „HILFE...HILFEEEE." Ihre Stimme wollte nicht so recht, es war viel zu leise. 

„Weißt du, was meine Mama mir heute erzählt hat?" Natalie legte ihren Schminkpinsel zur Seite und sah sie durch den Spiegel an. „Wenn wir beim Feiern gehen Hilfe brauchen, sollen wir nicht Hilfe schreien, sondern Feuer", sie lachte dabei. „Hat sie sicher in einer Elternzeitschrift gelesen." 

Kaum das die Erinnerung vorbei war, sammelte sie ihre Kraft, holte tief Luft. „FEUER...FEUER." Endlich, der Schrei war so laut, dass er ihr noch in den Ohren nachhallte. Gleichzeitig versuchte sie aufzustehen doch die Welt drehte sich und sie konnte kaum etwas sehen. Da spürte sie etwas Kaltes, ihren Fuß umklammern. Der Schatten war so nah, dass es ihr der Atem stockte, es hatte keine Form, nur ein langer Arm der herausragte und sie festhielt. Ruckartig, zog es an ihr, doch sie war nicht gewillt schon aufzugeben also drehte sie sich herum und hielt sich an den hochstehenden Bodendielen fest, über die sie schon so oft gestolpert war. Mit aller Macht versuchte sie es zu treten doch ihre Füße glitten einfach hindurch. 

Für einen kurzen Moment gingen die Lichter an, geblendet durch das plötzliche Licht blinzelte sie. Der Schatten hatte sie losgelassen, das war ihre Chance! Sie sprang auf und stürmte direkt durch die offene Terrassentür nach draußen, in den Garten. Ihr Körper hatte seine letzte Kraft aufgebraucht, sie versuchte gar nicht erst sich aufzurichten, krabbelte weiter weg vom Haus. Da knallte die Tür mit einem lauten Donnern zu, der Schatten war direkt hinter ihr gewesen, für einen kurzen Augenblick war er noch durch das Glas zu sehen. 

Ihr Blick richtete sich auf eines der oberen Fenster, das einzige wo noch das Licht brannte und dort stand Natalie, sie presste ihre Augen zusammen und sah noch einmal hin. Doch Natalie war weg und das Licht aus. Unbewusst war sie weiter rückwärts gekrabbelt, da hörte sie den Nachbarn rufen. 

„Um Gottes willen, was ist passiert? Ich hab schon die Feuerwehr gerufen." 

Er kniete sich zu ihr auf den Boden, sah sie besorgt an. 

„Feuer", war alles, was sie hervorbrachte, bevor sie aufgab. Sarah ließ sich in das Gras fallen, legte ihre Hände auf ihren kleinen runden Bauch und ihre Augen schlossen sich ganz von alleine.

Nicht alleine!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt