-25-

23.7K 636 28
                                    

Miguel

Ich schaue das verletzte Mädchen neben mir an und folge mit den Augen die Blutspür, die an ihrer Schläfe beginnt und über ihre Wangen, bis hin zu ihrem Hals läuft, und dann unter dem Pulli verschwindet.
Leblos hängt sie auf dem Sitz.

Ich fahre mir durchs Gesicht, dann nehme ich einen Schluck Kaffee und schaue in die braune Tüte.
Es riecht nach Burritos und Nachos.

Obwohl ich wirklich Hunger habe, entscheide ich mich dazu, nichts anzurühren, damit sie sich etwas aussuchen kann. Die Tüte stelle ich auf den Rücksitz und fahre dann vom Rastplatz herunter.

387km á Culiacán
zeigt das großes Straßenschild am Ende des Rastplatzes.
4 Stunden also noch, dann sind wir endlich da.

Ich schalte das Radio an, weil es mir das erste Mal zu ruhig im Auto ist. Sonst hat Amara zwischen durch einfach immer irgendetwas erzählt und mich wach gehalten.

Die Sonne knallt auf den hellen Asphalt der Autobahn und die mir entgegenkommenden Autos blenden mich wegen der Sonne, die sich im Lack spiegelt.

Ich knöpfe mir mit der rechten Hand das Hemd weiter auf, da es wirklich extrem warm ist. Die Klimaanlage schalte ich extra nicht ein, weil sie sonst bestimmt wieder friert.

15:23 Uhr

Wir sind bereits 2 Stunden gefahren, als Amara sich langsam bewegt. Wie von selbst bremse ich den Wagen ab und parke am Straßenrand.
Gerade als sie  ihre Hand zur Schläfe führen will, greife ich nach ihrem Handgelenk, um sie zu stoppen.

"Nicht anfassen, das wird weh tun.", erkläre ich. Aus halb geöffneten Augen schaut sie erst auf mich und dann auf meine Hand, die ihr Handgelenk noch immer umschließt.

Ruckartig zieht sie ihre Hand aus meiner und ich kann es ihr nichtmal verübeln.
Kurz darauf greift sie mit der linken freien Hand nach der Tür, um sie zu öffnen und hüpft benommen aus dem Wagen.

"Was tust du?", frage ich aufgeregt, doch als ich um den Wagen rumgehe, sehe ich, dass sie brechen muss.

Schnell halte ich ihre Haare hoch.

"Verschwinde!", schickt sie mich kraftlos weg, doch ich tue ihr den Gefallen nicht. Ihre rechte Hand ist immer noch mit dem Kabelbinder an der offenen Autotür festgebunden, mit der anderen stützt sie sich auf ihrem Knie ab.

"Geh weg!", gibt sie keine Ruhe.
Ich halte ihre eine Wasserflasche hin, damit sie sich den Mund ausspülen kann und ignoriere ihre Aufforderung weiterhin.

"Du solltest was essen", schaue ich auf die Uhr.
"Es ist schon 15 Uhr durch."

Kraftlos sieht sie zu mir rauf. Ihre Augen glänzen nicht mehr so, wie bei unserer ersten Begegnung. Ihre schönen Haare sind verknotet, aber selbst das lässt sie nicht unattraktiv aussehen.

"Was ist? Willst du mir wieder deine Waffe überziehen?"
Tränen laufen über ihre Wangen, die Augen sind gerötet. Ich ziehe mein weißes Seidentuch aus der Hosentasche und beginne ihr Gesicht und ihren Hals von dem trockenen Blut zu befreien.

Ihr Atem geht unregelmäßig.

"Lass das.", drückt sie meine Hand weg und setzt sich dann zurück ins Auto.
Sofort schließt sie ihre Augen, vermutlich, weil ihr schwindelig ist.

Es frustriert mich, sie so zu sehen. Und vor allem zu wissen, dass es ihr wegen mir so geht.
Nur, weil ich nicht abwarten konnte und ihr nicht geglaubt habe.

Ich setze mich wieder hinters Steuer.
"In der braunen Tüte ist dein Essen. Such dir was aus, ich nehme das, was Übrig bleibt."
Starr schaue ich geradeaus auf den Straßenrand, ihr Anblick würde mir das Herz brechen.

Als sie sich nicht bewegt, greife ich nach hinten und stelle die Tüte auf meinen Schoß.

"Nachos?", frage ich sie.
Sie nickt leicht.
"Käse-Sauce oder Salsa?", halte ich zwei kleine Schälchen hoch.

Sie greift nach der Käsesauce. Dann gebe ich ihr die Nachos.

"Avocado Burrito oder den mit Chili con Carne?", frage ich sie als nächstes und halte beide hoch.

"Du hast wirklich noch nichts gegessen", stellt sie mit leiser Stimme fest.
Ich schüttel den Kopf.

"Also?"

"Avocado, bitte", zeigt sie auf den Burrito in meiner linken Hand.

Ich lege ihn vor ihr auf das Armaturenbrett des Autos, da die Nachos auf ihrem Schoß stehen. Genüsslich beiße ich anschließend in meinen Burrito.

15:57 Uhr

"Ich möchte nicht mehr."
Amara hält mir die Nachos vors Gesicht. Ich nehme ihr die kleine Schale ab und stelle sie neben ihren Burrito.
"Den isst du aber noch!", fordere ich sie auf.

Sie nickt.
Dann greift sie mit der linken Hand nach ihrem Burrito und versucht ihn zu öffnen. Als ich sehe, dass es so lange dauert, weil ihre rechte Hand noch immer in dem Kabelbinder hängt, öffne ich das Handschuhfach und holen ein Taschenmesser raus.

Sofort zuckt sie zurück und lässt den Burrito los, den ich gerade noch so auffangen kann.

"Nicht!", ruft sie panisch.

Wie bitte?

"Hey, ich will nur deine Hand los machen."
Ich deutemit dem Kopf ruhig auf ihr Handgelenk.
"Damit du besser essen kannst, in Ordnung?", frage ich nach ihrer Erlaubnis.
Den Gedanken, dass sie wirklich panische Angst vor mir haben muss, versuche ich zu ignorieren.

Sie nickt zwar, zittert aber immer noch. Als ich mich mit dem Messer ihrem Handgelenk nähere, greift sie abrupt nach meinem und hält mich auf.
Meine Haut brennt bei ihrer Berührung.

"Ich bin vorsichtig.", versichere ich ihr. Zögerlich nimmt sie ihre Hand wieder zurück.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt