Wie auch fast alle anderen englischen Seeleute, denen Yara Morgan begegnet war, versuchte die Besatzung der Galeone, Widerstand zu leisten. Sie machten sich für den Kampf bereit, wobei nur die wenigsten von ihnen Pistolen oder Degen hatten. Die meisten waren mit Küchenmessern oder Knüppeln bewaffnet.
Endlich war das Schiff nah genug an der Burning Witch, dass man hinüberspringen konnte. Yara gab den Befehl zum Entern und sofort stürmten die Piraten an Bord der Galeone.
Und schon begann das Kampfgetümmel.
"Da ist ein Mädchen!", hörte Yara plötzlich jemanden rufen. Sie brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass sie damit gemeint war.
Yara drehte sich zu dem Sprecher um. Ein mittelgroßer und schlanker Kerl, um die dreißig herum, stand mit erhobenen Degen da. Er trug eine Uniform, und an seinen Gürtel steckte eine Pistole.
Ohne lange zu überlegen, griff Yara an. Sie stürmte auf den Mann zu und schlug mit ihrem Säbel nach ihm. Dieser wich aus und startete einen Gegenangriff. Yara parierte die nächsten Schläge, langsam wurde sie aber ungeduldig.
"Gib auf und du behältst dein Leben!", rief sie ihrem Gegenüber zu.
"Ich denk nicht daran, Piratenabschaum", kam es zurück.
"Ich habe dich gewarnt", murmelte Yara. Dann duckte sie sich blitzschnell unter seinen Degen hindurch, zog ihr Messer und stach ihm damit in die Brust.
Fast augenblicklich fiel der Mann um. Für gewöhnlich hatte Yara nichts gegen lange Kämpfe, aber sie wollte das Schiff schnellstmöglich eingenommen haben.
"Yara ducken!", ertönte plötzlich Leon Smiths Stimme hinter ihr.
Ohne zu überlegen duckte sie sich und hörte sekundenspäter einen Schuss über ihr. Einer der Engländer sank zu Boden.
Er war der letzte Kämpfende. Alle anderen waren tot, verletzt oder hatten aufgegeben. Yara war froh darüber. Sie nickte ihrem ersten Maat dankbar zu. Schon seit Jahren verband die zwei eine enge Freundschaft, Leon Smith hatte sie stets unterstützt und Yara würde ihm ihr Leben anvertrauen.
"Durchsucht das Schiff!", befahl sie den Zwillinge Rafe und Rhodes. Der Vater der beiden war ein angesehener Bankier und durch ihn kannten sie sich, obwohl die Zwillinge kaum älter als Yara selbst waren, gut mit Geld und generell wertvollen Dingen aus. Sie konnten abschätzen, wie wertvoll etwas war, ob man es mitnehmen oder lieber ins Meer werfen sollte.
Inzwischen machte Yara sich auf, um die Gefangenen zu zählen. Es waren insgesamt fünfzehn Leute, darunter drei Schwerstverletzte und acht, die nur leicht verletzt waren. Der Captain ist im Kampfgetümmel getötet worden.
Nur wenige Minuten später kam Rafe zurück. Ein bedauernswerter Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht gelegt.
"Was ist los?", fragte Leon Smith.
"Kein Gold, keine Diamanten, gar nichts", sagte Rafe, "Nur Vorräte, die noch für ein paar Tage reichen und ein kleiner Junge."
Wie zur Bestätigung erschien Rhodes, vor ihm ging ein kleiner Junge, etwas jünger als Chris, aber vermutlich älter als Tia.
"Wer ist das?", fragte Yara skeptisch.
"Keine Ahnung. Er redet nichts", antwortete Rafe.
"Schmeißen wir ihn einfach über Bord", rief Black Jack. Er war der weitaus blutrünstigste Pirat in Yaras Crew, gleichzeitig aber auch einer der besten Kämpfer. Yara wusste wenig über ihn, er hatte weder Frau und Kinder, noch wirkliche Freunde. Vermutlich kaufte er sich mit seinem Lohn einfach Rum. Aber eigentlich war es Yara egal, was er an Land trieb. Auf offener See hatte er sich noch nie betrunken und noch wichtiger, er respektierte sie als Captain und folgte ihren Anweisungen. Mehr erwartete Yara sich auch gar nicht und alles andere war auch nicht ihre Angelegenheit.
"Wir dürfen ihn nicht über Bord werfen!", ertönte plötzlich eine leise Stimme.
Yara und die anderen fuhren herum. Tia stand an der Reling der Burning Witch.
"Tia geh wieder in die Kajüte!", rief Chris ihr zu. Er fühlte sich für sie verantwortlich, vielleicht weil sie die einzigen Kinder an Bord waren, vielleicht auch einfach, weil er Tia als die Schwester betrachtete, die er nie gehabt hatte.
"Du solltest auch gehen", knurrte Black Jack, "Das ist kein Ort für Kinder."
Kaum hatte er seinen Satz beendet, geschah es. Tia wollte auf die Galeone kommen, stolperte und stürzte hinunter.
Man hörte sie schreien, dann wurde es plötzlich still, totenstill.
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Königin der Meere
Historical FictionKaribik ca. 1716: Das goldene Zeitalter der Piraten. Die ganze Karibik ist voll davon, seien es große Piratenkapitäne, wie Blackbeard oder einfach kleine Plünderer, die vom langweiligen Leben am Festland genug hatten und Abenteuer erleben wollten. A...