Blinzelnd öffnete ich die Augen und brauchte erst einmal ein kleine Weile, um zu realisieren, wo ich war. In Hugos Bett. Ich drehte mich auf den Rücken und schaute zu ihm rüber, so gut wie das die Lichtverhältnisse zuließen. Es sah so aus, als würde er noch schlafen. Zumindest hatte er die Augen noch geschlossen. Einer seiner Arme lag quer über mir. Süß. Blind angelte ich nach meinem Handy, schaltete es an, um einmal kurz draufzuschauen. 9:00 Uhr. Das war ungewöhnlich früh für mich. Um 9:30 klingelte Hugos Wecker, das hatte er mir gestern noch erzählt. Ich legte mich wieder hin und schloss die Augen, versuchte noch einmal einzuschlafen, aber mein Kopf fing langsam an wach zu werden. Meine Gedanken fingen an zu kreisen. Um Hugo und um mich. Wie sollte das mit uns funktionieren, wenn ich wieder zu Hause war? Was war das überhaupt zwischen uns? So war das auch die ganzen letzten Tage gewesen, immer wenn ich einschlafen wollte kamen diese Gedanken. Nur gestern hatte es dann irgendwie geklappt. Mit Hugo zusammen in einem Bett, zu spüren wie er neben mir liegt, diese Wärme und Geborgenheit, die das ausstrahlte, obwohl es trotzdem noch ungewohnt war, das hatte mir irgendwie geholfen. Nach einer Weile öffnete ich die Augen wieder. Zu versuchen noch mal einzuschlafen war zwecklos, das funktionierte sowieso nicht. Vorsichtig, um Hugo nicht zu wecken, drehte ich mich ganz auf die Seite, hin zu ihm. Er lag mir zugewandt auf der Seite. Seine langen, hellen Wimpern lagen auf seinen Wangen auf und sein Mund stand leicht offen. Das erinnerte mich ein bisschen an ein kleines Kind. Vorsichtig zeichnete ich die Kontur seiner Lippen nach, nicht direkt auf seinen Lippen sondern wenige Millimeter über ihnen schwebend. Wenn er sich jetzt bewegt hätte, hätte ich seine Lippen berührt. Aber er tat es nicht, sondern schlief ruhig weiter. Er sah so friedlich aus, wie er da lag und schlief. Seine Haare, die er so gut wie nie macht, waren jetzt noch viel verstrubbelter als normalerweise. Ich mochte sie so, ich konnte mir Hugo auch nicht wirklich mit gemachten Haaren vorstellen. Er wirkte dadurch irgendwie jünger und unschuldiger. Dabei war er doch schon 18. Zweieinhalb Jahre älter als ich. Theoretisch nicht mehr im legalen Bereich, glaub ich zumindest. Aber davon habe ich keine Ahnung und mir ist das auch relativ egal. Die einzigen, die was dagegen haben konnten, waren meine Eltern und die waren erstens eigentlich schon immer relativ offen gewesen und wussten zweitens auch überhaupt nichts davon, was da zwischen uns läuft. Ob seine Eltern etwas geahnt hatten? Sie hatten in dieser Richtung nie etwas erwähnt und mich auch behandelt, wie einen ganz normalen Gast. Aber woher sollten sie auch wissen, was da zwischen uns lief. Das wusste ich ja nicht mal selbst. Was lief da? Wenn ich ihn so anschaute und dann genau in mich hinein hörte, dann war ich mir relativ sicher, dass ich mich in ihn verliebt habe. Wow. Hätte mir das jemand vor nem Jahr gesagt gehabt, dann hätte ich das selbst noch nicht geglaubt, hätte denjenigen für verrückt erklärt oder so. Aber jetzt war es wohl so. Um ehrlich zu sein war das auch gar nicht so schlecht, ich mein ich fühlte mich wohl und Hugo tat das glaube ich auch und der Rest war dann ja mehr oder weniger egal. Immerhin lebten wir mittlerweile im 21. Jahrhundert in Deutschland, beziehungsweise Luxemburg. Homosexualität war kein Verbrechen mehr und ich konnte immer noch nicht so ganz nachvollziehen, warum man überhaupt gesagt hatte, dass das ein Verbrechen sein sollte. Ich meine, es ist doch nur Liebe und Liebe tut doch niemandem weh, wenn man sich einigermaßen beherrscht. Wie kann es denn falsch sein, jemanden zu lieben?
Homosexualität. War ich schwul? Die Frage hatte ich mir in den letzten Tagen auch schon öfter gestellt und nie hatte ich ein wirklich befriedigende Antwort finden können. Eigentlich dachte ich immer ich wäre hetero, aber das stimmt jetzt ja wohl nicht. Aber schwul war ich doch auch nicht, oder? Ich meine, ich fand vorher Frauen attraktiv und finde sie jetzt auch immer noch attraktiver als Männer. Mal abgesehen von Hugo. Aber Männer waren ja auch nicht zwangsläufig unattraktiv. Wieso war das alles überhaupt so kompliziert? Konnte das nur eine Phase sein? Ich schaute Hugo wieder an. Irgendwie wollte ich aber gar nicht, dass das hier eine Phase war. Dafür fühlte es sich einfach zu gut an. Konnte das mit den Frauen nur eine Phase gewesen sein? Aber da waren doch auch Gefühle im Spiel gewesen. Ich hatte mich schließlich auch da verliebt, oder doch nicht? Wenn ich das mit meinen jetzigen Gefühlen verglich, das hatte sich schon anders angefühlt. Konnte man sich Liebe einreden? Hatte ich mir Liebe eingeredet? Was ist Liebe überhaupt? Ist das nur ein Gesellschaftliches Konstrukt, um uns alle zusammen zu halten, oder ist das tatsächlich wissenschaftlich belegbar?
Hugo bewegte sich ein bisschen, die Decke rutschte etwas weiter runter und seine Hand schlang sich noch fester um mich. So als würde er mich nie loslassen wollen. Aber egal was genau früher war, das jetzt fühlte sich so echt an, das konnte man sich nicht einfach einreden. Ich legte meine Hand auf seine, ganz ähnlich wie vor unserem ersten Kuss. Bis heute konnte ich nicht ganz begreifen, wieso ich ihn geküsst hatte. Es kam irgendwie einfach so. Was er da gesagt hatte und die ganze Situation, das hatte irgendwie einfach gepasst. Und dann kam da dieses riesige Verlangen, ihn einfach zu küssen. Ich hatte dem Verlangen nachgegeben. Ich glaube, das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens gewesen, auch wenn ich in dem Moment gedacht hatte, es wäre eine der schlimmsten gewesen. Ich hatte so Angst vor Hugos Reaktion gehabt, aber er hatte es so positiv aufgenommen. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Jetzt lag ich hier, zusammen mit ihm in seinem Bett. Das war so insane, ich hätte das einfach niemals erwartet. Nicht einmal, als wir uns dann zum ersten Mal gesehen hatten. Das war jetzt eine Woche her, dass ich Hugo das erste Mal gesehen hatte. Auch wenn ich ihn vorher schon von Bildern kannte, das konnte man einfach nicht auf ein Bild bekommen. Jemanden das erste Mal zu sehen war halt nochmal was ganz anderes. Nicht nur mit jemandem im Call zu sitzen und zu reden, sondern denjenigen theoretisch auch anfassen zu können. Und dann ausgerechnet jemanden zu treffen, dessen Aussehen nicht öffentlich war, war nochmal krasser. Ob er sich das auch gedacht hatte, dass das so insane war, dass wir uns einfach getroffen hatten. Und das nicht einmal auf einer Gamescom. Eigentlich wollten wir uns da treffen, aber jetzt hatten wir uns einfach schon vorher getroffen. Aus einer Idee, für ne Woche nach Luxemburg zu nem Kumpel zu fahren und da dann nen anderen Kumpel zu treffen. Dass sich daraus dann sowas ergibt, hätte vorher niemand erwartet, nicht einmal Arfore, der das ganze ausgelöst hat. Meine Eltern musste ich auch dankbar sein. Schließlich hatten die mir überhaupt erst erlaubt Arfore zu besuchen und wenn sie mir nicht erlaubt hätten, noch länger zu bleiben, dann würde ich jetzt nicht hier liegen. Sanft streichelte ich über Hugos Arm. Das war irgendwie ungewohnt, aber trotzdem irgendwie seltsam vertraut. Als ob ich das schon mal gemacht hätte. Als ob ich das schon mal erlebt hätte. Ich merkte nicht, dass Hugo mittlerweile wach war. Erst als mich ein verschlafenes "Na" begrüßte schaute ich ihn wieder an.
"Na", antworte ich. Er schaute mir direkt in die Augen und ich hielt seinem Blick stand. So lang bis er mich küsste. Unsere Lippen trafen aufeinander und es fühlte sich einfach nur richtig an. Irgendwie wie angekommen sein.

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Tonight
FanfictionWenn alles zusammenbricht, was bleibt dann noch? Eigentlich gibt es nichts mehr, woran ich mich festhalten könnte und trotzdem klammere ich mich daran. Der Moment lässt mich ein bisschen mehr alles schlechte vergessen. Ein bisschen besser als okay. ...