Tag 3

5 1 0
                                    

Am nächsten Morgen zogen sich die beiden nicht gleich an. Haily trug eine Hotpants, ein Crop-top und sie hatte ihre langen, lockigen, braunen Haare in einem seitlich geflochtenen Zopf gebunden, den Larissa ihr gemacht hatte. Kaily hingegen hatte einen Jumpsuit an und ihre geglätteten Haare offen. Wenn die beiden nicht dasselbe trugen, war das meistens ein Zeichen dafür, dass sie sich gerade stritten.

In der Schule setzte Kaily entschlossen neben Tobias, der ihr freundlich zulächelte: „Darf ich?", fragte sie. Er nickte nur und lächelte dabei immer noch. Haily stand entsetzt vor den beiden, schlürfte dann aber wieder auf ihren Platz wo sie sonst saß. In der Frühstückspause lachte Kaily die ganze Zeit mit Tobias und er durfte wieder das Spiel spielen. In der zweiten Stunde arbeitete Kaily super mit und half auch Tobias, da er bei manchen Sachen Schwierigkeiten hatte. Sogar Frau Ziegler lobte sie. Argh! Dachte sich Haily. Ich hasse sie! Wieso macht sie das? Was soll das? Dabei warf sie immer mal wieder böse Blicke in den Rücken ihrer Zwillingsschwester.

Nach der Stunde war Hofpause angesagt. Haily war die erste die den Klassenraum verließ und auf den Hof stürzte. Ohne Pause rannte sie durch das Schulgebäude nach unten über den Hof zum Schulpark des Gymnasiums. Da stand auch schon Tarik und sie fiel ihm in die Arme. Er drückte sie ganz fest an sich, so als würden sie sich nie wiedersehen. „Ist alles gut?", fragte er Haily. Sie nickte nur und löste sich aus seinem Griff. Nach und nach kamen auch Tarik seine ganzen Freunde, die sich mit dazu stellten. Haily konnte sie gut leiden. Überhaupt die Freunde von ihren Geschwistern. Sie sagt immer, dass sie nicht so langweilig wären wie die Kinder in ihrem Alter. „Ach Tarik dich habe ich gesucht.", sagte Frau Ziegler etwas lauter und kam auf ihn drauf zu. Da sie Haily noch nicht bemerkt hatte, versteckte sie sich hinter Tyler, ein Freund von Tarik. Er registrierte das gleich und machte sich extra ein bisschen breiter, obwohl Haily klein und dünn genug war sich auch so hinter ihm oder den anderen zu verstecken. Frau Ziegler fuhr mit dem Gespräch fort: „Also deine kleine Schwester Kaily hat heute sehr gut mitgemacht, den Unterricht nicht gestört und sogar einem Klassenkameraden geholfen. Ich freue mich darüber wirklich, vor allem wenn sie so weiter macht. Ich sag ihr das natürlich nach dem Unterricht auch nochmal, aber ich wollte, dass du es oder deine anderen Geschwister auch wisst. Ich weiß ja, dass sie einen schwierigen Start hatten. Sagst du es ihr bitte trotzdem nochmal?" „Mach ich.", sagte Tarik kurz und knapp. Daraufhin ging sie wieder. Haily kroch langsam wieder hinter Tyler hervor. Er nahm seine Arme und legte sie um ihre Schulter. Es herrschte Still niemand sagte auch nur irgendwas und keiner wusste warum. Haily und Tarik schauten sich an, bis sie ihren Blick senkte. „Können wir kurz reden?", fragte Tarik sie zögerlich. Haily sah ihn mit ihren großen rehbraunen Augen etwas ängstlich an, dann löste sie sich schnell von Tyler und rannte weg. Zu ihrem Glück war die Hofpause vorbei und sie konnte ins Klassenzimmer. In der Stunde war sie noch wütender als zuvor. Wieso immer Kaily? Fragte sie sich. Sie schaute ihre Schwester wieder böse an. Zwischendurch ließ sie ihren Blick auch mal durch die Klasse schweifen. 21 Schüler waren sie und Haily hasste gerade jeden. Ihr Blick stoppte bei Ben, der gestern Tobias eine Alufolienkugel zugeworfen hatte. Ben sah etwas angestrengt aus. Ob ihm die Aufgaben wohl schwerfielen? Fragte sich Haily. Vielleicht sollte ich ihm auch helfen? Dann werde ich bestimmt auch gelobt! Mit einem erzwungenen Lächeln stand sie auf und ging rüber zu Ben. Als sie gerade vor ihm stand, fragte Frau Ziegler: „Haily was soll das?" Sie drehte sich zu ihr um. Alle Blicke waren auf Haily gerichtet: „Ich wollte Ben helfen." Die Lehrerin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: „Aber du kannst doch nicht einfach aufstehen, mitten im Unterricht. Da musst du erst fragen." „Das ist unterlassene Hilfeleistung!", sagte Haily ihr trocken entgegen. „Bitte was?", fragte Frau Ziegler etwas verwundert. „Das ist unterlassene Hilfeleistung", wiederholte sie. „Wenn jemand auf der Straße liegt und fast keine Luft mehr bekommt, fragen sie dann auch erst, ob sie helfen dürfen?" Haily schaute sie scharf an. Frau Ziegler war immer noch verblüfft von dieser Antwort. Stille herrschte in der Klasse. Haily wurde etwas rot im Gesicht und ihr standen die Tränen in den Augen, als sie plötzlich losschrie: „Ich wollte ihm nur helfen! Aber alles ist falsch! Und wenn Kaily das macht, wird sie auch noch gelobt!? Ihr könnt mich alle mal!" Mit diesen Worten rannte sie aus dem Zimmer. Frau Ziegler wollte Haily noch aufhalten, aber da war sie schon weg. Ein Gemurmel brach in der Klasse aus. „Ihr bleibt alle hier und verhaltet euch ruhig! Ich suche Haily!", sprach die Lehrerin entschlossen zur Klasse und eilte nach draußen. Vor der Tür des Klassenzimmers war noch ein Vorraum wo die Schüler ihre Jacken aufgehängt hatten. Frau Ziegler durchwühlte schnell die Sachen in der Hoffnung Haily hätte sich bloß hinter den Jacken versteckt. Aber da war sie nicht, auch nicht unter dem Tisch im Vorzimmer. Haily ist aus dem Vorzimmer rausgerannt und bog nicht nach links um die Treppe nach unten zu nehmen, sondern rannte geradeaus. Erst an einem Klassenzimmer vorbei und dann an den Toiletten. Haily war noch nie weiter, als bis dahin doch sie rannte weiter. Zu ihrer linken und rechten waren jeweils noch ein Klassenzimmer, an denen sie vorbeilief. Zirka 5 Meter vor ihr erblickte sie wieder ein Vorraum und ein Klassenzimmer. Haily wurde langsamer und atmete schnell. Doch sie hörte plötzlich eine Tür die aufging. Es war die Tür aus der Frau Ziegler in 20 Meter Entfernung raus kam. Haily bog hektisch nach links und nahm die Treppe die hier ebenfalls nach unten ging. Auf der linken Seite war eine Glastür wo es nach draußen auf den Hof ging und auf der rechten Seite war ebenfalls eine Glastür die aber in einen anderen Gang führte. Da Haily nicht mehr viel Zeit hatte, weil die Schritte immer näherkamen, nahm sie die Tür zu ihrer rechten. Haily lief den kurzen Gang entlang, bis sie wieder stoppte. Links war wieder eine Tür, aus der allerdings das Gemurmel von Schülern kam. Also entschied sie sich dem Gang nach rechts weiter zu folgen. Frau Ziegler war inzwischen auch bei der Treppe unten angekommen und schaute flüchtig aus der Glastür zum Hof. Haily wusste wo sie war. Gegenüber von ihr war ein Klassenraum und rechts war die Glastür durch die sie immer gingen, wenn sie zum Hof wollten. Außerdem war rechts auch die Treppe die nach oben zu ihrem Klassenzimmer führte. Haily war im Kreis gelaufen. Verzweifelt seufzte sie. Doch im Augenwinkel sah Haily noch eine Glastür die nach draußen führte, vom Schulgebäude weg. Sie ging langsam auf die Tür zu, doch sie war verschlossen. Haily blickte hektisch um sich. Plötzlich hörte sie wieder eine Tür zuknallen. Das war bestimmt die die zum Gang führte, aus dem sie gerade rausgekommen war. Haily liefen die Tränen übers Gesicht. Sie riss vor Wut die Tür auf und rannte raus auf den Hof. Frau Ziegler war genauso verzweifelt, sie machte sich nicht nochmal die Mühe auf den Hof zu gehen, sondern schloss die Glastür auf, wo Haily vorhin nicht durchkam und ging raus. Sie tippelte schnell die fünf Stufen runter und marschierte schnell die Straße entlang. Nach ungefähr zehn Metern bog sie nach links ab und ging durch das Tor vom Gymnasium. Ohne nach links und nach rechts zu schauen stürzte sie den Weg hoch bis zur Eingangstür. Eilig lief sie die Treppen hoch und suchte das Klassenzimmer von Emilio. Haily war inzwischen auf dem Fußballplatz und kickte den Ball der in der Ecke lag sinnlos gegen den Zaun. Ihr liefen immer noch die Tränen übers Gesicht. Nach dem Frau Ziegler Emilio's Klassenzimmer ausfindig gemacht hatte holte sie ihn aus der Klasse und schilderte ihm die Situation. Die beiden machten sich auf den Weg nach unten. Haily wurde immer wütender und sie kickte den Ball mit vollem Karacho immer wieder gegen Zaun, der den Fußballplatz umgab. Das machte ziemlich laute Geräusche, da der Zaun aus so einer Art wie Stahl bestand. Dadurch dass es so laut war, bekam Emilio das mit und rannte sofort los. Frau Ziegler lief eilig hinterher, aber er war sehr viel schneller da er mit Vollspeed auf den Fußballplatz zusteuerte. Haily bekam das alles gar nicht mit. Sie trat immer noch voller Wut gegen den Ball. Emilio sprang mit einem Satz die fünf Stufen hoch und riss das Tor zum Fußballplatz auf. Ohne zu stoppen nahm er Haily in den Arm und kickte den Ball weg, der gerade auf die beiden zusteuerte. Er drückte sie ganz fest an sich. Haily war erst erschrocken doch jetzt weinte sie in sein T-Shirt rein, als gäbe es keinen Morgen mehr. So standen sie eine ganze Weile da, bis Frau Ziegler auch endlich ankam. Sie sah die beiden besorgt, aber auch etwas wütend an. Emilio nickte ihr zu, was bedeuten sollte, dass er sich um Haily kümmert und sie wieder in die Klasse zurück gehen sollte. Frau Ziegler nickte ihm dankend zu. Haily bekam davon überhaupt nichts mit, sie weinte immer noch wie verrückt. Als Emilio merkte, dass sein T-Shirt komplett nass war und man seine Bauchmuskeln schon sah drückte er sie vorsichtig von sich weg. Haily sah vor lauter Tränen alles verschwommen. Sie schluchzte einmal auf, dann bemerkte sie die Situation und wurde panisch. Sie wollte weg, doch Emilio hielt sie noch rechtzeitig am Arm fest. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, wischte er Haily die Tränen weg. Sie sank langsam zu Boden und lehnte sich an den grünen Zaun. Emilio zog sein durchnässtes Shirt aus und setzte sich daneben. Haily atmete schnell und starrte ins Leere. Er schaute sie kurz an und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Eine Weile saßen sie so da, bis es klingelte. Die ersten Schüler kamen schon raus. Emilio stand schnell auf und reichte Haily seine starke braungebrannte Hand: „Komm lass uns abhauen." Sie stand auf, ignorierte aber die Hand. „Ich geh nirgendwo hin!", protestierte Haily und ging ein Schritt von ihm weg. Die Schüler aus der Grundschule gingen in den Hort und mussten deswegen am Fußballplatz vorbei. Manche aus Haily's Klasse schauten sie verwundert aber auch ein bisschen ängstlich an. Aus dem Gymnasium kamen auch Schüler. Da Emilio Oberkörperfrei auf dem Fußballplatz stand landeten auch viele Blicke, vor allem von Mädchen, auf ihm. Haily fühlte sich wie ein Tier im Zoo und die Emotionen platzten nur so aus ihr heraus. „Hört auf so zu geiern, ihr Schlampen!", rief sie ein paar Mädels zu die ihre Blicke von Emilio's muskulösen Oberkörper nicht abwenden konnten. Dann drehte Haily sich abrupt zu den Schülern aus ihrer Klasse: „Haut ab ihr Wichser!" Sie wollte auf sie zu rennen, aber Emilio hielt ihren Arm so fest, dass sie nicht von der Stelle kam. „Geht jetzt bitte!", sagte er und schaute die Schüler streng an. Emilio ging mit Haily am Arm vom Fußballplatz runter. Sie konnte sich nicht von ihm befreien. Die beiden gingen ins Schulgebäude rein, gegen den Strom. Sie bekamen immer mal wieder verwunderte Blicke, ließen sich aber davon nicht abhalten. Im Vorzimmer zog Emilio sein T-Shirt wieder an und öffnete die Tür zum Klassenzimmer. „Ich will nicht!", schluchzte Haily. Er machte die Tür langsam wieder zu und schaute sie an: „Wieso hast du das gemacht? Was sollte das?" Ohne darauf zu antworten stellte Haily die nächste Frage: „Können wir bitte einfach gehen?" Emilio sah sie streng an: „Du bist abgehauen! Wir können nicht einfach gehen!" „Dann geh ich eben!", schrie Haily schon fast und wollte erneut weglaufen. Doch er nahm sie diesmal nicht nur am Arm, sondern hob sie gleich hoch. Haily fing wieder an zu weinen und Emilio drückte sie ganz fest an sich ran bevor er die Tür öffnete. Nach dem Gespräch ging es Haily wieder etwas besser.Sie hatte sich tausendmal entschuldigt und gesagt, dass es nie wieder vorkommenwird. Zu Hause ging Haily ihrer Zwillingsschwester aus dem Weg. Um sich nochein bisschen abzuregen machte sie mit Emilio noch ein bisschenSelbstverteidigung, was ihr ganz guttat.

2190 TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt