Kapitel 3

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Als es endlich zum Schulschluss klingelte war es viertel nach zwei. Ethik war unfassbar langweilig gewesen. Paul hatte neben mir fast die ganze Stunde verschlafen, so wie fast die Hälfte des Kurses und Frau Schulze hatte sich vorne mit Till, einem unserer Mitschüler über das Thema Umweltverschmutzung gestritten. Till fand es lustig zu provozieren, was er auch regelmäßig tat. Und Frau Schulze ging jedesmal darauf ein. Ich fand es normalerweise kindisch, doch heute war es recht unterhaltend gewesen. „Man sieht sich.", verabschiedete ich mich von Paul. Er hob die Hand und verschwand mit gesenktem Kopf in der Schülermenge. Er hatte noch eine Probe mit der Theater-AG. Als er mir das erste mal von seinem schauspielerischen Talent erzählt hatte, wollte ich es erst nicht glauben. Bis ich ihn dann das erste mal auf der Bühne sah. Er war wie ein anderer Mensch gewesen und man hatte gesehen, dass ihm diese Momente die Welt bedeuteten. Ich steuerte auf den Ausgang zu. Als ich auf den Schulhof trat, atmete ich die kalte, trockene Luft ein. Automatisch entspannten sich meine Muskeln und ich schlenderte gemütlich zur Bushaltestelle. Ich hatte noch zehn Minuten zu warten. Neben mir standen ein paar Schüler aus der Q2, die sich über den vielen Stoff beschwerten. Ich verstand es nicht. Unsere Schule war ein Gymnasium, natürlich war der Stoff komplexer. Ich wusste selbst nicht, wie die nächsten zweieinhalb Jahre werden würden,  aber ich hatte vor mein bestes zu geben. Als ich endlich im Bus saß, stöpselte ich mir meine Ohren mit den Kopfhörern zu und lehnte meinen Kopf gegen das Fenster. Müdigkeit überkam mich und ich hatte Schwierigkeiten nicht einzuschlafen. Ein paar Minuten später hielt der Bus glücklicherweise an meiner Haltestelle und ich konnte aussteigen. Gemütlich lief ich die Straße entlang. Ich konnte mir Zeit lassen. Zuhause wartete sowieso niemand auf mich. Und ich hatte sowieso nicht vor zu bleiben. Von Amanda wusste ich, dass sie heute von 14 bis 16 Uhr eine Schicht hatte, weshalb ich sie besuchen würde. Zuhause brachte ich nur meinen Rucksack in mein Zimmer und hinterließ meiner Mutter eine Notiz auf dem Küchentresen, damit sie nicht wieder wütend wurde, weil ich nicht Zuhause war. Dann verließ ich das Haus wieder und spazierte die fünf Minuten die Straße hinunter zum Café Bellissimo . Zufälligerweise war das Café italienisch und automatisch musste ich wieder an Herr Russo denken. Ich beschloss ihn für den restlichen Tag aus meinem Kopf zu verbannen und betrat den gemütlichen Raum. Das kleine Glöckchen über meinem Kopf klingelte, als ich eintrat. Es waren noch nicht viele Menschen hier. Die meisten kamen immer gegen 15 oder 16 Uhr. Und meistens waren es Schüler meines Gymnasiums oder der benachbarten Realschule. Gerade jetzt wegen den Abi- und Vorabiturprüfungen. Ich durchquerte den Raum und ließ mich an meinem Stammtisch nieder, einer bequemen Sofaecke und einem runden Tisch. Gelegentlich traf ich mich hier auch mit Emilia, Kyle und Paul. Emilia wollte heute ebenfalls kommen, aber sie hatte noch einen Termin, weshalb sie sich für halb vier ankündigte. Nach ein paar Minuten sah ich Amanda. „Hey, meine Lieblingscousine ist ja da." Ich erhob mich und umarmte sie grinsend. „Ich bin deine einzige Cousine.", erinnerte ich sie. Amanda lachte. „Und wie war dein erster Schultag?",, fragte sie und setzte sich zu mir. „Ganz okay soweit. Wir haben einen neuen Lehrer bekommen. Ich glaube er ist der attraktivste Mann, den ich jemals getroffen habe." Ihre braunen Augen wurden groß. „Erzähl!" Gespannt beugte sie sich vor. Doch bevor ich anfangen konnte zu erzählen, wurden wir von einem der Kellner unterbrochen. „Amanda, keine Schwätzchen jetzt, heb dir das für nach deiner Schicht auf." Meine Cousine verdrehte die Augen. „Ich komm gleich nochmal wieder. Was möchtest du?" „Einen Kakao mit Marshmallows bitte und ein Stück Erdbeerkuchen." „Kommt sofort." Schon war sie wieder weg und ich lehnte mich zurück in das bequeme Lederpolster. Kurz darauf kam Amanda schon mit meiner Bestellung zurück, doch sie konnte wieder nicht bleiben, denn das Café begann sich zu füllen. Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit Amanda beim Bedienen zu beobachten und meinen Kakao zu trinken. Irgendwann galt meine Aufmerksamkeit dann dem Kuchenstück. Es war mal wieder ein Traum. „Ach hallo.", riss mich plötzlich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen und hob meinen Kopf, um in die grünen Augen meines neuen Lehrers zu blicken. Gefesselt sah ich ihn an. Es schien so, als würden feine Risse seine Iriden zu durchziehen. Sie erinnerten mich leicht an einen zerbrochenen Spiegel. Seine Augen waren so ausdrucksstark und doch schienen sie so warm. „Darf ich mich setzten?" „Mmh, wie bitte?", murmelte ich gedankenverloren, bevor ich vollends realisierte, wer da vor mir stand. Ich riss meine Augen auf. „Natürlich, Entschuldigung, setzten Sie sich ruhig.", stammelte ich. Unauffällig ließ ich meinen Blick durch den Raum gleiten und stellte fest, dass alle Tische besetzt waren. Lächelnd ließ er sich vor mir auf dem Sofa nieder, auf dem Amanda zuvor gesessen hatte. Ob es irgendwie komisch rüber kam, hier mit meinem Lehrer zu sitzen? An einem öffentlichen Ort? Meine Gedanken überschlugen sich. „Ist der Kakao gut?", riss Herr Russo mich ein weiteres Mal aus den Gedanken. „Äh, ja, sehr gut." Ich lächelte unbeholfen, woraufhin er mich intensiv ansah. „Was darf ich Ihnen bringen?" Plötzlich stand Amanda an unserem Tisch. „Ich hätte gerne einen Kakao mit Marshmallows bitte." Sie nickte. „Darf ich dir noch was bringen, Liv?" Dabei zwinkerte sie mir zu. „N-Nein, danke. Ich warte hier nur noch auf Emilia, sie wollte eigentlich jeden Moment kommen." „Willst du schonmal für sie bestellen?", frage sie. „Dann einen Café Latte bitte, mit viel Sahne." „Alles klar." Amanda notierte sich unsere Bestellungen auf ihrem Block und verschwand wieder Richtung Küche. „Das war meine Cousine.", erwähnte ich und hätte mich sofort wieder ohrfeigen können. Wie unnötig war das jetzt gewesen? „Schön. Sie scheint nett zu sein." Ich nickte nur gezwungen und spielte mit einer meiner langen braunen Haarsträhnen. „Ach hallo Herr Russo, hey Liv. Was machen Sie denn hier?" Emilia tauchte neben uns auf. Ihre blasse Haut war gerötet und sie wickelte sich gerade ihren Schal ab, um ihren langen Mantel loszuwerden. Ihre Haare lagen zerzaust auf ihrem Kopf. „Hallo Emilia." Herr Russo lächelte. „Meinem Bruder gehört dieses Café und da wollte ich natürlich mal vorbei schauen. Und wie es der Zufall will, bin ich heute mit Olivia zusammen gestoßen." „Ja, davon hat sie mir erzählt." Diabolisch sah meine beste Freundin mich an und ließ sich schwerfällig neben mich fallen. „Und, Herr Russo, was treibt Sie hier her? Ich hab gehört, Sie haben in den USA studiert." „Na es scheint, als würde sich das ja schnell hier herum sprechen." Er lachte und fuhr sich durch seine Haare. Wie gerne ich das jetzt auch machen würde. Unpassender Moment, Olivia! Ermahnte ich mich. „Aber ja, das stimmt. Aber ich bin hier aufgewachsen, deshalb wollte ich wieder zurück." Er wandte sich an mich. „Ich habe eine Olivia Lorenz in meinem Sportkurs, ich nehme an, dass du das bist?" „Ja, das bin ich." Ich nickte. „Schön, dann sehen wir uns ja morgen." Erneut sah er mich so intensiv an. Ich konnte mir das doch nicht ständig einbilden. „Ich kann euch übrigens verraten, dass ich erstmal den Unterricht für Herr König in Englisch in eurem Kurs übernehmen werde." „Oh, warum das?" Emilia klang leicht bestürzt. Aus unerklärliche Gründen liebte sie unseren alten Englischlehrer. „Er liegt wohl im Krankenhaus, mehr weiß ich nicht." „Oh.", sagte sie nur. „Keine Sorge, ihr schafft das auch mit mir." Grinsend zwinkerte er uns zu.

Verborgene Lust Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt