Kapitel 6

50 2 0
                                    

Ich hielt den Atem an. So nah war er mir noch nie gekommen. Seine große Hand umschloss meinen rechten Oberarm und er begann damit das Blut von meinem Arm zu tupfen. Ich drehte mich leicht, sodass ich etwas mit dem Rücken zu ihm saß. Ich bildete mir ein seinen heißen Atem in meinem Nacken zu spüren und mein Bauch fing an zu kribbeln. Herr Russo war fertig damit meine kleine Wunde von meinem Blut zu befreien und ließ seine Hand langsam an meinem Arm hinunter gleiten. Mein Atem verschnellerte sich. Seine andere Hand berührte meinen Nacken und umschloss von vorne meinen Hals. Leicht drückte er mich nach hinten, sodass mein Rücken seine starke Brust berührte. Ich schloss meine Augen und keuchte. Seine Hand fuhr meinen Arm wieder nach oben, über meine Schulter und hinunter zu meinem Brustansatz. Das Kribbeln in meinem Bauch wurde immer stärker und ich spürte wie sich Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen sammelte. Zischend atmete ich aus. Was passierte hier? Das durfte gar nicht sein. Es war verboten. „Herr Russo..." Meine Stimme war nur noch ein Flüstern. Plötzlich klingelte es. Herr Russo zuckte zusammen und sprang augenblicklich auf. Mit großen Schritten verließ er die Umkleide und ließ mich verwirrt und mit pochendem Herzen zurück.

Gedankenverloren saß ich in der Pausenhalle auf der Fensterbank und versuchte mich auf die Musik von Nirwana zu konzentrieren. Gegenüber von mir saß Emilia, die verzweifelt versuchte sich den Stoff für die Matheklausur einzuprägen, die wir nächste Woche schreiben würden. Ich hatte es aufgegeben dafür zu lernen. Es würde sowieso nichts bringen. Mathe war absolut nicht meine Stärke. Die Jungs waren losgegangen, um Pizza zu kaufen und sie hatten Emilia damit beauftragt auf mich aufzupassen, damit ich nicht weglaufen würde. Aber wo sollte ich mit einem verletzten Knöchel auch hinlaufen. Ich hatte meine Mutter angerufen. Sie würde mich nach der Mittagspause abholen und zum Arzt bringen, da sie nicht früher Feierabend hatte. Ich würde so zum Glück nichts verpassen, da Kunst sowieso ausfiel. Netterweise blieben meine Freunde, mit denen ich Kunst zusammen hatte ebenfalls bei mir und leisteten mir Gesellschaft. Ich hatte bisher noch niemandem erzählt, was zwischen mir und Herr Russo passiert war. Gerade stimmte Nirwana den Refrain von Polly an und ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, bis mich ein spitzer Schrei von Emilia zurück in die Realität holte. Ich sah sie, wie sie aufgeregt auf die Jungs zu hüpfte, die mit zwei Pizzakartons auf uns zu steuerten. Kyle ließ sich neben mir nieder. „Ich hab uns Schinkenpizza geholt.", grinste er stolz. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und ich zog die Kopfhörer aus meinen Ohren. Ich schielte kurz zu Paul und Emilia, die sich aber eine Pizza Hawaii teilten. Etwas, das ich niemals essen würde. Aufgeregt öffnete ich den Pizzakarton und schnappte mir ein Stück. Genüsslich nahm ich einen Bissen und lehnte mich an Kyles Schulter, der sich ebenfalls ein Stück genommen hatte. „Schmeckts?", fragte er. „Mhm." Begeistert nickte ich und Kyle lachte. Ich drehte meinen Kopf leicht und sah plötzlich Herr Russo, welcher langsam die Pausenhalle durchquerte. Sein intensiver Blick durchbohrte mich dabei regelrecht und mein Magen schnürte sich zu. Schluckend wandte ich meinen Blick wieder von ihm ab und richtete mich auf. Mich machte es ganz verrückt, dass ich nicht wusste, was das zwischen uns war. Und ich wusste, dass ich ihn darauf ansprechen musst. Sonst würde ich keine ruhige Minute mehr haben. Seine Haut hatte sich so gut auf meiner angefühlt. Für diesen Mann würde ich meine Vernunft über Bord werfen. Und doch hielt mich diese kleine Stimme in meinem Kopf davon ab. Wollte ich das wirklich riskieren?

Gedankenverloren saß ich abends schließlich auf der Couch. Im Hintergrund lief Grey's Anatomy. Doch ich passte nicht wirklich auf. Mal wieder war ich mit den Gedanken bei Herr Russo. Selbst meiner Mutter war aufgefallen, dass ich mich anders verhielt als sonst. Sie hatte mich sogar gefragt, ob ich mit ihr darüber reden wollte. Doch das kam für mich schon seit Jahren nicht mehr in Frage. Sie würde es nicht verstehen und mich als unvernünftig und leichtsinnig betiteln. Stattdessen hatte ich geantwortet, dass ich Stress in der Schule hätte. Dies hatte sie ohne etwas zu erwidern akzeptiert und mich zu unserem Hausarzt gefahren, der bei mir eine leichte Verstauchung diagnostizierte und mir empfahl meinen Fuß ein bis zwei Wochen ruhig zu halten und danach noch einmal zur Kontrolle herzukommen. Ich nahm es so hin, was hätte ich auch machen sollen?
Am Rande bekam ich mit, wie mein Vater nach Hause kam und sich zu mir auf die Couch setzte. „Hey mein Schatz." Er gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. „Hey Papa." Ich lächelte. „Was ist mit deinem Fuß passiert?", erkundigte er sich. „Ich bin heute beim Sport umgeknickt, nichts dramatisches.", spielte ich es herunter. „Ich soll ihn nur zwei Wochen nicht belasten." Mein Vater nickte, dann entstand wieder Schweigen zwischen uns. Ich mochte diese Momente, die leider viel zu wenig vorkamen. Diese Momente wo ich einfach ganz normal Zeit mit einem meiner Elternteile verbringen konnte, ohne dass es Streit gab. Ich wusste, dass meine Mutter schon im Schlafzimmer war und schlief. In einer Art stimmte es mich traurig, in der anderen entspannte es mich auch, da ich mir so sicher sein konnte, dass sie sich heute nicht mehr mit meinem Vater streiten würde. Mein stummgeschaltetes Handy vibrierte. Es war Emilia, die sich nach meinem Fuß erkundigte. Kurzerhand sagte ich meinem Vater Gute Nacht und humpelte in mein Zimmer, um sie anzurufen. „Hey Liv.", ertönte da auch schon die vertraute Stimme meiner besten Freundin am anderen Ende der Leitung. „Hey." Ich ließ mich auf mein Bett fallen und schnappte mir meine Fernbedienung, um Élite weiterzuschauen. „Meinem Fuß geht's gut, ich soll ihn zwei Wochen ruhig halten. Das heißt kein Sport für mich.", grinste ich. „Vielleicht sollte ich mir auch den Fuß verstauchen.", überlegte Emilia. Ich lachte. „Keine gute Idee." „Stimmt.", lenkte sie ein und seufzte. „Wie geht's Theo?", fragte ich sie schließlich. Ich hörte wie sie stöhnte. „Er nervt mich.", murrte sie. „Ständig kommt er mir damit, dass wir uns nicht so oft sehen können, weil er zu viel mit seiner Ausbildung zu tun hat." „Das wird schon wieder.", versuchte ich sie aufzumuntern. Darauf erwiderte sie erstmal nichts. „Liv, ich glaube ich kann das nicht mehr.", sagte sowie plötzlich. „Dieses ständige Hin und Her mit uns, das tut mir nicht gut." „Och Emilia." Ich richtete mich auf und hörte schon wie sie anfing zu schluchzen. „Kann ich zu dir kommen?", fragte sie schniefend. „Natürlich, komm her, ich warte auf dich.", sagte ich sofort. Sie legte auf und ich stieg wieder aus dem Bett. Und ich wusste, dass ich Herr Russo für heute aus meinen Gedanken verbannen musste.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 14, 2023 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Verborgene Lust Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt