1. Kapitel: Gelöste Ketten

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Das Licht des schwindenden Tages schimmerte nur schwach in dem kleinen Raum.
Zwischen den Holzdielen schlüpften vereinzelt Schatten hindurch, die zu vorbei gehenden Leuten gehörten.
Die gesamte Atmosphäre war zudem vom kontinuierlichen Knacken begleitet.

Im Raum selbst waren zahlreiche Kisten und Fässer mit allerlei Essen, Trinken und anderen Dingen befüllt.
Jedes mal, wenn sich das Schiff drehte oder eine Welle besonders stark war, rutschten die Gegenstände im Raum umher.
Manchmal trafen sie dabei das in der einen Ecke des Raumes angekettete Mädchen, was zu vielen blauen Flecken, Splittern oder Prellungen führte.

Eisenketten hielten ihre Arme und Beine fest umschlungen. Aber der Schmerz und die schreckliche Kälte des Metalls waren Alltag für die Gefangene.
Ihr dreckiges, blondes Haar hing ungepflegt an ihrem Kopf herunter.
Die Augen waren leer und zur Tür gerichtet.
Sie hatte ihr Schicksal akzeptiert!

Eine dicke Ratte trat in das Sichtfeld des Mädchens, aber auch das widerliche Tier erweckte keine Regung im Gemüt.
Mit rasselnden Zähnen näherte sich die Ratte. Der Körper des Mädchens war sehr abgemagert, aber für die Ratte wäre es eine Mahlzeit, von der sie wochenlang zehren könne.

Als die Ratte ihre Zähne in einem Arm des Mädchens versenken wollte, wurde sie jedoch von kleinen schattenhaften Kreaturen am Schwanz gepackt.
Die hungrige Kreatur wandt sich wütend um und schnappte nach den Wesen, aber sie konnte keinen ihrer Angreifer treffen. Stattdessen verpufften sie. Aber zwischen dem Gerümpel kamen viele weitere schattenhafte Wesen zum Vorschein.
Die kleinen Schattenlinge traten und schlugen mit ihren winzigen Ärmchen und Beinchen auf die Ratte ein.
Das Tier hatte kaum Schmerzen von den kläglichen Angriffen, geriet jedoch trotzdem in Rage bei der Menge an Gegnern.
Schließlich floh die Ratte in eine dunklere Ecke, wo kein Schattenling ihr folgte.

Das Mädchen hatte nichts von alldem wirklich realisiert und starrte weiterhin mit leblosen Blick ins Leere.
Die Wesen tappsten in lustigen Tänzen auf das Mädchen zu und krabbelten an ihrem langen, dreckigen und kaputten Kleid hinauf.
Einer der Schattenlinge streichelte ihr die Wange, doch erneut gab es keine Regung von ihr.

Stattdessen näherte sich jemand von außerhalb des Raumes.
Es trat ein dicker Mann herein und als er das Mädchen sah, grinste er gehässig. Die Schattenlinge rutschten panisch am Kleid des Mädchens herunter und versteckten sich.

"Es wird Zeit, dass du deinen Dienst wieder antrittst! Putz das Deck oder willst du etwa, dass wir nochmal zu deinen Eltern müssen?
Willst du, dass wir sie darauf ansprechen, dass sie uns etwas Nutzloses gegeben haben?"

Bei der Erwähnung ihrer Eltern brach aus dem Mädchen ein wütiger Schrei heraus, der sich in ein Wimmern umwandelte.
Der Pirat bückte sich zu dem Mädchen herunter. Er stank nach Alkohol und Schweiß.
Als er den Mund öffnete, kam ein weiterer undefinierbarer Gestank hinzu: "Sie haben dich uns geschenkt, damit wir Ihnen nichts tun!
Sie haben dich wie Vieh weggegeben, nur um selbst davonzukommen."
Sein böses Lachen bewirkte ein Zittern in den Gliedern des Mädchens.

Missbilligend sah der Mann auf das Mädchen herab. Er trat nach ihr, damit sie aufhörte, aber das geschah nicht. Stattdessen erntete er einen trotzigen Blick.
Sie trotzte das erste Mal in den langen Wochen, die sie nun schon auf dem Schiff verbringen musste.
"Du wirst jetzt Arbeiten!!"

Ihre trockenen und aufgeplatzten Lippen öffneten sich. Der Hass auf ihre Eltern hatte neue Kraft gespendet.
"NEIN!"

Eine Ader im Gesicht des fetten Piraten trat gefährlich hervor.
"Nein? Ich zeige dir dein Nein!"
Er packte ihren Kopf unsanft, als er sie auf die Beine zog.
Die Ketten klirrten.
Dann wurde ihr Kopf auf ein großes Fass gelegt. Kniend wollte sie sich wehren, aber die Kraft des Seeräubers war zu stark für sie.
Seine Finger hebelten ihren Mund auf und zogen ihre Zunge heraus. In der anderen Hand schwang er sein langes Messer.
Die Schreie des Mädchens interessierten ihn nicht.

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