Flucht 6

86 9 0
                                    


Das große Tor zu Seijoh hieß Bokuto und Keiji im Königreich der östlichen Seite der Eisenbrücke willkommen. Die Schlucht dahinter war grün und reichlich, durchflossen von einem Fluss der dem Berg entsprang. Kleine Bauerndörfer träufelten das Land, viele von ihnen versammelten sich nahe des Flusses. Weit hinten im Horizont war ein Schloss auf den Klippen zu sehen, die große Straße dorthin vom uralten Wald und kleinen Städten geschützt. Es war riesig und einsam und wunderschön.

„Wohin sollen wir gehen?" fragte Keiji. Noch turg er seine neuen Klamotten nicht. Er hatte noch nicht gebadet und wollte sie nicht schon beschmutzen.

„Wohin du willst," antwortete Bokuto.

„Hast du schon einmal den Ozean gesehen?"

„Nein."

„Ich auch nicht. Sollten wir das versuchen?"

„Lass uns gehen," Bokuto nickte und lenkte sein Pferd die Straße entlang. „Wir können die Nacht in einem der Gasthäuser nahe des Flusses verbringen."

„Ich kann mich nicht mehr daran zurückerinnern, wann ich zuletzt in einem vernünftigen Bett geschlafen habe."

„Bei mir ist das auch so," sagte Bokuto mit einem Lachen. „Ich kann mich auch nicht mehr daran zurückerinnern, wann ich zuletzt ein vernünftiges Mahl zu mir genommen habe."

Keiji stimmte ihm mit einem leisen Summen zu. Er konnte sich an so viele Sachen nicht zurückerinnern. Und jetzt lag die Zukunft offen vor ihm, so hell wie die Schlucht unter ihnen. Er konnte baden. Schlafen. Essen.

„Ich will wieder fliegen," sagte er an Bokutos Schulter. Es kam nur ganz sachte heraus. Sehnsüchtig.

„Wie lange dauert es noch bis deine Federn nachgewachsen sind?" wollte Bokuto wissen.

„Ein paar Monate. Vielleicht weniger wenn ich regelmäßig esse." Er streckte seine Flügel leicht aus - Angst davor habend, das Pferd zu erschrecken, falls er sie ganz auseinanderfalten würde. „Ich muss auch wieder Muskeln aufbauen."

„Ich will dich fliegen sehen," sagte Bokuto. „Ist das seltsam?"

„Nein," er schüttelte seinen Kopf. „Nicht wenn du es bist. Du schaust mich nicht an wie einen Freak oder unnahbaren Gott."

„Das habe ich möglicherweise mal," entgegnete er. „Wenn ich noch immer der Mann wäre, der ich mal gewesen war, hätte ich dich vermutlich mit zum Königreich geschleppt und versucht mit dir als goldenes Ticket zurück in den Orden zu kriechen."

„Glaubst du das wirklich?"

Bokuto seufzte tief und schwer. „Ich weiß nicht. Vielleicht."

„Ich glaube nicht, dass du das getan hättest," erzählte Keiji ihm. „Du hättest vielleicht darüber nachgedacht, aber ich glaube nicht, dass du es hättest durchziehen können. Du bist ein zu guter Mann."

„Du sagt das immer wieder."

„Ich werde es solange sagen, bis du es mir glaubst. Der Orden hat nicht jemanden wie dich verdient."

Ein kurzes Lachen entwich Bokuto. „Ich bin mir nicht sicher ob ich jemanden wie dich verdiene."

„Das werde ich dir auch so lange sagen bis du es glaubst."

Bokuto nahm seine Hand und verflocht ihre Finger miteinander. „Danke, Keiji."

When Angels Fall (deutsche Übersetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt