Was Sie begonnen hat

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Gebannt höre ich Marshall und Laura dabei zu, wie sie von Abby erzählen. Ich sauge jede Information, jedes Wort, jede Erinnerung in mich auf. Mit jedem Augenblick verstehe ich die Worte in Abbys Brief mehr. Warum sie geschrieben hat, ich würde nach einem Treffen mit ihrem Vater verstehen, warum sie das alles tut. Und das tue ich. Sie musste mit ansehen, wie ihr Vater fast gestorben wäre und das hat sie nur noch stärker gemacht.

„Du siehst also, du bist nicht die Einzige, die mit ihren eigenen Gedanken zu kämpfen hat.", endet Marshall und lächelt mich aufmunternd an. Ich schenke ihm ebenfalls ein Lächeln und diesmal ist es echt. „Danke, dass Sie mir das erzählt haben. Wirklich." Laura lacht und greift über den Tisch hinweg nach meiner Hand. „Wenn wir dir so helfen können, gerne. Aber tu mir einen gefallen, lass dieses Sie weg. Ich bin zwar schon Großmutter, aber ich muss mich ja nicht noch älter fühlen."

Laura und Marshall sind einfach wahnsinnig nett. Sie bringen mich zum Lachen, behandeln mich wie einen normalen Menschen und nicht wie die Frau, mit dem kaputten Herzen. Nicht wie die Frau, die das Herz ihrer toten Tochter in der Brust trägt. Doch nicht nur mir geht es besser. Auch Mum habe ich lange nicht mehr so gelöst gesehen. Sie lacht und turtelt mit Amilya. Die wird langsam mit ihr warm und lässt sich sogar von Mum auf den Schoß nehmen. Die beiden geben ein richtig süßes Bild ab.

„So aber genug von uns. Erzählt uns doch was von euch.", sagt Laura irgendwann und schenkt sich einen Kaffee nach. Ich schaue hilfesuchend zu Mum, denn von mir gibt es ja nicht viel zu erzählen. Zum Glück unterhält sie sich sofort mit Laura und gibt mir einen Moment Zeit zu verschnaufen. Denn so gut mir diese Gespräche auch tun, die Tatsache, dass das hier die Familie der Frau ist, die für meine zweite Chance sterben musste, geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Diese Menschen behandeln mich mit so viel Wärme, dabei flüstert ein kleiner Teil von mir, dass ich das nicht verdient habe.

„Laura?!", ruft eine tiefe Stimme aus dem Haus und Amilya beginnt, unruhig zu zappeln. Solange bis Mum sie auf den Boden stellt und kaum berühren ihre kleinen Füße den Boden, flitzt sie nach drinnen, wo ich sie leise kichern höre. „Na da ist ja mein Mädchen!", lacht die tiefe Stimme und bei seinen Worten wird mir klar, auf wen ich gleich treffen werde. Bevor ich auf die Idee kommen kann, wegzulaufen, kommt er schon aus der großen Glastüre hinaus auf die Veranda.

Groß, breit gebaut, dunkle Haare und dieselben strahlend blauen Augen wie seine Tochter. Tyler ist ein beeindruckender Mann und als er mich anschaut, senke ich schnell den Blick. Als ich aber höre, wie Mum aufsteht und sich ihm vorstellt, hebe ich meinen Blick. Tyler reicht seine Tochter an Laura, die mit der Kleinen nach drinnen geht. Dann kommt er auf mich zu. Schnell stehe ich auf, wische meine nassen Hände an meinem Rock ab.

„Hey, du musst Olivia sein. Tyler." Er lächelt mich leicht an, streckt mir eine seiner großen Hände entgegen, die ich zögerlich ergreife. „Ja... ähmm..." Ich stottere nervös vor mich hin, weiß absolut nicht, wie ich mich verhalten soll. Zum Glück kommt Laura wieder nach draußen und Amilya streckt sofort wieder die Arme nach ihrem Vater aus. Dieser nimmt sie sofort in seine Arme und drückt sie an sich. Die beiden sind so niedlich zusammen, doch im selben Augenblick wird mir auch wieder klar, dass die beiden jemanden verloren haben. Einen wichtigen Teil ihrer kleinen Familie. Und trotzdem können sie schon wieder lachen.

„Elyane, Olivia. Mögt ihr vielleicht mit uns essen?", fragt Marshall und klopft im Vorbeigehen seinem Schwiegersohn auf die Schulter. „Oh, wir wollen keine Umstände machen...", wende ich unsicher ein, doch Laura lacht nur laut und legt einen Arm um meine Schulter. „Ach was! Marshall kocht immer so viel, dass wir wahrscheinlich den gesamten Ort verköstigen könnten. Es macht keine Umstände, sicher nicht."

Mit ihrer herzlichen Art schafft Laura es einfach, mich für sich einzunehmen und meine Unsicherheit bei Seite zu schieben. Deshalb sitzen wir eine halbe Stunde später alle zusammen draußen auf der Veranda am gedeckten Tisch und genießen das wirklich leckere Hähnchencurry, das Marshall gezaubert hat. „Das schmeckt wirklich gut Marshall.", lobt auch Mum das Essen und schon ist sie mit Marshall in ein Gespräch über seine Kochkünste vertieft. Denn neben Tieren ist Kochen die zweite Leidenschaft meiner Mum. Ich liebe die Tage, an denen sie zusammen mit Grandma in der Küche steht und lachend kochen und backen. Für mich ist das nichts. Ich kann froh sein, wenn mir mein Spiegelei nicht anbrennt!

The GiftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt