Kämpferherz
Es war ganz schön mühsam, bei dem immer stärker werdenden Wind die Bettlaken aufzuhängen. Mehrere Male schon hatte sie mit einem großen, weißen Laken kämpfen müssen, um es ordentlich auf die Wäscheleine hängen zu können. Da sie kein besonders geduldiger Mensch war, fluchte sie jedes Mal leise vor sich hin, wenn es mal wieder nicht auf Anhieb klappte. Sie hätte es auch bleiben lassen können, aber dann würden die Betttücher zerknittert im Wäschekorb liegen bleiben und das ließ sich nicht mit ihrer Hausfrauenehre vereinbaren – faltige Laken. Also kämpfte sie weiter und versuchte sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Zumal das Wetter heute perfekt war, um Wäsche aufzuhängen. Die Sonne strahlte kräftig vom Himmel herab.
Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Stirn, als sie es gerade mal wieder geschafft hatte, die Klammern an einem Tuch anzubringen. Wenn sie hier fertig war, hatte sie sich ein großes Glas frische, selbstgemachte Limonade verdient. Und eine Pause. Dabei wartete im Inneren des Hauses noch ein Berg Geschirr vom Frühstück, das sie spülen musste.
Sie seufzte schwer und unterdrückte ein Gähnen.
Gerade, als sie nach einem weiteren Tuch greifen wollte, hielt sie in der Bewegung inne und lauschte. Ihre Sinne ließen sie zum Glück auch nach all den Jahren der Mutterschaft und Hausfrauentätigkeit nicht im Stich. Sie konnte zwar nicht mit einer derartigen Genauigkeit Energien erkennen, wie ihre Jungs das konnten, aber dennoch steckte tief in ihr immer noch die Kämpferin aus Jugendtagen.
Ein Wind kam auf und rauschte durch die weißen Laken. Er wirbelte um ihre Beine und riss ein paar Haarsträhnen aus ihrem Zopf.
Chichi schloss die Augen und lauschte. Sie blendete die Geräusche, die der Stoff im Wind erzeugte, vollkommen aus und konzentrierte sich auf das, was dahinter lag.
Als sie sich sicher war, etwas ausgemacht zu haben, öffnete sie die Augen wieder. Mit einem gezielten Hieb ihrer rechten Hand teilte sie zwei Bettlaken und sprang dazwischen hindurch, in die nächste Reihe. Die Sonne projizierte den schemenhaften Umriss einer großgewachsenen Person auf das Tuch vor ihr. Ein wissendes Grinsen zierte ihre Lippen. Ein weiteres Mal lauschte sie, doch als der Wind erneut auffrischte, wartete sie nicht länger ab, sondern sprang mit einem angriffslustigen Schrei endgültig zwischen den Stoffen hervor.
Son Goku wehrte ihren Angriff sofort ab und sprang zur Seite. Seine Augenbrauen waren tief ins Gesicht gezogen, doch auch sein Mund war zu einem Lächeln verzogen. Liebevoll und entschlossen zugleich. Mit dem linken Unterarm stoppte er einen weiteren Angriff seiner Frau ab und probierte selbst, einen Schlag zu setzen. Doch Chichi parierte ihn und versuchte stattdessen, mit einem Bein Son Goku zu treffen. Mit der Hand griff er nach ihrem Knöchel und hielt sie fest.
Chichi entfuhr ein Schrei und mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung entriss sie ihm ihren Fuß und wirbelte herum. Sie sprang auf ihn zu und ließ eine Faust nach der anderen auf sein Gesicht niederprasseln. Son Goku hatte keine Probleme, sie abzuwehren, ließ sich aber von Chichi nach hinten drängen.
„Wow, Mama!", vernahm sie einen freudigen und zugleich erstaunten Aufschrei hinter sich. Ihr jüngster Sohn war ganz schön beeindruckt von dem Ehrgeiz seiner Mutter.
Seit wieder Frieden auf der Erde eingekehrt war und vor allem sein Vater wieder bei ihnen lebte, trainierte er meist mit Son Gohan und seinem Vater zusammen. Oder mit Trunks. Chichi konnte ihm längst nichts neues mehr beibringen, weswegen er sie lange nicht hatte kämpfen sehen.
Er war seiner Mutter sehr dankbar, dass sie ihm damals das Kämpfen beigebracht hatte. Son Gohan hatte ihm immer erzählt, dass sie, als er so alt war wie Son Goten, das Trainieren und Kämpfen gänzlich verboten hatte, um stattdessen zu lernen. Außerdem hatte er ihm erzählt, dass er sich zwar sehr gefreut, aber auch gewundert hatte, dass sie bei Son Goten ganz anders gewesen war. Vermutlich lag es einfach daran, dass sie eine enorme Veränderung durchlebt hatte, als Son Goku sich im Kampf gegen Cell geopfert hatte und fortan lieber im Jenseits bleiben wollte, um keine neuen Gefahren heraufzubeschwören.
Begeistert verfolgte er den kleinen Trainingskampf seiner Eltern. „Sieh mal, Son Gohan, Mama greift Papa an!", rief er aus und zupfte am Hosenbein seines großen Bruders.
„Ja, ich sehe es, Son Goten. Wirklich klasse!"
Als Son Goku hinter sich einen Baum ausmachte, sprang er zur Seite. Beinahe hätte Chichi den Baum mit ihrem nächsten Fausthieb getroffen, doch sie stoppte noch rechtzeitig und sprang ihrem Mann hinterher.
„Sehr gut, Chichi", lobte er sie und war erneut damit beschäftigt, ihre Schläge abzuwehren.
„Halt die Klappe und kämpfe", zischte sie.
Ernsthaftigkeit war zurück in Son Gokus Gesichtszüge gekehrt. Er nahm Chichi vollauf ernst. Er wusste, was sie konnte. Was in ihr schlummerte.
Sie ging voll in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau auf, aber damals, vor vielen Jahren, hatte er sie als ebenbürtige Kämpferin kennengelernt. Sie hatte ja sogar damals für das 23. Kampfturnier trainiert und teilgenommen, um gegen ihn zu kämpfen. Daher wusste er, was in ihr steckte und es gefiel ihm, dass sie diese Seite mal wieder herausließ.
Beinahe hätte er seine Deckung vergessen, während er so in Gedanken versank. Mit einer schnellen Bewegung seines Kopfes wich er einer Faust aus.
„Fast hätte ich dich gehabt", knurrte Chichi angriffslustig und blies sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie standen sich gegenüber, beide in Kampfposition.
„Aber nur fast", stellte er klar.
„Lass uns einen Deal vereinbaren. Wenn ich dich einmal treffe, kümmerst du dich um den Abwasch." Son Goku spitzte grüblerisch die Lippen, ehe er sie erneut zu einem entschiedenen Lächeln verzog. „Einverstanden."
Sobald die Worte ausgesprochen waren, griff Chichi mit allem, was sie zu bieten hatte, an. Son Goku war so überrascht, dass beinahe der erste Schlag ein Treffer gewesen wäre. Jetzt musste er noch mehr auf der Hut sein, denn seine Frau gab Vollgas. Sie verfolgte ihn mit bissigem Gesichtsausdruck und versuchte mit Händen und Füßen einen Schlag zu setzen. Ganz am Rande bekam sie mit, wie ihre Söhne sie anfeuerten. Das gab ihr noch mehr Auftrieb und sie holte alles aus sich heraus, was sie zu bieten hatte.
Als sie jedoch erneut versuchen wollte, mit einem Bein auszuholen, schoss ein stechender Schmerz in ihren unteren Rücken. Sie hielt abrupt inne und klappte in sich zusammen.
„Mama!", riefen ihre Söhne erschrocken. Mit einer erhobenen Hand hielt sie die beiden davon ab, zu ihr zu stürmen. Die andere Hand legte sie an ihren Lendenwirbelbereich. Ihr Körper zeigte ihr deutlich, dass sie nicht mehr dazu in der Lage war, ein solch hohes Kampftempo auf Dauer zu halten.
„Chichi, alles in Ordnung?" Son Goku kniete sich neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter.
Ehe sie jedoch zu ihm aufsah, musste sie ich noch einen Moment sammeln. Bei aller Liebe zu Son Goku und ihren Söhnen – sie sollten nicht sehen, wie sehr sie mit den Schmerzen zu kämpfen hatte. Und mit der Gewissheit, nicht mehr die Schnellste zu sein.
Mit einem tapferen Lächeln auf den Lippen schaute sie schließlich zu Son Goku hinauf. „Geht schon wieder", bestätigte sie. Er bemerkte sofort die feuchten Augenwinkel. Der Schmerz musste ihr die Tränen in die Augen getrieben haben. Vielleicht hatte er es zu sehr übertrieben.
„Tut mir leid, das war vielleicht etwas viel", sagte er versöhnlich und legte eine Hand an seinen Hinterkopf.
„Schon gut. Es hat Spaß gemacht." Sie lächelte kämpferisch zu ihm auf und ließ sich dann von ihm aufhelfen. Stolz glänzte in seinen Augen, als sie sich gegenüberstanden. Es fühlte sich gut an, diese Reaktion bei ihm hervorzurufen. Und sie meinte es tatsächlich so – es hatte Spaß gemacht. Für ein paar Minuten hatte sie sich wieder wie 18 gefühlt, als sie beim großen Turnier schon einmal versucht hatte, Son Goku zu besiegen.
„Das war total irre, Mama!" Son Gohan trat zu seinen Eltern heran und strahlte.
„Und wie! Du warst richtig schnell!", echote Son Goten und sprang um sie herum.
„Danke! War aber leider nicht so gesund für meinen Rücken", lachte sie und sah von Son Gohan zu Son Goten. „Habt ihr denn was fürs Abendessen mitgebracht?"
„Ja! Wir haben einen riesengroßen Fisch gefangen!" Son Goten deutete hinter sich. Und tatsächlich, unweit der vier lag ein großer, rosafarbener Lachs im Gras.
„Dann bringt ihn doch schon mal ins Haus, ich muss noch eben die Wäsche fertig aufhängen und dann komme ich auch rein."
Die beiden Jungs nickten eifrig und während sie zum Fisch zurückgingen, ließen sie sich weiter darüber aus, wie toll das kleine Schauspiel gewesen war, dass ihnen ihre Eltern geboten hatten.
„Weißt du was?", setzte Son Goku an und gewann somit die Aufmerksamkeit seiner Frau wieder zurück. „Ich kümmere mich trotzdem um den Abwasch." Er beugte sich herab und gab Chichi einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.
Mit großen Augen sah sie ihm hinterher, wie er seinen Söhnen ins Haus folgte. Bei der Haustür drehte er sich nochmal zu ihr um und zwinkerte ihr zu.