9. Kapitel

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~03. Mai 2019, 10:36 Uhr, Hotel York~

Als ich am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte ich keine Ahnung gehabt wo ich mich befand.
Am Abend war ich nach meiner Erinnerung auf dem Sofa eingeschlafen, aber heute Morgen hatte ich zugedeckt in meinem Bett gelegen. Und wusste nicht wie ich dahin gekommen war.
Black verhielt sich heute sehr distanziert, doch das war mehr als nur in Ordnung. Wir sollten uns von einander fernhalten. Uns nicht nah kommen.

Mein Telefonat mit meinem Vater gestern war nicht sehr hilfreich gewesen. Er hatte keine Zeit gehabt und meinte, er würde mich heute erneut anrufen wollen. Ich wusste nicht, ob ich ihm das glauben sollte. Also das mit der Zeit. Wahrscheinlich hatte er auch keine Zeit. Keine Zeit für mich. Keine Zeit für mich und mein Leben.

Beim Frühstück hatte ich schnell gegessen und war dann frühzeitig wieder auf mein -oder auch unser- Zimmer gegangen. Ich hatte behauptet mich nicht gut zu fühlen, da das gar nicht so falsch war, und Amanda hatte bei dieser Mitteilung hoch erfreut ausgesehen. Dann hatte sie Black für sich alleine.

Nun saß ich auf dem Sofa und starrte den Bildschirm meines Laptops an. Das Program war bei 93 Prozent. Es konnte nicht mehr lange dauern und je früher wir wussten ob und was sie vorhatten, desto früher konnten wir handeln.
Nervös wippte ich mit meinem Fuß auf und ab. Biss auf meine Lippe. Meine Kopfschmerzen waren wieder verflogen. Vielleicht stammten sie ja von Amanda's süßen Parfüm.

Um die Mittagszeit wurde die Tür schwungvoll geöffnet. Black stand mir gegenüber und sah mich an. Dann kam er langsam auf mich zu und säuselte: „Na. Geht es dir schon besser? Ich habe hier was für meine kranke Mitbewohnerin. Dann wird es dir bald besser gehen."
Ich sah ihn fragend an. Was war denn mit ihm los? Er wusste garantiert, dass es mir gut ging.
Behutsam setze er sich neben mich und zog eine kleine Flasche aus seiner Hosentasche. Klein mit rotem Deckel. Sah aus wie Medizin. Medizin. Oh Gott. Nein... Dio. Nein. Ich hasste Medizin. Schon als kleines Kind hatte ich sogar den süßen Hustensaft verwehrt.
Black griff währenddessen nach dem großen Löffel in meiner Kaffeetasse. Er öffnete langsam die Flasche und dann murmelte er etwas von wegen ‚Kranke müssten gepflegt werden... Hustensaft vom Hausarzt... besser gehen'. Ich starrte auf den Löffel, denn aus der Flasche lief eine zähe dunkelbraune Masse. Sie lief dickflüssig auf den großen Löffel in Blacks Hand. Ich vernahm den medizinischen Geruch mit meiner Nase. Als der Löffel voll war, setzte er die Flasche wieder ab und stellte sie auf den Tisch, doch das nahm ich nur aus dem Augenwinkel wahr, denn meine Augen klebten an dem Löffel. Die Masse wabbelte hin und her, doch verlor nicht ihre Form. Alleine der Anblick brachte mich dazu mich übergeben zu wollen. Gott, wo war mein Eimer?
Black drehte sich zu mir. Sah mir in die Augen und lächelte wie mein seltsamer Kinderarzt damals, wenn er meinte, die Spritze würde man gar nicht merken. Meistens hatte er damit ja recht gehabt aber-.

„Mund auf.", befahl Black mir und hielt mir den Löffel entgegen. Ich schüttelte meinen Kopf.
Er kam dichter. „Du fühlst dich doch nicht gut. Das wird dir helfen." Ich rutschte von ihm weg.
Augenverdrehend kam er wieder näher.
„Trink das einfach. Du hast ja wohl nicht gelogen, als du behauptetest, du fühlest dich nicht gut. Oder?"
Meine Augen weiteten sich. „Ich lüge nicht und das weißt du. Ich hatte Kopfschmerzen."
Dann dreht ich mich von ihm weg und wollte aufstehen, doch er zog mich zurück auf das Sofa.
„Ist in Ordnung. Ich musste nur testen, ob ich es vielleicht doch mit einer Lügnerin zu tun habe."
Ich runzelte meine Stirn.
„Und dafür musstest du mir diese ekelhafte Masse vorsetzen? Außerdem würdest du mich beim Lügen durchschauen können."
Er schüttelte seinen Kopf und schnalzte mit seiner Zunge.
„Könnte ich eben nicht. Alles was du tust, hast du zuvor bis zur Perfektion trainiert, von deinem Dad gelernt. Aber wenn du immer noch nicht lügst.. dann ist ja alles in Ordnung. Ist eine tolle neue Eigenschaft von dir. Sehr nützlich."
Während er die letzten Sätze aussprach, ging er zur Tür und öffnete sie auch.
Bevor er dann verschwand sagte er noch: „Ich werde zu Amanda gehen, dann bist du mich noch ein bisschen los. Vermiss mich nicht."
Ich wollte zu einer Antwort ansetzen, doch er schloss die Tür.
Als ob ich ihn vermissen würde.
Voller Ekel betrachtet ich noch die kleine Flasche auf dem Tisch. Hätte er die nicht wenigstens mitnehmen können?

Mehrer Stunden lag ich weiter auf dem Sofa und telefonierte auch kurz mit Ethan. Im Telefonat erwähnte ich nicht, dass Black auch hier war. Ethan würde sofort losfahren. Oder auch nicht. Denn im Grunde war er nicht sonderlich eifersüchtig. Wiederum mochte er Black nicht und traute ihm nicht über den Weg.

Auf einmal gab mein Computer ein piependes Geräusch von sich. Ich schreckte hoch und lief zu dem kleinen Tisch.
Das Program war durch, ich in seinem Laptop. Ein netter Nebeneffekt. Man war nicht nur in seinen E-Mails sondern auch in allen anderen Apps.
Mit ein paar schnellen Klicks war ich durch seine Mails, Nachrichten, Notizen und Planer durch. Oh merda. Und die wichtigsten Informationen hatte ich gefunden.

Ich sprang von dem Stuhl, auf welchen ich mich niedergelassen hatte auf und lief los. Ich stürzte aus meinem Zimmer in den Flur und lief nach rechts. Dort klopfte ich an Amandas Zimmer. Als mir nicht geöffnet wurde, zückte ich meine eigene Schlüsselkarte und öffnete die Tür.
„Black! Wir haben neue Informationen. Und wir müssen schnell handeln. Es gibt nämlich ein Problem und-."
Mitten im Satz stoppte ich und hielt spontan die Luft an. Ich sah auf Black und Amanda. Beide saßen auf ihrem Bett und Amanda hatte ihre langen dünnen Arme mit ihren perfekt gemachten Nägeln um seinen Hals gelegt. Er umfasste ihre Unterarme, als wolle er sie zu sich ziehen. Doch sein Blick lag nun auf mir. Amanda störte sich nicht an meiner Präsenz. Wieso auch?
Als ich das Bild vor mir mehrere Sekunden angestarrt hatte, atmete ich aus und drehte mich wieder zum Gehen.
„Okay. Wir können später reden. Viel Spaß noch.", sagte ich schnell und verließ den Raum wieder.
Ich war mir sicher ein leises ‚Werden wir haben' von Amanda vernommen zu haben.
Perplex blinzelte ich und ging wieder in mein Zimmer. Dann würde ich eben alleine einen Plan erstellen.
Mein Gehirn setze langsam wieder ein und ich setzte mich auf den Boden vor dem kleinen Tisch beim Sofa, nachdem ich mir meinen Laptop geschnappt hatte.
Ich atmete tief durch. Ich würde das alleine machen. Wieso hatte mich das gerade so sehr getroffen? Was hatte ich denn erwartet? Das er sie nicht anrühren wird? Hatte ich das wirklich gedacht? Ich meine- es war Black. Und es war Amanda.
Hatte ich... ja hatte ich. Und das war dumm gewesen. Ich hatte ihm geglaubt, dass er auf mich hören würde. Erneut schüttelte ich meinen Kopf. Kaum war er wieder da und ich fiel auf seine Worte rein.

Ich durchsuchte alle Nachrichten erneut und schrieb mir die Informationen raus.

Irgendwann wurde die Zimmertür wieder einmal schwungvoll geöffnet. Black trat ein.
„Halt. Nein. Spar dir deinen Vortrag. Ich-."
Ich sah ihn an. Er sah mich. Ich runzelte die Stirn.
„Was für einen Vortrag?", fragte ich leise.
Black kniff seine Augen zusammen. „Einen Vortrag namens ‚Du sollst nichts mit deinen Aufträgen anfangen und so'."
„Hast du denn was mit ihr angefangen?", auch wenn ich das und zwar genau das dachte, sagte etwas in mir, dass ich ihn erklären lassen sollte.
Er sah mich lange stumm an. Komm schon, antworte. Dann schüttelte er den Kopf.
„Nein. Habe ich nicht. Ich weiß auch nicht, was sie da gerade versucht hat. Ich wollte ihre Arme auch in dem Moment, in dem du rein kamst, wieder von mir nehmen."
Ich nickte. Würde zu ihr passen.
„Ich befolge die Regeln und alles was passiert geht von ihr aus."
„Ich verstehe nicht, warum du dich so rechtfertigst. Ich habe doch nichts damit zu tun."
Er sah mich verwundert an. Dann fasste er sich wieder und nickte knapp.
Ich erhob mich und ging zu ihm. Black hob fragend eine Augenbraue als ich ihm den Zettel reichte. Er sah sich an was ich aufgeschrieben hatte. Dann sah er wieder zu mir. Nickte knapp.
Ich wendete mich ab und wollte gehen, doch er hielt mich mit seinen Worten auf.
„Was machst du jetzt noch?", fragte er leise.
„Ich werde mit meinem Vater telefonieren. Und du solltest dir überlegen, was wir machen werden. Immerhin haben sie vor morgen hier im Hotel zu erscheinen und Amanda einzustecken.", entgegnete ich sicher.
Nach wenigen Sekunden nickte er.
Damit ging ich. Wieso rechtfertigte er sich so sehr? Versuchte mir klar zu machen, dass da nichts war?

Kaum dass ich in meinem Zimmer war, klingelte mein Handy. Mein Vater rief an.
Schnell nahm ich den Anruf entgegen.
Ciao padre.", sagte ich.
Buonasera, Cienna.", kam die tiefe alte Stimme meines Vaters aus dem Lautsprecher.
„Plan A ist durch den zweiten Bodyguard nicht mehr möglich."
„Der Zweite ist Blacks Sohn. Nicht wahr?", fragte er nach.
Ich nickte, obwohl ich wusste, dass er es nicht sah: „Ja, das ist er."
Mein Vater war kurz still.
„Ist da was?"
„Ich weiß es nicht."
Wieder Stille.
„Dann Plan B?", fragte ich.
„Plan B der Zwei-Mann-Aufträge."
„In Ordnung. Wird gemacht."
„Gut. Wir hören uns in ein paar Tagen. Addio.", dann legte er auf.
Also Plan B. Ich wusste jetzt schon, dass mich dieser Plan verletzen würde.

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