10. Kapitel

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~04. Mai 2019, 04:29 Uhr, Hotel York~

Ich wurde von einer mich unsanft schüttelnden Hand aus dem Schlaf gerissen. Als ich mit geschlossenen Augen versuchte die Person, die versuchte mich zu wecken, abzuwehren und zu schlagen, wurden meine Hände einfach abgefangen. Und so ging das weiter. Irgendwann gab ich auch und setzte mich widerwillig auf. Meine erste richtige wache Handlung an diesem Morgen bestand darin meine Haare zu ordnen, denn sie standen wirr ab und meine Kopfhaut tat dadurch weh. Als ich das dann geschafft hatte, blinzelte ich mehrmals und sah zu der Person, die vor mir auf meinem Bett saß.
Black grinste mich munter an. Bereits angezogen und durch die Tür konnte ich seinen gepackten Koffer ausmachen.

„Was willst du hier?", fragte ich verschlafen.
„Dich wecken, mio amore."
Ich runzelte fragend die Stirn und ignorierte seinen dämlichen Spitznamen für mich.
Er nickte: „Mitten in der Nacht hat dein Laptop erneut gepiept. Es geht schon früher los. Und ich habe ein Hotel gefunden, welches uns bereits um diese Uhrzeit aufnehmen wird. Also los. Aufstehen."
Damit schlug er euphorisch auf die Decke und erhob sich. Diese dumme Geste mit dem Klopfen, wenn es los ging, hatte er sich von einem deutschen Auszubildenden aus unserer damaligen Gruppe abgeguckt. Und ich hasste es. Es war so.. so.. Es war zu früh für diese Geste.

Müde rappelte ich mich auf und schlurfte ins gemeinsame Bad. Dort strömte mir der Geruch von Blacks Duschgel und Deo entgegen, als ich die Tür öffnete. Die Nase rümpfend ging ich zum Fenster und öffnete es.
„Ach Cienna. Du musst nicht so tun.", ertönte Blacks tiefe Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum. Er lehnte sich an den Türrahmen.
„Wie? Was soll ich?", fragte ich ehrlich verwirrt. Ich wusste nicht warum er so früh morgens schon um mich herum tanzen musste. Er stieß sich vom Rahmen ab und kam auf mich zu. Ich wich langsam nach hinten bis ich den Waschbeckentisch erreichte und dagegen stieß.
„Du musst nicht so tun, als würdest du meine Anwesenheit nicht mögen.", sagte er selbstsicher und stützte seine trainierten Arme rechts und links neben mir auf dem Tisch ab. Sein Gesicht war meinem unglaublich nahm. Zu nah. Ich vernahm seinen Geruch und sah in seine eisernen Augen.
Mein Körper wollte unter seinem Blick zittern, doch ich riss mich zusammen. Diese Genugtuung würde ich ihm nicht gönnen.
„Du hast recht, ich muss nicht so tun.", entgegnete ich lächelnd und stützte mich ein wenig höher, sodass ich ihm genau in die Augen sehen konnte.
Er zog verwundert seine Augenbrauen hoch und schaffte es gleichzeitig noch leicht zu grinsen.
Ich ließ meine Mundwinkel wieder sinken und zischte: „Denn ich lege wirklich keinen Wert auf deine Präsenz. Ich muss nicht so tun als wäre es so, denn es ist so, Black. Und jetzt geh. Ich muss mich fertig machen."
Sein Grinsen verschwand und er stieß sich schwungvoll ab.
Doch bevor er die Tür hinter sich schloss, sagte er leise: „Du sagtest doch, du würdest nicht lügen, Cienna."
Dann fiel die Tür ins Schloss.

~etwas später, 05:12 Uhr~

„Amanda? Wir müssen los.", reif Black durch die Tür.
Wir standen mit Benj und unseren Koffern im Flur. Wir mussten schließlich langsam los.
„Jaa. Fünf Minuten!", rief sie hektisch.

Ich verdrehte die Augen.
„Das hat sie auch schon vor zehn Minuten gesagt.", merkte ich leise an.
Black nickte.
Benj stand an der Seite und sah nervös hin und her.
Langsam ging ich zu ihm.
„Benj. Beruhige dich. Alles wird wieder gut. Wir reisen nur frühzeitig ab."
Er sah zu mir. Ich nickte ihm aufmunternd zu. Er nickte, wirkte aber kein bisschen überzeugt.
Aus dem Nichts umarmte er mich auf einmal. Er legte seine Arme um meinen Oberkörper.
Überfordert blinzelte ich mehrmals um die Situation zu realisieren. Dann tätschelte ich stockend seinen Rücken. Mich hatte lange niemand mehr einfach so umarmt.
Ich spürte einen beißenden Blick von der Seite und drehte meinen Kopf zu ihm. Black sah mich an. Dann grinste er wieder leicht und formte mit den Lippen: „So viel zu ‚keinen körperlichen Kontakt mit denen'."
Unmerklich schüttelte ich die Augen und gab zurück: „Ich kann ihn ja wohl nicht heulend stehen lassen."
Dann löste sich Benj von mir und murmelte leise: „Ich versuche dann mal positiv zu denken. Noch will ich nämlich nicht sterben."
Ich nickte und kaum dass ich mich versah, stand Black schon neben mir. Ich lehnte mich gegen die Wand, die sich hinter mir befand.
„Trösten ist also erlaubt?", flüsterte er mir fragend zu.
Ich sah zu ihm hoch und nickte. Er lehnte sich neben mich.
„Also wäre es kein Problem, wenn Amanda weinen würde und ich sie in den Arm nehmen würde?"
Fiese Frage. Doch er konnte nicht wirklich annehmen, dass ich so dumm sei.
Ich nickte. Er zog ungläubig eine Augenbraue hoch. „Ist das so?"
„Ja, das ist so.", sagte ich.
„Und du könntest der guten Amanda auch mal sagen, dass sie sich beeilen soll. Wenn wir noch ein paar Minuten hier bleiben, könnte es zu spät sein." Den letzten Satz flüsterte ich. Dann stieß ich mich von der Wand ab, da er mir zu nah war. Ich ging zur Tür und klopfte laut an.
„Jaa! Ich bin gleich da!", schrie Amanda zurück.

Black

„Ich schwöre dir. Wenn sie sich noch extra schminkt, lasse ich sie einfach hier oder erwürge sie eigenhändig.", murmelte sie gereizt.
Ich gab ein leises Lachen von mir. Sie sah mich fragend an.
„Nein. Entschuldige, ich weiß, dass du das tun würdest. Aber das du annimmst, dass sie sich gerade noch schminkt, obwohl sie in Lebensgefahr schwebt, ist schon... seltsam."
„50 Pfund.", sagte Cienna und hielt mit meine rechte Hand entgegen.
Ich sah sie lange überlegend an. Dann schlug ich ein. „50 Pfund."

Dann wurde die Tür endlich geöffnet. Eine perfekt gekleidet und geschminkte Amanda trat mit ihrem Koffer heraus.
„Wir können.", sagte sie und ging los.
Benj lief neben ihr und Amore und ich folgten ihnen.
Beiläufig hielt sie mir ihre Handfläche hin. Ich griff widerwillig in meine Hosentasche und ließ die 50 Pfund in ihre Hand fallen. Sie steckte sie schnell in ihre Jackentasche und grinste.

Als wir um die Ecke liefen, stieß Amanda einen leisen Schrei aus. Schnell lief Cienna zu ihr und sah nach, was sie aufwühlte. Ich kam ebenfalls nach.
Vor Cienna stand ein Mann mit schwarzer Maske und hielt ihr seine Knarre an die Brust. Hinter ihm stand ein zweiter Mann.
Sie sah sie beide unbeeindruckt an. Es war zu erwarten gewesen, dass sie auftauchen würden.
„Das ist die Falsche. Wir brauchen die braunhaarige Kleine. Nicht die.", sagte der hintere Mann.
„Aber die kommt mir auch so bekannt vor.", meinte der mit der Knarre. Er hatte seinen Finger bereits am Auslöser, als er verstand, dass sie nicht Amanda war.
Fuck. Würde er abdrücken, wäre sie tot. Das durfte nicht passieren.

„Aber wenn sie nicht die Richtige ist, ist sie ja auch unwichtig. Also geh zur Seite.", führte er weiter und deutete an die Seite. Cienna bewegte sich nicht. Warum zur Hölle tat sie nichts? Warum ging sie nicht weg? Wollte sie sterben?
Provokant langsam schüttelte Cienna ihren Kopf. Sie war nun in ihrem Element.
Der Mann kam dichter und befahl ihr laut: „Geh zur Seite!"
Sie legte ihren Kopf schräg und zog eine Augenbraue verachtend hoch. Der Mann wirkte immer unsicherer.
Auf einmal sprach der hintere von beiden wieder: „Scheiße! John! Ich weiß wieder. Das ist Cienna Amore. Lass sie und lauf lieber."
„Wer ist das?", fragte der andere ihn. Dumme Frage.
„Amores Tochter! Die beste in ihrem Jahrgang! Die, die letztens den halben Trupp auf die Intensivstation gebracht hat!"
Also bitte. Mich gab es auch noch.
„John, lass es."
„Als ob ich Angst vor einem Mädchen hätte."
Oh, schlechte Entscheidung.

Cienna atmete genervt ein und aus und sagte freundlich: „Wenn ihr kein Problem damit habt, würden wir jetzt gerne gehen. Und es wäre sehr freundlich, wenn ihr einfach zur Seite gehen könntet."
Der hintere stellte sich tatsächlich zur Seite, doch der vorne hatte wohl Todesmut.
Er blieb stehen und sah sie herausfordernd an. Ich hoffe für ihn, dass sie noch nicht zu gereizt war.
„Geh mir aus dem Weg, John. Sonst muss ich dir wehtun.", sagte sie mit sanfter Stimme.
Er schüttelte den Kopf. Cienna atmete aus. Schneller als John dann gucken konnte, entwendete sie ihm seine Waffe und schoss ihm in seinen Oberschenkel. Ich zuckte innerlich zusammen, dabei hatte ich gewusst, dass so etwas passieren würde. Man legte sich eben nicht mit ihr an, wenn man sich nicht hundert Prozent sicher war, dass sie einem nichts tun würde.

Der Mann sank vor Schmerz schreiend zu Boden.
Cienna schritt über ihn hinweg und Amanda und Benj folgten ihr mit weit aufgerissenen Augen. Auch ich ging mit.
Der zweite Mann sah uns an.
Bei ihm blieb ich kurz stehen. „Hey. Ich weiß, es wäre schön einfach uns jetzt zu folgen, aber glaub mir. Wenn sie das merkt, bist du nicht annähernd so gut dran wie er da. Und apropos er da. Kümmere dich mal lieber um ihn. Sonst verblutet er noch auf diesem schönen Teppich." Ich zwinkerte ihm zu und er zuckte vor Angst zusammen, als hätte ich mit einem Messer geworfen.

Dann folgte ich Cienna und den Anderen.
Wahrscheinlich hätte ich ihr eben helfen können, doch Cienna hatte schon immer vieles lieber alleine gemacht. Und ich hatte gelernt, dass man sie das oft einfach machen lassen sollte. Außerdem hatte ich keine Ahnung gehabt, was ihr Plan gewesen war und hatte ihr nicht dazwischen pfuschen wollen.

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