„Nun... das hatte ich tatsächlich alles nicht bedacht. Die Risiken von Sand und Salz waren mir bis dato nicht bewusste gewesen." Er sprach vollkommen trocken und sachlich und brachte mich damit zum Lachen und so einfach war alles wieder in Kokosöl oder wie das Sprichwort halt ging.
„ Vielleicht ist dir diese Möglichkeit mit deiner Mutter verwehrt, aber wie alt bist du nochmal?" „Sechzehn" murmelte ich. Diese Frage bewies, dass er mit nichts hinterm Berg hielt. So einen Faux-Pas, mein Alter nicht zu wissen würde er sonst niemals zugeben und mich schon gar nicht offen danach fragen.
„Sechzehn", sagte er verblüfft. „Die Welt ist so ungerecht." Er schüttelte entsetzt den Kopf. Wahrscheinlich war ihm gerade zum ersten Mal bewusst geworden, wie jung wir Mädchen auf den Heiratsmarkt getrieben wurden, wie arme Tiere. Seine Schwester die siebzehn war, hätte noch ein Jahr, da man für gewöhnlich erst mit achtzehn in die Gesellschaft eintrat. Weshalb Lady L bei mir gegen diese Konvention verstoßen hatte, hatte ich nie verstanden. Er ergriff wieder das Wort.
„ Wie wäre es mit einem Ehemann?" Hä? Was war das für eine seltsame Frage? Irgendwie stand ich gerade auf dem Schlauch. „Wie bitte?", fragte ich verwirrt.
„ Vielleicht würde dich dein Ehemann mit ans Meer nehmen? So wie ich deine Mutter einschätze und so wie du aussiehst, bist du doch spätestens in einem Jahr sowas von vergeben." Ich hatte meine helle Freude daran, wie flapsig er sich ausdrückte. „Da müsste ich aber schon sehr viel Glück mit meinem Ehemann haben.", erklärte ich. Er sah mich nachdenklich an, als sich plötzlich jemand räusperte. Wir hüpften beide fast vor Schreck, was mich zum Kichern brachte, woraufhin er anfing zu Lachen. Ich mochte das Geräusch sehr. Es klang so unbeschwert. Er funkelte mich mit seinen Augen an, bevor wir uns beide der Person zuwendeten, die vor uns stand. Colette lächelte mir niedlich zu, bevor sie sich an Thorsten wandte. „Unsere Mutter ist müde. Wir werden aufbrechen." Erschrocken blickte ich mich um. Tatsächlich es dämmerte bald. Wir mussten hier länger gesessen haben. Wie peinlich! Was würde Lady L dazu sagen? Benimm morgen würde bestimmt hart werden! Sich lange mit einem ledigen Mann zu unterhalten, war sowas von unangebracht. Bestürzt stand ich auf, strich mein Kleid glatt und wandte mich an Colette. „ Es hat mich sehr gefreut dich heute zu sehen. Richte deiner Familie meine ergebensten Grüße aus." Kein Witz, dass sagte man so.
Sie nickte mir immer noch lächelnd zu. „ Das werde ich."
Nun wandte ich mich Thorsten zu. „ Mein Herz dankt dir für den wunderbaren Abend. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder."
Er stand ebenfalls auf, nahm meine Hand und verbeugte sich. „Meine Hände geben den Dank zurück. Ich danke dir für deine Gesellschaft."
Ich lächelt ihn an, knickste tiefer als nötig und verschwand, wobei ich darauf achtete elegant und langsam zu verschwinden. Ich durfte nicht den Anschein machen ich würde flüchten. Auch wenn es sich so anfühlte. Es war im Laufe des Abends einfach zu viel Neues auf mich eingestürzt.
Ich ging zu Lady L, die nicht zu übersehen war. Sie trug ein fliederfarbenes Kleid und hatte sich somit, wie ich, dem Trend widersetzt. Natürlich war das abgesprochen gewesen. Sie sah mich auf sich zu kommen und bedeutet mir zu warten. Worüber ich nicht böse war. Sie unterhielt sich gerade mit einem Kerl, den ich nicht ausstehen konnte. Einem Aufseher über einen der Stadtteile. So wie Lady L. Er war nie gemein, aber leider ein bisschen dröge. Und ziemlich scharf auf Lady L, oder auf ihr Land. So genau konnte ich das nicht sagen und es war auch ziemlich egal... Es war auf jeden Fall ziemlich peinlich. Niemand, nicht einmal die unverfrorene Lady konnte einem Mann einfach Konter geben und ihn zum Teufel schicken. Zu Mal ihre Schonfrist als Witwe mit der Bestattung und der ihr erlaubten Trauerphase sechs Monate später endete. Nun waren es bereits acht Jahre. Ich drehte auf jeden Fall ab und stellte mich an den Rand des eindrucksvollen Erfrischungstisches. Dahinter standen einige Hausdiener und sahen mich dienstbeflissen an, doch ich schüttelte nur den Kopf.
Wie schnell die Zeit verging. Ich war schon über acht Jahre bei Lady L und bei Tatjana. Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter. Ich hatte Mary natürlich schon längst aus dem Augenwinkel gesehen, aber um ihr eine Freude zu machen, zuckte ich zusammen und drehte mich erschrocken zu ihr um. Sie hielt sich kichernd eine Hand vor den Mund und sah mit ihren Lachfältchen unfassbar niedlich aus. " Meine Süße, ich mache mich auf den Weg nach Hause. "
„Danke, dass du gekommen bist. Es hat mich sehr gefreut dich wieder zu treffen."
Sie lächelt mich freundlich an und nickte. „Es war sehr schön dich wieder zu sehen. Wir haben uns schon wieder viel zu lange aus den Augen verloren, Kindchen. Komm doch nächste Woche zu Tee und Gebäck vorbei. Wir werden ein wenig Plaudern. Ich habe einem Hausdiener die Einladung gegeben."
„Ich nehme sie mit großer Freude an." Sie nickte noch einmal hoheitsvoll und verschwand dann mit Trippelschrittchen. Ich sah ihr grinsend hinterher. Nicht dass ich eine Wahl gehabt hätte. Was Mary vorhin eigentlich sagen wollte und nur aufgrund all der Menschen nicht ausgesprochen hat war eher so etwas in die Richtung wie : " Was fällt dir ein dich solange nicht bei mir blicken zu lassen du unmögliches Balg! Willst du eine alte Dame verrosten lassen? Ich habe dir schon einen Termin aufgeschrieben für nächste Woche. Es ist Zeit das du wieder zum Trainig kommst und mit mir über Politik debattierst, damit meine Gehirnzellen nicht absterben mit all den alten Knackern von denen ich umgeben bin. "
Oder so ähnlich jedenfalls. Sie war in meinen Kindertagen, während Simon noch gelebt hatte meine Erzieherin gewesen. Niemand sonst war so wirklich zu mir durchgedrungen. Ich hatte natürlich aufs Wort gehorcht, aber ich hatte unfassbar viel Angst. Vor allem. Sie hatte mir mit Freundlichkeit, Unermüdlichkeit und nicht zuletzt mit dem Tanzen geholfen, mich wieder in Ordnung zu bringen. Sie hatte mich durch mein erstes Plié durchgezählt, mit mir mein erstes Paar Spitzenschuhe gebrochen und meinen ersten Blues getanzt. Das war ein verbotener Tanz aus der Zeit davor. Inzwischen ungefähr neun Jahre später, kam mir die damals so starke und gelenkige Frau klein und zerbrechlich vor. Ich erinnerte mich noch an ihr Entsetzen als sie, fast über Nacht, graue Haare bekommen hatte. Sie hatte gejammert wie eine Katze und geflucht wie ein Hafenarbeiter (wobei natürlich auch Hafenarbeiterinnen fluchen können und jeder sonstige Mensch), aber sie war darüber hinweg gekommen und inzwischen trug sie ihre grauen Haare, wie alles in ihrem Leben, mit Würde und Stolz. Sorgen machte ich mir trotzdem um sie. Ich schüttelte diesen Gedanken ab als ich sah, dass der Stadtteilaufseher das Gespräch mit Lady Lavinia beendete und sie kam zu mir hinüber. Zu meinem Erstaunen trug sie ein dezentes Lächeln auf den Lippen. Bei mir angekommen, ließ sie sich ein Glas Tonil geben und reichte mir ebenfalls eines.
„Wir gehen mein Liebling. Es ist spät und wir beide brauchen unseren Schönheitsschlaf."
Ich nickte nur zustimmend. Ich hatte nicht erwartet, dass wir hier reden würden und es gehörte zum guten Ton, als Gastgeber irgendwann zu gehen und seine Gäste feiern zu lassen. Es zeigte Vertrauen und Respekt. Es war außerdem eine Art Schwanzvergleich. Wessen Anwesen, wessen Soiree hielt den Lästermäulern stand, die sobald man verschwunden war nichts anderes im Sinn hatten als Makel und Fehler im Abend zu finden. Ich war zuversichtlich, dass sie nicht viel finden würden. Lady L würde für gerade genug Aufregung gesorgt haben, um keine Eifersucht zu wecken, aber auf keinen Fall für genug, um uns in schlechtem Licht dastehen zu lassen. Wir schritten also an den Tischen vorbei, an der Tanzfläche entlang und auf ein unaufälliges Zeichen hin öffneten sich die Türen zu unserem Privatflügel weit, sodass auch der Letzte verstand, dass wir gingen. Als die Türen sich schlossen, legte mir Lady L eine Hand auf den Rücken und dirigierte mich in den blauen Salon. Ich liebte diesen Raum mit der silbernen Wand, mit großen Fenstern, dunklen Möbeln und einem gemütlichen Sofa mit Kissen und weichen Decken. Alles war von der Nacht inspiriert und wie durch Zauberhand fand man hier immer warmen Tee und Kekse. Wenn ich nicht schlafen konnte war es mein liebster Ort auf der ganzen Welt.
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Unperfect
Teen FictionArya ist ein junges, taffes Mädchen in einer steifen, ungerechten Welt. Und sie ist Teil einer unfassbaren Lüge. Das fünfzehnjährige Straßenkind lebt in einer reichen Adelsfamilie und wird seit Jahren als ihre Tochter ausgegeben. Mit diesem Leben ha...