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Wir tanzten sogar noch ein drittes Mal. Er blieb höflich und charmant. Ich entspannte mich irgendwann und genoss es, mit ihm über den glänzenden Glasboden zu wirbeln.

Es erschien mir seltsam, dass ich vorher nie mit ihm getanzt hatte. Lady L hatte Recht, in letzter Zeit hatte ich kaum Kontakt mit ihm gehabt. Das musste sich ändern. Ich wäre nicht ewig sechzehn. Diese Gedanken verflogen, aber als die Streicher zu einer verträumten Weise anstimmten. Ich schloss kurz die Augen und genoß die Musik. Ich hörte Thorsten lachen. Es war ein schöner Klang, beim König, im letzten Jahr hatte er sich wirklich verändert, dass wusste ich jetzt.

Beim nächsten Schritt kam er näher und ich hob ihm, mein Gesicht entgegen, gerade genug um nicht gegen die strengen Regeln des Tanzes zu verstoßen. " Du tanzt gerne, nicht wahr?"

Ich nickte grazil. " Es bereitet mir große Freude." " Ich habe Gerüchte gehört, von Lavinias Tochter deren Herz, nur die schönste Melodie berührt." Ein echtes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Hoffentlich sah Lady L es nicht. Aber es gefiel mir, dass er ehrlich war.

„Ihr habt Recht, ich mag schöne Dinge, aber nicht nur die Musik. Mein Herz ist jung. Es hat noch Zeit Dinge zu finden, die es mehr berühren als die Musik es vermag."

Die Musik endete, seine warmen Hände lösten sich von meiner Taille und er hielt nur noch meine Hand, während meine Knie und mein Hals sich in einen Knicks beugten. Ich sah in sein Gesicht, während ich mich erhob. Es war weich und schön. Er war kein Junge mehr. Seine Augen und sein starker Griff verrieten es. Das Jahr im diplomatischen Dienst, weit fort von hier musste im gut getan haben.

Wir verließen die Tanzfläche Seite an Seite und an ihrem Rand nahm er nochmal meine Hand. Sein ernster Blick traf mich. " Ludovika, ich war nun ein Jahr fort und du scheinst eine Lady geworden zu sein." Also doch, innerlich seufzte ich. Jetzt würde er alles kaputt machen und etwas schmieriges sagen. " .... das du mich weiterhin so förmlich ansprichst. Bitte, nenne mich Thorsten."

Verwirrt blinzelte ich, ohne das mein Lächeln auch nur das kleinste Bisschen verrutschte. Mal wieder hatte ich mich in Träumereien verloren, aber das was ich verstanden hatte, reichte aus um zu verstehen, dass er mir gerade eine große Ehre erwiesen hatte.

Ich sank erneut in einen Knicks und meinen Dank, den ich somit ausdrückte, empfand ich vollkommen ehrlich. Jeder Mann durfte eine Frau duzen, sobald eine Verwandte, sie offiziell vorgestellt hatte. Lady L hatte dies schon vor Jahren getan. Weswegen Thorsten mich duzte seit ich zarte zwölf Jahre alt war. Eine Frau musste den Mann jedoch so lange siezen, bis er sie persönlich dieser Bindung enthob und die meisten Männer genossen, dieses "Zeichen des Respekts" und entbanden einen nie. Ganz gleich wie lange man sich kannte. Das Thorsten, ein fast Gleichaltriger, dies bei mir tat war eine Geste des Respekts, die mein Herz erwärmte.

" Ich danke dir sehr für deine Freundlichkeit." Seine Augen funkelten. " Es ist mir die größere Freude Ludovika." Als ein Kellner zu uns trat, fragte er, ob ich ein Getränk haben wollte und ich nickte fröhlich. Er grinste und der Junge, den ich all die Jahre gekannt und als unreif eingestuft hatte blitzte auf. Vielleicht musste ich meine Meinung von ihm von Grund auf Überdenken. Dies würde ich heute Abend tun, ganz in Ruhe und dabei eine Liste anfertigen, jawohl!

Ein kühles Glas wurde mir in die Hand gedrückt und ich zuckte leicht zusammen. Schon wieder musste Thorsten lachen. „Du bist immer noch so verträumt wie eh und je."

Ich stimmte in sein Lachen ein. „ Ich fürchte da habt ihr,... da hast du recht."

„ Würdest du mich in die Sitzecke begleiten Ludovika?"

Ich nickte nur und war erfreut, dass er meine Gesellschaft offensichtlich genoss. Schweigend bewegten wir uns auf die Sitzecke zu. Gläserne Chaiseloungen standen hier, bedeckt mit den gemütlichsten Sitzkissen die es nur gab. Ohne uns zu verständigen, drehten wir von der lachenden Gruppe ab, die es sich hier schon gemütlich gemacht hatte und setzten uns in eine geschütztere Ecke zwischen einigen wunderschönen Birken. Ganz Recht. Wir hatten Indoor- Birken. Ich hatte da so eine Theorie die folgendes besagte: Wenn man alles haben konnte, was man sich mit Geld kaufen konnte, dann wurde man immer ein bisschen plemplem. Ausnahmslos.

Thorsten lachte wieder und ich zuckte zusammen. Wie peinlich. Ich hatte einfach nachdenklich ins Leere gestarrt und ihn vollkommen vergessen.

Schnell wandte ich mich ihm zu. Er schien jedoch nicht böse. Seine Augen funkelten. Ich hatte den Verdacht, dass er seine Arroganz und auch so ziemlich sonst alles was mir an ihm missfallen hatte, abgelegt hatte.

„ Erzähl doch einmal wie war es im Ausland?"

Ich stellte meine Frage absichtlich so. Sich für Politik zu interessieren gehörte sich nicht.

Er sah mich misstrauisch an. „ Möchtest du das wirklich wissen?"

In meinem Kopf lief ein Film von all den Dingen, die er gesehen, allem was er erlebt haben musste. Von allem, was außerhalb unserer Grenzen lag. Wie sehr ich ihn doch beneidete. „ Ja, ich bin wirklich interessiert! Du musst fantastisches erlebt haben." Sein Blick wurde weich, er hatte wohl den sehnsüchtigen Ton in meiner Stimme gehört. Ups.

„Das habe ich. Meine Tage waren zwar angefüllt mit Arbeit, aber Kalyrien ist sehr eindrucksvoll. Vor allem die Küste." „Du warst an der Küste? Wie unfassbar." „ Ja, kein Bild kann einem die Empfindungen nahebringen, die man fühlt, wenn man seine Füße in den feinen, scharfkantigen Sand vergräbt, der einem die Füße wärmt. Wenn die Sonne einen bescheint, während das Meer grollt, rauscht und summt. Die Farben sind unwirklich."

„Das klingt wunderschön." , hauchte ich. Und es stimmte.

„Wenn du so gerne das Meer sehen möchtest, dann lässt sich das bestimmt einrichten." Ich lachte auf. „Ja. Bestimmt." Das war eine Lüge und sie lag in meinem Mund wie eine aufgeschnittene, tote Schlange und ja, es fühlte sich so ekelhaft wie es sich anhörte.

Ich sah Thorsten ins Gesicht und seine Miene wurde sehr ernst. „ Ludovika. Ich habe einen Vorschlag für dich." Fragend sah ich ihn an. „Ich... du gefällst mir. Ich, ich könnte eine aufmerksame, intelligente Frau gebrauchen, die mir erzählt was sie denkt und der ich mich anvertrauen kann. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich könnte eine Freundin gebrauchen." Mein Atem stockte und eiskalte Schauer rieselten meine Wirbelsäule hinab. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Was bedeutete das jetzt? Hatte er mir gerade gesagt, dass er  höchstens an mir als Freundin interessiert wäre? Oder wollte er damit andeuten, dass er mehr von mir wollte? Lady L würde mich umbringen. Wenn das mit Thorsten nichts wurde. Es gab immer ein wenig mehr Mädchen als Jungen bei uns. Woran das lag wusste keiner. In meiner Generation war es aber besonders schlimm. Außer Thorsten gab es kaum junge, adelige Männer im Osten Elvarias die Lady L's Auswahlverfahren bestanden hatten. Und schon zu Thorsten war der Altersunterschied groß... Auf einmal legte Thorsten seine warme Hand auf meine, die vollkommen kalt war. „ Ludovika, sieh mich an, bitte." Ich sah zu ihm hinauf und versuchte jede Emotion aus meinem Gesicht zu verbannen, außer lieblicher Freude. „ Es wäre mir eine große Ehre deine Freundin zu sein, Thorsten." , erklärte ich feierlich. Er sah mich nachdenklich an, runzelte die Stirn und sah mich dann fröhlich an. Sein Gesicht strahlte vor Glück und meine Panik flaute langsam ab. Es gefiel mir ihn glücklich zu sehen und eigentlich bekam ich hier doch gerade eine Möglichkeit auf dem Pappteller serviert, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. „ Um unsere Freundschaft zu besiegeln, sollten wir uns vielleicht einmal die Wahrheit sagen, was meinst du?" Ich grinste, ganz ehrlich und ungeniert. „ Ein interessantes Konzept... Was möchtest du denn wissen?". Ich wollte hier in kein Fettnäpfchen treten und wollte hören, was er wissen wollte. „ Was ist deine eigentliche Meinung dazu, das Meer zu sehen?" Er sah tatsächlich interessiert aus und ich vertraute meinem Bauchgefühl. Thorsten war in Ordnung. Trotzdem kostete mich das unglaublich viel Überwindung. Als würde ich jemandem meinen Dolch überreichen, bevor ich schlafen ging. Es war beängstigend. Ich atmete durch und meinte dann. „Dieser Gedanke ist utopisch. Ich sehe keinen Grund, der das Risiko unser Land zu verlassen, aufwiegen würde. Die Sonne könnte meine Haut verbrennen, der Sand und das Salz würden meine Haut austrocknen. Ganz zu schweigen von der Gefahr zu ertrinken. Und wie stellst du dir das vor? Wie soll ich mit meiner Mutter eine Genehmigung erwirken? Ganz zu Schweigen von der gefährlichen Reise durch das Landesinnere... Nein. Das wird niemals geschehen."

Thorsten sah mich so mitfühlend an, dass ich fast angefangen hätte zu heulen, aber verdammt noch mal! Es wurde Zeit sich zusammen zu reißen!

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