Äste knacken. Ich fahre aus dem Schlaf und knalle mit dem Kopf gegen etwas Festes. Fast verliere ich das Bewusstsein. Verzweifelt versuche ich, meinen Kreislauf dazu zu bringen, mein Sichtfeld nicht mehr schwarz sein zu lassen. Ich rappele mich auf und stolpere aus dem Untersschlupf.
Vor mir steht ein Mann. Mit wildem Bart und einem Messer, das direkt auf mein Herz gerichtet ist. Mein Gehirn schreit mich förmlich an, dass er ein Räuber ist. Langsam weiche ich zurück und hebe die Arme. Der Mann versucht gleichzeitig Flo im Blick zu behalten, der ebenfalls aus dem Unterschlupf gestolpert ist.
„Geld her!", verlangt er scharf. Er ist Fjerdan.
„Wir haben kein Geld.", stottere ich und weiche weiter in das Unterholz zurück.
„Geld her!", verlangt er wieder.
Als ich keine Anstalten mache, in meine Taschen zu greifen, macht er einen Schritt nach vorne und schlägt mit dem Messer nach mir. Es verfehlt meine Schulter nur um Zentimeter. Der Fjerdan stinkt. Seine wütend gebleckten Zähne sind schief und gelb. Die Klinge ist weiter auf mein Herz gerichtet, während ich nach hinten stolpere. Ich habe Flo aus den Augen verloren. Ist der Feigling etwa abgehauen?!
„Schönes Mädchen hat sicher Geld.", knurrt der Fjerdan und seine Augen verengen sich.
Mein Rücken prallt gegen einen Baum. Das Herz sackt mir in die Hose.
„Nein.", flüstere ich noch. Der Fjerdan drückt die Spitze des Messers gegen mein Herz. Oder zumindest gegen den Mantel davor.
„Ich bin nicht gerne ein Mörder. Dein Geld." Sein Atem stinkt und ich unterdrücke es, das Gesicht zu verziehen.Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Der Fjerdan sackt zur Seite weg und landet mit einem dumpfen Poff auf dem laubbedeckten Boden. Hinter ihm steht Flo. Er hält den Stock von gestern Abend in der Hand.
„Morgen.", keuche ich und greife mir an das heftig pochende Herz.
„Morgen." Flo sieht etwas schockiert zu dem am Boden liegenden Fjerdan. Als könnte er nicht wirklich begreifen, dass er ihn gerade ausgenockt hat. „Er lebt aber schon noch?", fragt er schon fast panisch.
Ich lasse mich auf die Knie sinken. „Ich befürchte ja." Hektisch durchsuche ich seine Taschen nach einem Seil oder etwas ähnlichem. „Und wenn nicht, wäre es kein großer Verlust."
In seiner Manteltasche werde ich fündig. Schnell knote ich seine Hände hinter seinem Rücken zusammen. Mit vereinten Kräften schleifen wir ihn zu einem Baum, um den ich das Seil binde.
„Weg hier.", murmele ich nur.
Flo zögert. „Meinst du nicht, wir sollten ihm zumindest die Waffen wegnehmen? Immerhin hat er versucht uns zu beklauen."
Ich zucke die Schultern, da ich nicht zugeben will, dass ich gerne selber auf diese Idee gekommen wäre. „Meinetwegen. Vielleicht hat er auch Geld."Während wir die Taschen des bewusstlosen Räubers durchwühlen und alles brauchbare von Geld bis zu Messern in unseren Rucksack verfrachten, wird mir erst bewusst, was gerade passiert ist. Flo hatte mir das Leben gerettet. Ohne ihn hätte der Fjerdan vermutlich kurzen Prozess mit mir gemacht.
„Danke." murmele ich, während ich mir aus einem weiteren Seil des Fjerdan eine Art Gürtel um die ständig rutschende Hose binde und eines seiner Messer daran befestige. Die etwas mehr als handlange Klinge in der Lederscheide hat etwas beruhigendes, wie sie mit ihrem Gewicht an meinem Oberschenkel liegt.
„Du hättest das Gleiche für mich gemacht.", sagt Flo nur. Er steht auf und wirft dem jetzt geplünderten Räuber einen fast schon mitleidigen Blick zu, bevor er sich den Rucksack über die Schulter schwingt. Leise Zweifel kommen in mir auf. Hätte ich wirklich den Mumm dazu gehabt, das Gleiche für ihn zu tun?
„In spätestens zwei Tagen kommen die Truppen des Dunklen hier durch.", versuche ich unsere Taten zu rechtfertigen und meine Gedanken abzulenken. „Die kümmern sich um ihn."
Flo sieht zwar nicht überzeugt aus, wirft aber auch keinen Blick mehr zurück, als wir in die schwache Morgensonne auf den Vy treten.
„Jetzt sind wir wohl offiziell Verbrecher.", sagt er leise und klopft auf das Messer, das er jetzt an seinem Grütel trägt. Stumm bricht er das Stück trockenes Brot, das wir in der Tasche des Fjerdan gefunden hat in der Mitte durch und reicht mir eine Hälfte. Es behagt mir nicht, das trockene Brot zu essen, aber mein Magen lässt mir keine Wahl.
„Verbrecher.", murmele ich, während ich die Karte aus meiner Innentasche ziehe. „Wenn der Dunkle wüsste, dass ich sein Schicksal kenne, würde er die kleinste Kleinigkeit aus mir herausfoltern." Beim Gedanken daran, dass mir mein Wissen hier eher ein Nachteil als ein Vorteil ist, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.
Den Beutel mit dem Geld des Fjerdan habe ich in meiner Tasche. Es ist nicht gerade wenig und vermutlich alles gestohlen oder erpresst.„Was hattest du eigentlich nach dem Abi vor?", frage ich, um meine Gedanken zu stoppen. Wir haben noch eine ewig lange Strecke vor uns, da kann ein bisschen Smaltalk nicht schaden.
„Architektur studieren. Du?"
Seine Antwort überrascht mich. Erst jetzt fällt mir auf, wie wenig ich über ihn weiß. Sieben Jahre lang waren wir in der Gleichen Stufe und sind gewissermaßen zusammen aufgewachsen, aber trotzdem weiß ich fast nichts über ihn. Nur das, was ich über meine peinlichen Stalkaktionen auf Social Media über ihn erfahren habe.
„Ausbildung. Reitsportsattlerei." Darüber zu sprechen ist merkwürdig. Klar, ich habe meine Ausbildungsstelle und schon zahlreiche Praktika hinter mir, aber jetzt gerade wirkt es Meilen entfernt.
„Ausbildung? Warum machst du dann überhaupt Abi?", fragt er, mehr überrascht als irritiert.
„Weil ich es kann.", gebe ich mit einem Grinsen zurück.
„Also das wage ich zu bezweifeln."
„Hey!", erwidere ich empört, während uns eine Kutsche, die von einem schwarzen Kaltblut gezogen wird, überholt. „Was soll das denn jetzt heißen?"
„Naja, so wie du dich freust, wenn du nicht unterpunktest, würde ich das nicht 'können' nennen."
Ich boxe ihn gegen die Schulter.
„Aua!" Er schlägt mir leicht gegen den Hinterkopf.
„Verdient.", murmele ich.
Meine Haare sehen vermutlich schrecklich aus. Mit den Fingern kämme ich sie durch, während wir stur einen Fuß vor den anderen setzen.
„Meintest du das eigentlich ernst? Dass der dunkle dich foltern würde?", fragt Flo schließlich, als wir nach einer kurzen Trinkpause an einem Bach wieder auf den Vy zurückgekehrt sind.
Ich zucke die Schultern. „Vielleicht. Wenn er erfährt, dass ich den Plot seines Lebens kenne. Ich kann es dir auch gerne erzählen, dann können wir gemeinsam gefoltert werden."
„Nichts lieber als das.", erwidert er, aber es ist unmissverständlich, dass er es vorzieht weiter im Dunklen zu bleiben.
Stattdessen erzähle ich ihm etwas über die Welt. Dass im Norden Fjerda und im Süden Shu Han liegt. Dass die Schattenflur von Volkra bevölkert ist, die früher einmal Menschen waren. Dass Os Alta eine Stadt voller Gelehrter und Mächtiger ist, in der Grisha ihre Gaben trainieren. Aber vor allem erzähle ich ihm von den Grisha, während wir uns über Hügelkuppen kämpfen, von Reitern überholt werden, hin und wieder kurz Halt machen, um unsere - beziehungsweise vor allem meine - brennenden Beine zu schonen.
„Ist wusste ja, dass du eine Labertasche bist.", seufzt Flo, als die Sonne schließlich hinter den Wolken hoch am Himmel steht und wir das nächste, größere Dorf fast erreicht haben. „Aber, dass du so viel reden kannst, hätte ich echt nicht gedacht."
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Der Weg durch Ravka || Shadow and Bone/Grishaverse FF (Pausiert)
RandomMara ist so normal, wie man nur sein kann. Normale Freunde, normale Probleme, normale Hobbys, normaler Abistress, ... Doch plötzlich ist ihr Leben gar nicht mehr so normal. Gemeinsam mit ihrem Klassenkameraden Flo landet sie auf unerklärliche Art un...