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Juni 2014, Florenz

"Hey Martín." Andrés schnippte mit seinen Fingern vor dem Gesicht seines Gegenübers, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Martín blickte genervt von seinem Notizbuch auf, indem er gerade erneut die Schmelzdauer von Gold zu Granulat berechnete und schaute Andrés auffordernd an. "Ich habe jemanden kennengelernt.", fuhr dieser fort und grinste Martín strahlend an: "Eine Frau mit Klasse."

Martín zog seine Augenbraue nach oben und schaute skeptisch: "Schon wieder? Ist das dein Ernst, Andrés? Deine letzte Scheidung ist doch erst drei Monate her." Er lehnte sich zurück und nahm einen Schluck von seinem schwarzen Kaffee. Es wunderte ihn nicht, dass sein bester Freund so schnell wieder eine neue Frau fand, denn die Suche nach seiner großen Liebe hatte er bis heute nicht aufgegeben. Auch wenn seine letzten vier Ehen alle daran scheiterten, dass er von ihnen an die Polizei verraten wurde, hatte er immer noch Hoffnung eine Frau zu finden, die ihn mehr liebte als eine Belohnung von zwei Millionen Euro auf Hinweise. Andrés war in dieser Hinsicht immer zu leichtsinnig gewesen und vertraute seinen Frauen viel zu schnell, was ihm eben oftmals auf die Füße viel.

"Martín sei doch nicht immer gleich so negativ!", ermahnte ihn Andrés: "Dieses mal ist es die Richtige, ich habe es im Gefühl. Wir harmonieren perfekt zusammen." Diesen Satz hatte Martín in den letzten Jahren schon zu oft gehört und jedes mal endete es mit einer Scheidung. Er verdrehte die Augen.

"Ach Martín, freue dich doch auch mal für mich.", erwiderte Andrés auf die Mimik seines Freundes: "Tatiana ist eine sehr bewundernswerte Frau, du wirst sie mögen." Martín erzwang sich ein Lächeln: "Ja natürlich, solange sie nicht so eine große Klappe hat wie Nummer vier, hat sie bei mir schon mal einen Pluspunkt." Andrés schmunzelte über den sarkastischen Ausdruck seinen besten Freundes.

Martín versuchte inzwischen seine Aufmerksamkeit wieder den Gleichungen vor ihm zu schenken, doch irgendwie konnte er sich nicht konzentrieren. Für ihn war der Morgen gelaufen. Er sollte sich für Andrés freuen, doch stattdessen fühlte er nur eine aufkommende Eifersucht. Er hasste sich selbst dafür, doch er konnte sie einfach nicht abstellen. Über die vielen Jahre waren er und Andrés ein perfekt eingespieltes Team geworden, beste Freunde um genau zu sein. Sie waren Seelenverwandte und Andrés war sein Spiegelbild. Martín musste zugeben, dass er für seinen Gegenüber mehr empfand als nur Freundschaft, aber das war er sich schon seit Ewigkeiten bewusst. Für ihn war klar, dass dies auf Einseitigkeit beruhte, deswegen zeigte er auch Andrés nie seine wahren Gefühle. Er war ein Feigling sie ihm nicht zu gestehen, doch er konnte seinen besten Freund nicht wegen seiner Gefühlsduselei verlieren. Lieber verdrängte er seinen innigen Wunsch nach der Liebe von Andrés und genoss einfach ihr Zusammensein. Doch dieses schöne Miteinander wurde oft von einer neuen Frau zerstört. Er wünschte sich zutiefst von Andrés so angeschaut zu werden, wie er sie anschaute. Er wünschte sich die Aufmerksamkeit, die er ihnen schenkte, doch leider war das nur eine weit entfernte Realität. Diese Gedanken brachten jedes mal einen gewissen bitteren Beigeschmack mit sich.

"Alles gut bei dir? Du scheinst so tief in Gedanken zu sein.", erkundigte sich Andrés, welcher den starrenden Blick von Martín auf sein Notizbuch bemerkt hatte. Angesprochener nickte bloß, rutschte auf seinem Stuhl zurück und schaute gen Himmel. Sie saßen immer noch am runden Frühstückstisch im Innenhof, wie jeden Morgen. Wenn man genau hinhörte, konnte man sogar den Morgengesängen der Mönche lauschen. Martín seufzte.

"Tatiana ist übrigens eine ausgezeichnete Konzertpianistin. Sie spielt himmlisch.", versuchte Andrés die Stimmung zu heben: "Und außerdem raubt sie ebenfalls Juweliere aus." Martín blickte seinen Freund verwundert an: "Ach tatsächlich?" "Ja, tatsächlich. Sie kommt morgen früh an und wird ein paar Wochen bleiben bis sie wieder zurück auf Tournee geht. Da könnt ihr euch ja etwas näher kennenlernen.", fügte Andrés an und grinste.

"Weiß sie das du krank bist, Andrés?" Sein Blick erhärtete. "Natürlich weiß das Tatiana. So etwas würde ich ihr nie vorenthalten.", antwortete dieser und blickte auf seine Hände. Martín wusste, dass er mit diesem Satz einen wunden Punkt in ihm getroffen hatte. "Aber dein Bruder hat noch keinen blassen Schimmer, dass du nur noch fünf Jahre zu leben hast. Bei aller Liebe, manchmal kann ich dich einfach nicht verstehen."

"Martín, du weißt doch, dass er mich direkt zur nächstbesten Medikamentenstudie zerren würde, die am Ende eh erfolglos ist. Meine Krankheit ist unheilbar. Ich möchte mein Ableben interessant, sorgenlos gestalten und nicht die besten Jahre meines Lebens im Krankenhaus verbringen.", er lächelte. "Hast du dir heute schon dein Retroxil gespritzt?", fragte Martín nach und ein besorgter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. "Ja, das habe ich." Martín wusste, dass er sich nicht gerne über seinen Zustand unterhielt, er eigentlich genauso wenig, doch er machte sich trotzdem Sorgen um Andrés. Verständlich, Martín würde seinen jahrelangen besten Freund, seine große Liebe an einer verdammten Krankheit verlieren. Es schmerzte, doch genau wegen dieser wenigen Zeit die ihnen blieb, genoss er jeden freien Moment mit ihm.

Martín lehnte sich vor zu Andrés und legte seine Hand auf die seines Gegenübers und lächelte ihn an. "Ich habe eine neue Idee, wie wir den Schmelzprozess des Goldes optimieren können.", erklärte Martín. Er wusste, dass dieser Satz Andrés' Interesse sofort wecken würde, da er genauso wie er, Feuer und Flamme für diesen Plan war, den Plan die spanische Zentralbank auszurauben. Sie beide machten seit einem Jahr nichts anderes. Andrés schaute auf und grinste ihn an. Martín liebte sein Lächeln, welches in ihm jedes mal ein Kribbeln auslöste. "Erzähl' es mir.", forderte sein bester Freund ihn auf. Nichts lieber als das...

You and I are soulmates || Berlermo Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt