Der Geruch von Desinfektionsmitteln war verflogen. Es war der erste Gedanke, der in meinem Gehirn aufpoppte wie eine kleine Luftblase, die eilig in Richtung Wasseroberfläche aufstieg. Der zweite war schwerer zu greifen, da nun auch mein Körper langsam zum Leben erwachte. Überall spürte ich ein feines Kribbeln, welches Stück für Stück das Gefühl der Taubheit in meinen Gliedern ersetzte. Wunderbar weicher Stoff berührte meine Haut. Gedanklich ließ ich meine Fingerspitzen über ihn gleiten. Ich schwebte in einer kuschelig warmen Wolke, fühlte mich geborgen in den Falten des Stoffes, der so anders war als das steife weiße Laken im Krankenhaus. Meine Augenlieder waren zu schwer, als dass ich sie hätte öffnen können, also genoss ich den Moment der Stille in der Dunkelheit, die mich schützend umgab. Friedlich fühlte es sich an. Zu schön, um wahr zu sein.
Ein goldener Lichtschein fand seinen Weg durch meine geschlossenen Lider und beförderte mich sanft weiter in Richtung Realität. Die Welt um mich herum schien aus dem Tiefschlaf zu erwachen, sich klackernd und quietschend in Ganz zu setzten. Ich vernahm gemurmelte Wortfetzen und dumpfe Schritte, die durch die Luft hallten. Das Licht vor meinen Lidern wurde heller und heller. Meine Hand wollte sich schützend über meine Augen legen, doch die Kontrolle über meine Glieder schien mir weiterhin verwehrt zu sein. So blieb mir nichts anderes übrig, als tief einzuatmen und blinzelnd gegen die Schwere meiner Lider anzukämpfen. Als ich die Augen aufschlug, schwebten zarte weiß-rosane Wolken in einem hellblauen Himmel über mir. Irritiert blinzelte ich. Wo war ich? Wo war die weiße Decke meines Zimmers? Mein schläfriges Gehirn schien Zeit zu brauchen, um die Bildinformationen verarbeiten zu können, somit wurde ich mit meinen Fragen alleine zurückgelassen. Dann schob sich ein Gesicht in mein Sichtfeld.
„Sie ist wach.", drang es verschwommen an mein Ohr. Ein weiteres Gesicht tauchte in meinem noch unscharfen Blickfeld auf. Verwundert sah ich beide an, unklar, was sie von mir wollten. Das eine Gesicht bewegte wie in Zeitlupe seine Lippen.
„Sie ist noch nicht vollständig angekommen. Das erste Mal ist immer träge und zäh." Die Worte ergaben keinen Sinn für mich.
„Wo...", setzte eine etwas raue Stimme unbeholfen an.
„Wo bin ich?", ich blinzelte und blinzelte erneut. Ohne mein Zutun waren die Worte meinen Lippen entwichen. Es schien Klick in mir zu machen. Die Zahnrädchen griffen glatt ineinander, begannen sich zu drehen und zu drehen. Schnell wie ein Karussel. Meine Sicht wurde messerscharf. Darius starrte auf mich hinunter, neben ihm ein glatzköpfiger Mann, dessen Haupt von schwarzen Schnörkeln und Ranken bedeckt war, die sich hinunter bis zu seinen dunklen Brauen schlängelten.
„Willkommen Cleophelia.", die Stimme des Mannes klang tief und weich. Eine Hand schob sich unter mein Haupt und half mir, mich schrittweise aufzurichten. Die Müdigkeit schien sich unendlich langsam von mir abzuschälen. Ungeduldig wollte ich mich schütteln, um sie endgültig von meinen Schultern abzustreifen. Dann sah ich mich genauer in dem Raum um, in dem ich mich befand. Dicke Steinsäulen trugen die hohe Decke, auf die ein atemberaubendes Himmelszelt gemalt war. An den weißen Wänden rann Gold in pfeilgeraden Linien in Richtung Boden, der sich wie ein endloses Meer aus weiß schimmerndem Stein unter mir erstreckte. Wo war dieser Ort? Mein Kopf flog zurück zu Darius und dem Mann. Tausende von Fragen lagen mir auf der Zunge.
„Du bist in Sicherheit.", sagte Darius langsam, und streckte vorsichtig seine Hand nach mir aus. Doch ich zuckte zurück. Schatten tauchten vor meinen Augen auf. Eine silbrige Klinge. Ein lautloser Schrei. Meine Augen weiteten sich und ein Keuchen entwich meiner Kehle. Meine Hände bewegten sich wieder, rissen den Stoff von meinem Körper und legten sich auf meinen Brustkorb. Ich spürte nichts. Doch was genau war es, was ich spüren sollte? Erinnerungsbruchteile flogen an mir vorbei, doch sie waren außerhalb meiner Reichweite. Frustration wallte in mir auf. Was war passiert? Wie war ich hierhergekommen?
DU LIEST GERADE
Breathe - Atemzug in einer anderen Welt
FantasyCleophelia besitzt die Gabe, Geschichten zu erzählen. Nur über ihre eigene scheint sie keine Kontrolle zu haben. Von einer mysteriösen Krankheit befallen, blickt sie in dem New Yorker Krankenhaus ihrem sicheren Tod entgegen. Doch dann taucht der geh...