Kapitel 1

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Badu's Sicht

„Komm zieh durch!", dringt die Stimme meines Trainingspartners in meine Ohren, wo sie sich mit dem Rauschen meines Blutes vermischt. Noch 30 Meter bis zur Ziellinie, ich spüre schon die Luft in meiner Lunge brennen, meine Beine fühlen sich schwer an und trotzdem ziehe ich das Tempe nochmal an. Mein Fokus gilt alleine der in dem Flutlicht strahlenden, weißen Ziellinie, während um mich herum alles zu einem Gemisch verschwimmt. Mein Brustkorb hebt und senkt sich im gleichmäßigen Rhythmus meines Atems und meine Füße setzen wie automatisiert einen Schritt vor den anderen, bis das Klicken einer Stoppuhr in meinen Ohren erklingt und ich mein Tempo reduziere, schließlich zum Stehen komme und mich nach Luft ringend auf meinen Knien abstütze. „Alter Badu, das war schon wieder eine neue Bestzeit!", David kommt mit weit aufgerissenen Augen auf mich zu und hält mir die Stoppuhr vors Gesicht. „Wenn du so weiter machst, läufst du bald mit den ganz Großen mit", anerkennend klopft er mir auf die Schulter und ich lache belustigt, was allerdings mehr wie ein Husten klingt, weil ich immer noch versuche meine Lungen mit neuem Sauerstoff zu tanken. „Glaubst du mir nicht oder was?", er sieht mich fragend an „du weißt aber schon, dass hier in dem Camp auch schon Sportler wie Julian Reus entdeckt wurden? Wenn du dich anstrengst und der Coach dein Talent sieht hast du Chancen auf eine Sichtung für den Jugend Kader". Ich richte mich auf und gehe zu meiner Trainingstasche, aus der ich meine Wasserflasche hole um einen ordentlichen Schluck zu trinken. „Komm schon Bro", ich drücke den Deckel wieder zu, schmeiße sie zurück und stütze meine Hände in meine Hüften „durchschnittlich wird meist einer von 30 Sprintern so gut, dass er als Profi gilt und internationale Wettbewerbe gewinnt. Olympia ist da doch dann nochmal ne ganz andere Liga." Der durchtrainierte blonde Junge sieht mich mit seinen stechenden, grünen Augen an und zuckt die Schultern: „wenn du meinst. Wäre ich so gut wie du würde ich mir so eine Chance nicht entgehen lassen". *So gut*, das klingt als wäre ich sonst was für ein Talent. Wenn Viktor hier wäre würde er mir safe sagen, dass ich nicht zu viel auf Davids Worte geben sollte, wie will er auch sowas einschätzen können. Viktor würde mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen und mich nicht in einen Höhenflug geraten lassen, andererseits, vielleicht bin ich ja wirklich richtig gut und vielleicht hätte ich wirklich eine Chance in den Kader zu kommen? Viktor ist schließlich nicht hier, also warum sollte ich nicht einfach mal den Worten von anderen Sportlern als meinem besten Freund vertrauen? Seitdem wir hier im Sportcamp jetzt schon eine Woche jeden Tag zu jeder freien Minute trainieren hab ich mich echt krass gesteigert. Da würde ich wahrscheinlich sogar locker Till abziehen.

„Und? Denkst du gerade an deine erste Goldmedaille?", grinsend sieht David mich an und bei der Vorstellung strömt ein Stoß Adrenalin durch meinen Körper, ich nicke zufrieden. „Wenn ich dann erstmal zu den Top 5 der Weltspitze gehöre nenne ich dich auch in meinen Interviews als den Trainingspartner, der mich in meiner Jugend im Camp gepusht hat alles zu geben". „Ohh, welch eine Ehre", er lacht und deutet eine Verbeugung an „aber an der Spitze der Sprintstaffeln stehen wir ja dann als deutsches Team zusammen, dann kennt eh jeder meinen Namen". „Das nenne ich einen Plan. Wir zwei mit Viktor und Cäcilia, das wäre unschlagbar, da können die ganzen anderen Länder einpacken". David schüttelt lächelnd den Kopf: „So viel wie du von den beiden erzählst müsst ihr drei ja ein echtes Dreamteam sein". „Sind wir ja auch", stelle ich zufrieden fest und muss automatisch daran denken, wie wir vor den Ferien noch jede Menge Zeit im Stadion und auf der Tartanbahn verbracht haben. Auch wenn es hier im Camp echt nice ist und die Leute alle mega chillig drauf sind wäre es nochmal cooler gewesen, wenn ich meine Teamkollegen hier gehabt hätte. Eigentlich war ja sogar geplant, das Viktor mitkommt, aber irgendwas ist da dazwischengekommen, leider.

„Und wie siehts aus? Ist diese Cä-", setzt David an, doch da werden wir von einer anderen Stimme unterbrochen. „Hey Jungs!", ruft Lisa und winkt uns zu. Im Schlepptau hat die Sprinterin neben ihrer besten Freundin Alana noch Lilli und Jackson, einen Stipendiaten aus Amerika. Ich packe meine Tasche und werfe mir mein Handtuch über die Schulter, dann machen wir uns auf den Weg zu der kleinen Gruppe am Ausgang. „Und, how was the training?", fragt Jackson in seinem gebrochenen Deutsch und lächelt uns aus seinen tief braunen Augen an. Er ist echt korrekt und anders als erwartet hat er relativ schnell klar gemacht, dass er von den Mädels wegen seines wirklich guten Aussehens nicht angeschmachtet werden will. Laut Alana sei er nämlich der typische heiße bad boy aus den High School Filmen, auf den alle Mädchen fliegen und das hat sie ihm an unserem ersten Abend, als wir zusammen am Lagerfeuer saßen, auch direkt gesagt. Zugegebener Maßen kann ich ihr Klischee sogar verstehen, denn anfangs dachte ich auch er sei ein eingebildeter Typ. Naja so leicht kann man sich täuschen. „War echt gut", gebe ich auf seine Frage zurück. „Gut? Untertreib mal nicht", fängt David wieder von vorne an mich in höchsten Tönen zu loben, was verdammt nochmal runter geht wie Öl, auch wenn es ein bisschen unangenehm ist so im Rampenlicht zu stehen. „Hat unser Love-Doc mal wieder seinen Rekord gebrochen?", fragt Lisa und sieht mich herausfordernd an. „Love-Doc? Dein Ernst?", gebe ich stattdessen als Antwort um ein wenig vom Trainingsthema abzulenken. „Aber sowas von! Wer hat denn gestern für Lilli seine Statistiken rausgeholt, als es um ihren Boy ging?" Lilli schaut verlegen zur Seite, ich schüttle lachend den Kopf und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen „Oh man". „Und? What machen wir now?", fragt Jackson und ich bin erleichtert, dass auch er ein anderes Thema einschlägt. „Chillen auf unserem Zimmer, wie gestern?", wirft David in die Runde und die anderen stimmen zu. „Eyy es ist doch noch so schönes Wetter, wir haben Sommerferien Leute, warum genießen wir das nicht?", protestiere ich und werfe dabei unterstützend meine Arme in die Luft. Jackson stimmt mir sofort freudig nickend zu und auch die anderen sind schließlich einverstanden. Wir verabreden uns in einer halben Stunde, dann gehen David und ich noch aufs Zimmer, duschen, ziehen uns was anderes an und nehmen eine Decke, Wasser und Salzstangen mit. Draußen im Flur treffen wir auf die anderen, außer Lilli, die wollte mit ihrem Freund telefonieren und ist ins Zimmer, dann machen wir uns auf den Weg zum See nahe unseres Camps, wo wir unsere Decken ausbreiten und uns im Kreis gemütlich hinsetzen. Alana holt eine Musikbox aus ihrer Tasche und verbindet ihr Handy damit. „Pass auf-", setzt Lisa an doch Alana schneidet ihr das Wort ab „Ja ja, dass ich die Musik nicht zu laut mache. Weiß ich doch". Beide gucken sich an und fangen instant an zu lachen. Ich muss grinsen, so eine Verbindung hab ich zu Viktor auch. Wie oft waren wir schon in der Situation, dass wir dem jeweils anderen das Wort aus dem Mund genommen haben? „Hat eigentlich jemand Werwolf mitgenommen?", fragend sieht Alana in die Runde. „Oh shit, hab ich liegen lassen, sorry", kommt es von David und ein kollektives Aufstöhnen erklingt. Wir brechen in Gelächter aus und wieder durchströmt mich dieses Gefühl von Glück. Schon am ersten Tag hat sich unsere kleine Gang gebildet und wir haben seitdem jeden Abend miteinander verbracht, Werwolf gespielt, über Sport und was es sonst noch so gibt gequatscht und einfach miteinander abgehangen. Es tut echt gut die fünf hier um mich zu haben, obwohl ich anfangs enttäuscht war, dass Viktor doch nicht mitkommen durfte.

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