Kapitel 11 - Im Visier

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Nachdem ich einfach aufgelegt hatte, da mir die Fragerei zu blöd geworden war, rannte ich das letzte Stück nach Hause. Ich stürzte regelrecht in die Küche, in der Mom in aller Seelenruhe das Mittagessen kochte. Verwirrt starrte ich sie an, während sie mir ihrerseits ein verwundertes Lächeln schenkte. »Kaycie, was ist mit dir?«, fragte sie. »Sollte ich mir Sorgen machen?«

Nervös lachte ich auf. »Um mich? Nein, da solltest du besser auf Zoey achten«, gab ich zurück.

Wie aufs Stichwort kam diese die Treppe hinunter. Anders als heute Morgen, trug sie frische Klamotten, war sauber und sie hatte sich die Haare gekämmt. Sie wirkte nur etwas ermattet und rieb sich die Schläfen, als leide sie an Kopfschmerzen. »Musst du so rumschreien?«, brummte sie.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Das von heute Morgen, konnte ich mir doch nicht eingebildet haben.

Ich eilte auf sie zu und zerrte sie wieder die Treppe hinauf, dann blieb ich wie erstarrt stehen. Die Tür zu Zoeys Zimmer, die heute Morgen völlig zerfetzt an den Angeln gehangen hatte, sah jetzt aus, als wäre nie etwas passiert.

»Lass mich los!«, nuschelte Zoey neben mir und versuchte sich aus meinem Griff zu befreien.

Ich ließ sie los, nur um sie an beiden Schultern zu packen und zu schütteln. »Wie verdammt nochmal hast du das angestellt?«, fuhr ich sie an. Meine Gedanken überschlugen sich. Alarmglocken schrillten auf – irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.

»Was meinst du denn? Bist du jetzt verrückt geworden?« Zoey funkelte mich wütend an. »Und kannst du mich jetzt bitte mal loslassen, ich muss dringend aufs Klo«, setzte sie empört nach.

Ich hielt inne. Schlaff glitten meine Hände von ihren Schultern.

Mit einem misstrauischen Blick ging Zoey an mir vorbei und ließ mich allein und völlig durcheinander auf dem Flur zurück.

Selbst Moms Kochkünste brachten mir keinen klaren Gedanken ein. Nach dem Essen verließ ich rast- und ziellos das Haus. Ich schlenderte durch die Straßen, bis es mich am Ende unbewusst zu Oscar geführt hatte.

»Ich verstehe das einfach nicht!« Aufgebracht stakste ich von einem Ende des Raums zum anderen.

Ich konnte spüren, wie Oscars Blick meinen Bewegungen folgte. Er hatte seine Denkerpose aufgesetzt: die Beine übereinandergeschlagen und mit einer Hand strich er sich höchst konzentriert über das Kinn. »Und du bist dir wirklich zu hundert Prozent sicher, dass Zoey heute Morgen so ausgerastet ist?«, fragte er vorsichtig.

Abrupt blieb ich stehen und starrte ihn entgeistert an. »Du glaubst, ich habe mir das nur eingebildet?«, rief ich.

Beschwichtigend hob er eine Hand. »Moment, so habe ich das nicht gesagt. Es ist nur so: du kannst es nicht beweisen, oder?«

Frustriert seufzte ich auf. »Nein, kann ich nicht. Die blöde Tür ist heil und sieht aus wie immer ... Aber ich weiß, dass ich mir das nicht eingebildet habe! Irgendwas ist mit Zoey passiert, und wir müssen herausfinden, was das war«, gab ich bestimmt zurück.

»Gut, was schlägst du vor?«

»Heißt das jetzt, du glaubst mir doch?«

»Ich habe nie das Gegenteil behauptet. Aber ich tendiere mal dazu, dir zu glauben, denn normal gibt es bei dir, und anscheinend auch beim Rest deiner Familie, nicht«, antwortete er.

»Gut, dann sind wir damit wohl einer Meinung«, stellte ich zufrieden fest. »Wir werden sie keine Sekunde mehr aus den Augen lassen – das schlage ich vor.«

Mit einem diabolischen Grinsen rieb sich Oscar die Hände. »Heißt das jetzt, dass ich meine geheimen Stalker-Utensilien endlich einmal benutzen darf?«, fragte er.

Ich runzelte die Stirn. »Ernsthaft, hast du so was?«

Sein dreckiges Grinsen verschwand. »Nein – wofür hältst du mich?«

Da es uns irgendwann zu langweilig wurde, Zoey heimlich mit einem mehr schlecht als recht funktionierenden Fernglas vom Garten aus zu beobachten, beschlossen wir ins Café zu gehen und uns eine Pause zu genehmigen.

Mal ehrlich, niemand fand es spannend, wenn sich jemand die Nägel lackierte, den Nagellack anschließend wieder wegwischte und erneut welchen auftrug, diesmal jedoch in einer anderen Farbe. Alles andere wäre mir dann wieder nicht ganz so normal vorgekommen.

Beinahe wäre ich eingenickt, so monoton war das Ganze. Und ich hatte Oscar lieber nicht gefragt, wo er das ziemlich gebrauchte Ding herhatte, mit dem er in Zoeys Zimmer linste – so genau wollte ich das gar nicht wissen.

Wir bestellten uns zwei große Eisbecher und starrten dann lange nur in die Gegend herum. Wer kannte das nicht? Die Zeit schien stillzustehen und man wusste einfach nichts mit sich anzufangen. Durch das Fenster konnte ich über den Hafen blicken, der an diesem Nachmittag ruhig dalag. Die Boote wiegten sich sanft auf dem Wasser, das in der Sonne glitzerte.

»Findest du das nicht auch irgendwie seltsam?«, fragte Oscar schließlich. Er hatte seinen Löffel wie einen Zauberstab erhoben. Fehlte nur noch, dass er irgendeinen dämlichen, kryptischen Spruch von sich gab.

Ich unterdrückte ein Kichern. »Was? Dass Zoey so blöd war, und erst am Ende, als sie alle Nägel schon lackiert hatte, bemerkt hat, dass es die falsche Farbe war?«, meinte ich sarkastisch.

Oscar hingehen wirkte nicht im Geringsten amüsiert. »Nein, oder doch? Jedenfalls sah es für mich nur wie eine Ablenkung aus.«

Ich schlug mir eine Hand vor den Mund. »Du meinst, sie hat uns nur hingehalten, weil sie genau wusste, dass wir sie beobachten?«, rief ich fast schockiert aus.

Oscar nickte. »Genauso schätze ich deine Schwester leider nun einmal ein ...«

»So eine ... Bitch! Komm, wir müssen wieder zurück.« Ich sprang auf und wollte Oscar schon mit mir ziehen, doch er schien es nicht eilig zu haben.

Er hob eine Hand. »Warte! Ich denke, genau das will sie doch.«

Meine Augenbrauen fuhren verwirrt in die Höhe.

»Ich glaube nicht, dass wir jetzt schon zurückgehen sollten. Zoey denkt vermutlich, dass wir das bald tun werden – wir werden sie einfach im Ungewissen lassen.«

Mondsüchtig | VerwandlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt