Kapitel 2

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Null. Eine einzige, aber klare Ziffer blinkte, rief und schrie in seinem Kopf. Null. Null. Null. Dröhnend, lauter, fordernder. Und doch saß er zitternd da, die silberne Klinge, -die mit ihrer erbarmungslosen Schärfe selbst in der dunkelsten Nacht, im dunkelsten Raum im METROPOL, glänzte, gar mit ihrer erlösenden Wirkung prahlte-, zweifelnd lose umklammert; später dann unbedacht in der Hand schwingend. Den schönen Jungen, dem die Ermüdung und das Leid ins nahezu perfekte Gesicht geschrieben schien, hatte die feste Entscheidung sich vom Tod in den ewigwährenden Schlaf, welcher Erholung mit sich brachte, küssen zu lassen im Laufe der letzten zwei Stunden immer weiter verlassen. Eventuell verblasste die Idee genauso schnell, wie sie entstanden war. Spontanität lag ihm, ihm, der Ordnung und Planung brauchte, nicht. Seine Zurückhaltung stimmte ihn dennoch in Erstaunen. In seiner desperaten Lage suchte er den Grund für seine quälende Unentschiedenheit.

Auf die deutlich erkennbare Divergenz zwischen religiösen Menschen, die nicht nur an ein Leben nach dem Tod und die damit zusammenhängende Strafe Gottes für ihre Sünden glaubten, sondern auch einen Sinn in dieser monotonen Welt sahen, den zufriedenen Personen, die sich in der Lage befanden all ihre Chancen zu nutzen, um im Glück und Freude zu ertrinken, und dem pathetischen ihm, bezogen, bestand für Dan nicht der geringste Anlass zur Zurückhaltung. Das Verständnis des Zwecks des Atmens blieb für ihn verborgen. Jemanden, den die dreisten Medien „Hinterbliebene" nannten, besaß er nicht mehr richtig, Gottes Plan schien ihm suspekt und ansonsten verpasste er nicht das Geringste. Warum also ließ Daniel die kühle, silberne Rasierklinge seinen kalten, geschwächten Körper mit dem warmen, klebrigen, zähflüssigem Blut aus seinen Pulsadern nicht erhitzen, bevor es wie sein Inneres auf ewig gefror? Gewiss kamen seine Bedenken nicht durch die Angst vor Verstümmlungen zu Stande, sein ganzes, äußeres Wesen könnte das Werk eines rachsüchtigen, aggressiven Serienmörders aus der dubiosen  Fernsehsendung Criminal Minds, der am liebsten mit rot auf lebendigen Leinwänden malte, darstellen. Geisterhafte, violette, rötliche und rosa Linien, denen man die unkontrollierte Hand des Künstlers mit einem einzigen Blick ansah, bildeten die Narben auf ihm. Sie durchzogen wie kleine Flüsse, die bisher nicht die Chance hatten in einander zu fließen, seinen abgemagerten, missbrauchten Leib. Zwei vertikale Striche entlang den knochigen Armen brächten das Ende des Kunstprojektes mit sich.

Aber klirrend schlug das gefährlich scharfe Instrument auf dem künstlichen Marmorboden, der heute mehrere Male seit der Abwesenheit Daniels von jeglichen Staubkörnern mittels Bodenwischer und teuren Reinigungsmittel befreit worden war, auf. Sein Blick, der vor nur ein paar Sekunden noch auf seine dürren Finger in nervöser Bewegung fixiert gewesen war, wanderte zögerlich nach unten; tief ein und aus atmend.

„Wer weiß, vielleicht brauche ich ja eine andere Methode.", flüsterte er, während er langsam die Klinge aufhob, um sie an den Nachtisch, der gewisser Maßen mit seinem schwarzen Bett verbunden war, zu setzten. Automatisch umfasste seine Hand den kleinen, orangen Behälter mit unzähligen, weißen Pillen, die den einzigen Inhalt bildeten. Direkt und ruhig in den Schlaf überzugehen, anstatt mit brennenden Wunden darauf zu warten, erweckte in Dan mehr den Eindruck einer rationalen, für ihn passenden Handlungsweise. Außerdem hatte er somit auch die Möglichkeit vor dem unwiderruflichen Sterben etwas Köstliches zu sich zu nehmen. Damit die Einnahme der Tabletten ohne Komplikationen durchführbar wurde, öffnete er ausdruckslos die Schuhblade, in der er eine gestohlene Flasche des kostspieligen Alkoholgetränks seiner Tante aufbewahrte. Zu Lebzeiten seiner Eltern durfte Daniel nie von dem schädigenden Getränk kosten, da Ethanol sowie Nikotin im Howell-Apartment nicht geduldet wurden. Nur äußerst selten wurden Wein, Cocktails oder Whiskey ausgeschenkt, aber kein einziges Mal für ihren minderjährigen Sohn, der noch all seine Gehirnzellen benötige; bis Perrie hier einzog. Dank ihr erwachte die alte, noble Hausbar erneut zum Leben, weswegen eine fehlende Flasche nicht weiter auffiel.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 27, 2016 ⏰

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The Tragedy Of The Pretty Boys [Phan]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt