𝟎𝟑. 𝐕𝐞𝐫𝐬üß𝐭

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Elsas Sicht

Langsam ließ ich meinen Blick über die leeren Reihen schweifen. Vereinzelt hatten Schüler sich ein ruhiges Plätzchen gesucht, um im Stillen an ihren Hausaufgaben zu arbeiten oder einige Bissen des Frühstücksbrotes zu genießen. Ich selbst war auf der Suche nach sensationellen Ideen, Einzigartigkeiten mit denen ich die Klasse verzaubern könnte. Doch selbst mit kleversten Einfällen wüsste ich wohl nichts anzufangen. Ich spielte weder ein klassisches Instrument, noch etwas Modernes, das Mrs. Robinson beeindrucken könnte.

Irritiert blickte ich in Richtung des Süßigkeitenautomatens, der aufmerksamkeitserregende Laute von sich gab und die meine plötzlich auf das rotgelockte Mädchen davor zog. Die wilde Mähne verbarg ihr Profil und ließ mich im Unwissen wer den störenden Lärm verursachte. Der angestrengte Rotschopf bearbeitete die sperrige Maschine krampfhaft um sie mit satten Schlägen zum funktionstüchtigen Arbeiten zu befördern.
Aus dem Augenwinkel betrachtete ich das Trauerspiel. Das bloße Zusehen ist einfach nur mühsam. Langsam richtete ich mich auf, streifte an meiner violetten Bluse entlang um sie zu glätten und erreichte die wilde Lockenmähne mit wenigen Schritten.

„Kann ich dir vielleicht helfen?", fragte ich schüchtern, doch das sture Mädchen schlug weiterhin auf den dicken Metallschrank ein. „Was tust du da?" Warum ich mich überhaupt dazu brachte einen Menschen anzusprechen, war mir selbst ein Rätsel.

„Ich hole was mir gehört. Ich brauche meinen Zucker. Vorallem jetzt, da mir die Leute schon am ersten Schultag die Nerven rauben."

Argwöhnischen Blickes musterte ich die Erscheinung des Mädchens. Das grün-schwarze, übergroße Karohemd hing in schlappen Stücken an ihrem schlanken Körper entlang und reichte beinahe bis zu den von dunklem Jeansstoff umhüllten Kniekehlen. Die intensiven blauen Augen richteten sich starr auf den sperrigen Automaten. Sie war hübsch. Doch die Sturheit in ihren Augen ließ sie irgendwie einen Hauch zu verbissen aussehen.

„Ich glaube, auf diese Art erreichst du hier nichts."

„Bist du immer so neunmalklug oder einfach nur nervig?"

„Keins von beidem. Ich bin Elsa.", entgegnete ich und verfluchte mich sogleich für den seltsamen Spruch.

Die Rotgelockte rollte die Augen.
„Schön, Elsa. Dein Rat ist bestimmt nett gemeint, aber mal im Ernst: Ich brauche keine zweite Mutter, die mich kritisiert. Also wenn du mich jetzt entschuldigst - ich hab was zu erledigen."

Schnurstracks kramte ich einen karamellgefüllten Schokoladenriegel mit der Aufschrift Knuspi aus meiner Tasche und rieb ihn der Rotgelockten unter die Nase. „Willst du ihn? Ich möchte ja nicht deine Mutter spielen, aber so wirst du deinen Zuckervorrat nicht füllen."

„Ach, gib schon her.", sagte sie nach einem Moment des Lockens.

„Danke."

„Wofür? Dass ich deine Schoko esse? Gern geschehen.", erwiderte sie und nahm einen herzhaften Bissen.

„Dass du endlich mit dem Lärm aufhörst.", lächelte ich, „Ich bin nie so offensiv, aber das ist mein erster Schultag, ich habe schon die ersten Projekte am Hals, finde keinen Partner und Ideen habe ich auch nicht." Irgendwie tat es gut, die Worte auszusprechen. Als sei ein erster Schultag eine Belastung. Und dennoch war es angenehm. Außer sie verspottet mich gleich.

Gemächlichen Schrittes begleitete mich das Mähnenmädchen zu dem einsamen Kantinentisch auf dem sich meine Hefte nur so stapelten.

„Ich kenn das. Aber glaub mir: der erste Schultag ist bei so gut wie jedem mies. Oder zumindest bei mir. Ich fühle mit dir.", kicherte sie.

𝐃𝐢𝐞 𝐖𝐢𝐧𝐭𝐞𝐫𝐫𝐨𝐬𝐞 - 𝑱𝒆𝒍𝒔𝒂 & 𝑯𝒊𝒄𝒄𝒔𝒕𝒓𝒊𝒅  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt