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Als die letzten Schüler den Raum verlassen haben, lasse ich mich erschöpft auf den Stuhl am Lehrertisch sinken. Mein Herz hat zwar nach etwa zwanzig Minuten aufgehört, wie verrückt in meiner Brust zu hämmern, aber die Anspannung will erst jetzt allmählich meinen Körper verlassen.

„Das war wirklich gut, Caleb", lobt Finn mich und ich fahre mir mit meinen Händen über mein Gesicht. Es fühlt sich noch immer warm an und ich befürchte, dass ich die gesamte Stunde aussah wie eine sprechende Tomate.

„Naja, es hätte auch schlimmer enden können", wiegele ich ab und blättere verlegen durch das Geografiebuch, das vor mir liegt. Manche dieser Seiten kann ich inzwischen wirklich beinahe auswendig.

„Das ist wahr", antwortet Finn und steht langsam von seinem Stuhl auf. „Du hast dich gut geschlagen. Mit der Witzelei am Anfang hattest du sie direkt auf deiner Seite."

„Ach", winke ich ab. „Irgendwie musste ich mich ja aus der Affäre ziehen." Meine Hand fummelt nervös an der unteren Ecke des Buches herum. Plötzlich legen sich Finns Finger, die mir bis vor wenigen Stunden beinahe vertrauter waren als meine eigenen, über meine Hand und er sagt ernst: „Nimm das Lob einfach an, Caleb. Du warst wirklich gut und ich bin stolz auf dich."

Mein letzter Atemzug bleibt in meiner Kehle stecken und ich starre gebannt auf Finns lange Finger über meinen. An der Stelle, wo sie mich berühren, kribbelt meine Haut und für eine Sekunde frage ich mich, ob er das ebenso spürt.

„Und?", lässt Kilians lautes Rufen uns beide zusammenzucken und Finn tritt unwillkürlich einen Schritt zurück, seine Hand nun in seiner Hosentasche.
„Wie hat Caleb sich geschlagen? Hast du ihn auch mal was sagen lassen oder durfte er nur die Tafel wischen?", erkundigt sich Finns Bruder.

Finns Blick ruht für einen Moment auf mir, ehe er sich Kilian zuwendet und erklärt: „Caleb war großartig. Er hat die komplette Geografiestunde allein gemeistert, ich war eigentlich nur Deko."
„Aber eine hübsche Deko, oder Caleb?", zwinkert Kilian mir zu und ich kann nicht verhindern, dass meine Wangen sich erneut erhitzen. „Kommt ihr mit in die Cafeteria oder nutzt ihr die Ruhe hier drinnen für ein kleines-"

„Wir kommen mit und holen uns etwas, essen aber draußen", geht Finn dazwischen, ohne Kilians schelmischem Grinsen weiter Beachtung zu schenken. „Kommst du, Caleb?"

•••

In der Cafeteria ist es laut und voll, typisch für eine Mittagspause in der Schule. Schüler laufen umher, sitzen in Grüppchen an Tischen, viele stehen an der Essensausgabe an.

Finn reicht mir eins der Tabletts und zeigt auf die Tafel, die über der Ausgabe angebracht ist, und ich lese:

Tagessuppe: Spargelcremesuppe
Hauptgericht: Hackfleisch-Feta-Auflauf
Vegetarisch: Feta-Auflauf

„Die Suppe kostet zwei Dollar, das Hauptgericht vier, das Vegetarische dreifünfzig", klärt Finn mich auf. „Lehrer müssen nicht für das Essen zahlen, Mr. Rodriguez hat schon gesagt, dass deins ebenfalls auf mich abgerechnet wird, also bist du eingeladen."

Skeptisch blicke ich ihn an.
„Ich kann das auch allein-", beginne ich, doch plötzlich sind wir an der Reihe und eine untersetzte Dame mit einem Haartuch ruft mir zu: „Was darf's sein, Jungchen?"

„Äh.. eine Suppe bitte", antworte ich rasch und beobachte, wie sie eine kleine Suppentasse packt und sämig-weiße Flüssigkeit mit einer großen Kelle hineinschöpft. Ein dicklicher Tropfen läuft am Rand der Tasse hinab, doch sie scheint ihn nicht zu bemerken, sondern stellt sie einfach auf die Ablage vor mir.

„Zwei Dollar", befiehlt sie, doch Finn schreitet ein, ehe ich reagieren kann.
„Er geht auf mich, Regina", lächelt er sie an. „Caleb ist mein Praktikant."
„Oh, wenn das so ist, Mr. Campbell", flötet Regina. „Dann kriegt er auch noch Brot dazu."
Damit dreht sie sich kurz um und greift in einen großen Korb, in dem einige Weißbrotscheiben liegen, und nimmt eine von diesen heraus.

Die Scheibe wird über meine Tasse gelegt und Regina wendet sich wieder an Finn: „Und für Sie, Mr. Campbell? Das Vegetarische wieder?"

„Sie kennen mich so gut, Regina", entgegnet Finn charmant und sofort beginnt die Kantinenangestellte, etwas Gelb-Weißes, was wohl Feta-Auflauf darstellen soll, auf einen Teller zu schaufeln.
„Möchtest du nicht doch noch etwas mehr als die Suppe, Caleb?", fragt Finn skeptisch neben mir, doch ich schüttele den Kopf.

Innerlich nehme ich mir vor, dass ich uns heute Abend zu Hause etwas kochen werde. Am liebsten würde ich Feta-Auflauf machen, aber in hübsch, doch vielleicht ist das Finn auch zu viel Feta für einen Tag und-

Was denke ich da eigentlich?, erschrecke ich mich selbst. Zu Hause? Kochen für uns? Als würde dieses Schauspiel hier allen Ernstes länger halten. Es läuft doch ohnehin schon viel zu lange. Wem machen wir eigentlich etwas vor?

„Kommst du, Caleb?", erinnert Finns Stimme mich daran, dass wir noch immer mitten in der Cafeteria seiner Schule stehen und gerade die Essensausgabe blockieren.
Eilig greife ich nach der Suppentasse, die nun einen kleinen, sämig-weißen Ring auf der Anrichte hinterlassen hat, stelle sie auf mein Tablett und folge Finn zum Ende des großen Raumes, an dessen Ende ein paar große Glastüren auf den Schulhof führen.

Draußen gibt es einige Tische mit Sitzbänken davor, doch weiter hinten erblicke ich Kilian und Kitty auf einer separaten Fläche mit einigen Picknicktischen, an denen ausschließlich Lehrer zu sitzen scheinen.
Als sie uns erblicken, winkt Kitty uns fröhlich zu und rückt zur Seite, damit ich neben ihr Platz nehmen kann.

„Na? So nervös, dass du nichts runterbekommst?", fragt die Cousine neugierig, als sie die einsame Suppentasse auf meinem Tablett sieht. Sie selbst hat offenbar etwas eigenes mitgebracht, denn vor ihr steht eine Plastikdose mit Salat oder etwas ähnlichem.

„Oder direkt erkannt, dass das Essen hier nur so.. geht so.. ist", witzelt Kilian und weicht einem seitlichen Ellbogenhieb seines Bruders aus. Kilian war offensichtlich mutiger als Finn und ich und hat sich trotz seiner Bemerkung zur Qualität des Essens wohl für die Hackfleischvariante des Auflaufs entschieden.

„Hab' keinen großen Hunger", murmele ich und bin nicht mal sicher, ob das wirklich eine Lüge ist. Essen ist gerade das Letzte, an das ich denken kann.

„Du kannst auch was von meinem Auflauf abbekommen", bietet Finn an, was Kitty augenblicklich schwärmend aufquietschen lässt. Fragend blickt Finn zu ihr und sie seufzt: „Ihr seid so süß zusammen. Du bietest ihm sogar dein Essen an. Du bietest nie dein Essen an. Ich bin ganz mitverliebt mit euch beiden."

Finns Blick schießt sofort zurück auf sein Essen und er brummt: „Sei nicht so kitschig, Kitty."
Beschämt sehe ich in meine sämige Suppe und sollte ich zuvor zumindest eine Spur von Appetit gehabt haben, so ist sie nun gänzlich verschwunden.

„Sehr gut, ihr haltet das geheim", flüstert Kilian verschwörerisch, als keiner von uns beiden etwas sagt. „Hoffentlich schafft ihr das auch, wenn ihr euch gleich noch für Sport umziehen müsst."

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