Kapitel 5.

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Emma Pov

Jetzt war es schon drei Tage her. Drei Tage, seit dem Nora wütend das Haus verlassen hatte. Sie war an dem Abend nicht mehr zurück gekommen. Mama und Papa machten sich langsam sorgen.

Nora hatte kein Handy dabei. Wir konnten sie nicht erreichen. Es lag oben in ihrem Zimmer. Ich hatte ihr Zimmer komplett abgesucht, in der Hoffnung, dass sie doch noch nach Hause gekommen war. Dass sie sich nur oben in ihrem Zimmer versteckte, damit Mama und Papa sich einmal Sorgen machten.

Ich wusste Mama und Papa sind schwer. Ich hielt ihre ständigen Streitereien bald nicht mehr aus. Beide schrien sich gegenseitig an. Man hörte es im ganzen Haus. Mehrmals hatten sich die Nachbarn beschwert. Das hielt sie aber nicht davon ab weiter zu streiten.  Dann ließen sie Ihre Wut und all den Frust an uns aus. Und statt sich anzuschreien, waren wir dran.

Ich saß auf Noras Bett. Leider konnte ich sie nicht finden. Mein Blick auf ihren Teppich gerichtet. Wie in Trance. Mir fiel auch nicht mehr ein, wo sie noch sein könnte. Ich war ratlos. Mit einer Träne im Auge ging ich ins Wohnzimmer zu meinem Vater. Er saß in seiner ausgeglichenen Jeanshose und ein halb zugeknöpftes Hemd auf der Couch. Auch er starrte es Leere. Die Sonne, die ihm ins Gesicht fiel, machte ihm gar nichts aus. Er sah so kraftlos aus.

"Es wird langsam Zeit die Polizei zu rufen.", sagte ich mit rauer Stimme.

Wir alle hatten es noch nicht getan, weil wir hofften, dass Nora wieder kommen würde. Keiner von uns wollte es war haben, dass sie weg war. Dass sie vielleicht nie wieder kommen würde. Aber es war mittlerweile zu viel Zeit vergangen.
Ich konnte bei der Sache nicht positiv denken. Es musste endlich etwas getan werden. Ich konnte nicht endlich warten.

Es machte mich sauer, dass Mama sich komplett raus hielt und nicht mehr aus dem Schlafzimmer raus kam. Sie kochte nicht mehr und sagte kein Wort, verließ das Zimmer nur, um auf Toilette zu gehen. Wie konnte man nur so sein? Sie hatte noch keine Maßnahmen ergriffen um nach Nora zu suchen. Bedeutete ihr meine Schwester etwa gar nichts? Sie scherte sich auch gar nicht, was mit uns war. Musste eine Familie nicht normalerweise in so einer Situation zusammenhalten?

Papa schaute mich mit rot durchbluten Augen an. Langsam aber sicher rappelte er sich auf. Ohne ein Wort zu sagen, nur leicht mit den Kopf nickend nahm er seine Autoschlüssel um zur Polizeistation zu fahren. Er wollte endlich eine Vermisstenanzeige raus lassen. Natürlich begleitete ich ihn. Er sollte damit nicht alleine sein. Nur weil meine Mama so kaltherzig war, hieß es noch lange nicht, dass mein Papa es auch war. Schließlich sah man ihm deutlich an, dass in ihm etwas gestorben ist. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Noch nie so kraftlos. Noch nie so hilflos.

"Deine Mama macht sich auch Sorgen um Nora. Sie kommt damit einfach nicht klar, dass eins ihrer Kinder plötzlich verschwunden ist und gibt sich selber die Schuld.", sagte Papa während der Fahrt, den Blick fest auf die Straße gerichtet. In der Verfassung hätte er eigentlich nicht fahren dürfen. Doch er gab sich Mühe. Mühe nicht einen Unfall zu bauen oder von der Straße abzukommen. Er fuhr gerade mal 30 kmh. Viele Autos überholten uns. Aber das war mir egal. Die anderen interessenterten mich nicht. Es war mir wichtig, dass ihm nichts passierte. Noch mehr Pech konnte ich nicht vertragen.

War mir klar, dass Papa sie in den Schutz nahm. Das tat er ständig. Ich wollte es nicht hören. Ich war es leid. Merkte er es denn nicht, dass Mama immer auf ihn baute? Dass er sie immer im Schutz nahm, wenn sie mal wieder Mist baute? Wie konnte er diese Frau immer noch lieben?
Wieso trennten sich beide nicht einfach?

Natürlich würde ich es sehr traurig finden. Ich wollte nicht mit nur einem Elternteil aufwachsen. Ich wollte kein Elternteil allein lassen. Ich liebte meine Familie, aber Mama und Papa machten sich so kaputt. Sie ließen ihren Frust und ihre Wut an Nora und mir aus, wenn sie selber mit sich fertig waren und ihre Wut noch nicht erloschen war. Irgendwann konnten wir auch nicht mehr. Es musste sich etwas ändern. Entweder beide würden sich vertragen, oder trennen. So hart es auch klingen mochte. So konnte es nicht weitergehen.  Sie machten sich selber und auch uns kaputt.

Aber ich hatte nicht den Mut es ihnen zu sagen. Am Ende würden sie mich beide wieder nur anschreien oder schlimmeres. Ich hoffte Nora ging es gut, wo sie war. Ich hoffte sie lebte. Ich dachte nicht an ihren Tot, zumindest wollte ich das nicht. Hoffentlich konnte die Polzei uns helfen. Ich musste einfach wissen, was ihr wiederfahren war.

Ob die Polizei noch Hinweise oder irgendwelche Spuren finden konnte? Was war, wenn niemand etwas gesehen hätte? Wenn man sie nie finden würde?
Bei diesem Gedanken schnürte sich mein Hals zu.
Ich hatte bereits in zahlreichen Krankenhäusern im Umkreis von einhundert Kilometer angerufen. Ich ging bei ihren ganzen Klassenkameraden vorbei, besuchte ihre Lieblingsorte. Orte an denen sie gern allein war. Einfach um von zu Hause wegzukommen. Alles ohne Erfolg. Ich konnte sie nicht finden.

Ach Schwesterherz, wo warst du nur?

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