Kapitel 1 - Sicht Leila

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Mit den Armen voller Schriftrollen, Bücherrücken an meinen Bauch gedrückt, ging ich schnellen Schrittes die gepflasterte Straße entlang, welche zwischen den aneinandergereihten Häusern durch die Stadt führte. Halb versuchte ich mich auf das Getümmel vor mir zu konzentrieren, halb darauf weder etwas fallen zu lassen, noch zu stolpern. Ich war ein wenig tollpatschig was das anbelangte. Jedes Mal schaffte ich es irgendwie mich unelegant dem Boden zu nähern und dabei alle meine Materialien im Umkreis von zwei Metern überall auf dem Boden zu verteilen. Bisher war allerdings alles gut gegangen, der Tag versprach wirklich traumhaft zu werden, wenn ich die Sonnenstrahlen an allen Ecken reflektieren und funkeln sah. Die kristallenen Blumen, welche sich an einem der gläsernen Torbögen hinaufrankten, hatten es mir besonders angetan. Ihre blauen und rosa Blüten reflektierten das Licht in so einzigartiger Weise, dass ich dem Schauspiel Stunden hätte zusehen können. Den umhertanzenden Lichtpunkten in den schönsten Farben brachten die meisten Leute schon gar keine Aufmerksamkeit mehr entgegen, sie verloren den Blick für die kleinen Schönheiten und Besonderheiten, die sich in der Welt versteckt hielten.

Kurze Zeit verweilte ich vor den Torbögen des kleinen Parks und beobachtete wie der Wind die Lichtpunkte hin und herschaukelte. Ein Schubser von hinten brachte mich wieder zurück in das Hier und Jetzt. Der Platz, an dessen Rand ich stehen geblieben war, hatte sich weiter gefüllt und einige Leute wurden unweigerlich gegen mich gedrängt. Niemand entschuldigte sich, es schien für sie viel zu normal geworden zu sein in einem solchen Gedränge gegen andere zu stoßen. Ein wenig irritiert schüttelte ich den Kopf und versuchte mich zu erinnern, was ich denn eigentlich wollte. Eine weitere doofe Angewohnheit von mir. Durch meine Verträumtheit vergaß ich häufig was ich denn gerade eben noch so klar vor Augen gehabt hatte. Ideen oder Ziele, manchmal ploppten auch einfach Neue auf und verdrängten die Alten, welche nach einiger Zeit erst wieder an die Oberfläche gelangten, meistens zu spät, weshalb ich mir schon die ein um andere Standpauke hatte anhören müssen.

Ich stolperte also weiter, fing gerade noch einmal eine Rolle auf, welche sonst wahrscheinlich zwischen all den Füßen am Boden verschwunden wäre und vielleicht nie wieder aufgetaucht wäre. Schnell schob ich mich an den Rand um meine Materialien erneut zu ordnen und stand direkt neben einem kleinen Cafe, welches die besten Kuchen der ganzen Stadt verkaufte. Entsprechend voll war es auch und schon rannte mich einer der Gäste über den Haufen. Alles verteilte sich willkürlich auf dem Boden, doch der Übeltäter schaute nicht einmal zurück. Wütend schnaubend kniete ich zwischen der Unordnung, welche zum Glück nicht von den umherlaufenden Leuten fortgetragen wurde. Die Rollen hatte ich gerade an der Wand zu einem kleinen Haufen zusammengestellt, machte mich also nun daran die paar Bücher aufzusammeln, welche ich noch bei mir getragen hatte, als ich ein leises Seufzen in der Nähe hörte, welches mir, trotz dass es ein so kurzer Laut war, vertraut vorkam. Vorsichtig hob ich den Kopf und sah zwischen den Leuten tatsächlich eine bekannte Gestalt auftauchen. "Talis", brachte ich leise heraus, schließlich war ich auf Grund meines Getrödels und des kleinen Unfalls schon viel zu spät dran. Doch er schien nie böse mit mir zu sein, schließlich wusste er selbst auch gut genug wie rücksichtslos die Massen waren. Ohne ein Wort bückte er sich und hob die Bücher auf, nach welchen ich eben noch meine Hände ausgestreckt hatte. "Komm, wir sind schon ziemlich spät dran", meinte er nur und ging auch schon los, bevor ich auch nur meine Arme um die Schriftrollen hatte schließen können. Stolpernd lief ich ihm hinterher und versuchte ihn nicht wieder aus den Augen zu verlieren.

Talis und ich waren bereits gemeinsam zur Schule gegangen und kannten uns somit eine halbe Ewigkeit. Wir waren sowas wie die besten Freunde, wenn man es vielleicht nicht immer auf den ersten Blick erkennen konnte, so wusste ich doch, das er nur für mich diese Verspätung in Kauf nahm. Er hatte wahrscheinlich wieder einmal eine halbe Stunde vorher vor den Toren gestanden und gewartet und sich dann Sorgen gemacht, als ich nicht erschien. So war er immer und doch versuchte er nie zu offensichtlich zu zeigen, wie viel er doch für andere übrig hatte, besonders für mich. Unsere Mütter planten schon seit jeher unsere Hochzeit, welche von Jahr zu Jahr größere Dimensionen annehmen sollte, doch bisher deutete wirklich nichts auf solche Dinge hin. Von einem schreienden Händler zu meiner Rechten, welcher mir aus heiterem Himmel mit voller Lautstärke ins Ohr brüllte, aus meinen Gedanken geholt, bemerkte ich, wie nah wir unserem Ziel bereits waren.

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