1 - Arwen

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30.04.2018, früher Nachmittag

»Arwen! ... Huhu! ... Komm schon, ich weiß, dass du da bist!«

Nein! Überhaupt nicht! Jetzt nur keine unvorsichtige Bewegung, keinen Mucks und kein Quietschen meines Liegestuhls verursachen.

Ich will niemanden sehen, mit niemandem reden, jetzt nicht, nachher nicht, niemals nie wieder. Auch nicht meine beste Freundin Cindy.

Vor einer Stunde hat Jeremy mich angerufen, hat gefragt wie's mir geht, mir Glück gewünscht für meinen Auftritt heute und so ganz nebenbei erklärt, dass die Sache zwischen uns nicht das Richtige ist.

Das Richtige ist für ihn Melissa, sie ist von ihm schwanger und er will für sie da sein. Wie edel!

Ich frage mich, wann das alles passiert ist. Die Sache zwischen uns geht seit mehr als drei Jahren; ich wünsche mir auch ein Kind, bin bereit mein Tingeltangelleben aufzugeben, habe sogar schon nach einer Anstellung gesucht. Jeremy hat stets gebremst. Wir haben doch Zeit, lass uns das Leben genießen. Vielen Dank auch, du Arsch.

Meine Sicht verschwimmt. Ich schiebe es auf den stetig wehenden Wind, der den salzigen Atem der rauen Irischen See beständig durch das kleine Küstenstädtchen treibt. Schwermut überkommt mich und das liegt nicht nur an diesem beschissenen Anruf.

Immer häufiger verspüre ich eine Sehnsucht nach etwas, was ich nicht genau benennen kann.

Natürlich ist es großartig, auf einer Bühne zu stehen und im Applaus zu baden. Doch am Ende des Tages nehmen die Zuschauer ihr Lächeln und ihre strahlenden Kinder mit nach Hause und ich bleibe zurück, mit einer Leere im Herzen, die nicht weichen will.

Ich fühle mich verloren, orientierungslos dahintreibend, wie ein Schiff ohne Steuer inmitten der stürmischen See des Lebens. Jeremy sollte meine Hoffnung, mein Hafen zum Heimkehren, mein Anker zur Beständigkeit sein.

Als fahrende Künstlerin reise ich den Sommer hindurch von einer Veranstaltung zur nächsten, durch ganz Wales bis hinauf nach Schottland, wo ich mit der Medieval-Band meines Vaters als Sängerin und Märchenerzählerin auftrete.

Meine Eltern leben seit Jahren getrennt, als Papa-Kind verbinden mich mit meinem Vater die Liebe zur Musik und die Begeisterung für die Mythen und Geschichten unserer Heimat.

Mein großer Held ist ein begnadeter Musiker, humorvoll, lebensfroh und voller verrückter Ideen. Er hat nur einen Fehler. Er wird nicht erwachsen.

Forever young ist sein Lebensmotto und leider auch das Auswahlkriterium für seine Freundinnen. Die Letzte, die ich kennengelernt habe, ist etwa in meinem Alter und das war ziemlich peinlich.

Meine frühesten Kindheitserinnerungen sind die von Jahrmärkten und Volksfesten, klapprigen Wohnwagen und tagelangen Autobahnfahrten.

Nur hier hatte ich ein Zuhause, bei meinen Großeltern, im Schatten der alten Burg. Inzwischen gehört ihr Häuschen meinem Vater. Er nutzt es nie und ich komme nur selten her, außer in der Woche im Frühjahr, zu Beltane, zum großen Mittelalterfest auf Caer Draig.

Diesmal werde ich länger bleiben.

Vielleicht finde ich das Gefühl meiner Kindertage wieder, anzukommen und willkommen zu sein im Schutz des mächtigen Bauwerkes, um das sich die Legenden ranken, wie der wilde Wein um seine verwitterten Mauern.

»Hab' ich's mir doch gedacht!«

Ich fahre zusammen und ich schiebe mir schnell die Sonnenbrille auf die tränenden Augen.

Einen zusammengerollten Flyer anklagend auf mich gerichtet, steht Cindy keine drei Meter von mir entfernt hinter dem niedrigen Gartenzaun des Nachbargrundstückes.

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