5 - Das Geschenk

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Rhys ap Kynan starrt mit zusammengekniffenen Augen den Abhang empor. Durch das dichte Unterholz aus Haselnuss- und Ebereschenschösslingen bahnt sich etwas unter lautem Krachen den Weg nach unten, direkt auf ihn zu. Schwarz schnaubt unwillig und wirft den Kopf nach hinten, sodass seine lange seidige Mähne ihm ins Gesicht peitscht.

Als letzte Nacht das Unwetter losbrach, war er zu seinem Pferd geeilt, welches er an der alten Weidenhütte im Tal zurückgelassen hatte. Der Regen störte ihn nicht, nach den Jahren in der Gluthitze der Wüste empfindet er das lebensspendende Nass von oben als Segen.

Die ganze Aktion ist sowieso schwachsinnig gewesen. Elfenzauber! Nichts als Aberglaube.

Was auch immer dort den Hang herunterkommt, erscheint dem Hengst in höchstem Maße verdächtig. Da Pferde bei Gefahr lieber weglaufen als nachsehen, hat Rhys alle Mühe, das Tier unter seiner Kontrolle zu behalten.

Das seltsame Wesen hat angefangen zu quieken, womit ein Bär mit ziemlicher Gewissheit als Verursacher des Radaus ausscheidet. Vielleicht ein wilder Eber? Zur Sicherheit zieht er sein Schwert und lenkt den Rappen in die Deckung einer mächtigen Buche.

Mit einem Rums kommt die Buschlawine in einem Gestrüpp aus wildem Holunder, Brombeerranken und Farnkraut zum Stehen.

In der darauffolgenden Stille schweben abgerissene Blätter wie sanfte Schneeflocken zu Boden und aus dem hellgrünen Dickicht ragt ein zierlicher Schuh heraus. Eine Art Kurzstiefel aus feinem dunkelroten Leder, dessen gelöste Schnüre eine innige Verbindung mit dem Strauchwerk eingegangen sind. Den Schaft ziert eine kunstvolle Stickerei aus Ranken und Blüten, eindeutig handelt es sich um einen Frauenschuh. Vom dazugehörigen Fuß nebst Besitzerin ist allerdings nichts zu entdecken.

Peinlich berührt wird Rhys bewusst, dass er hoch zu Ross und mit gezogenem Schwert vor einem Stück weiblicher Garderobe Stellung bezogen hat. Er verliert ein paar deftige Worte über die ausgeprägte Tapferkeit eines gewissen männlichen Begleiters, während er schleunigst seine Waffe in die Lederscheide zurückschiebt.

Schwarz kommentiert die Bemerkung mit geblähten Nüstern und kurzem Schütteln seines mächtigen Hauptes, ganz nach dem Motto: »Danke, gleichfalls.«

Sich aus dem Sattel herunterbeugend angelt Rhys den Schuh aus dem Gesträuch. Bewundernd streicht er über das weiche Leder. Noch nie ist ihm eine so feine Arbeit unter die Augen gekommen. Solche Schuhe kosten ein Vermögen und gehören keinesfalls einer Frau aus der Umgebung. Seine weiblichen Untertanen laufen in Holzschlappen oder barfuß.

Dies bringt ihn auf einen anderen Gedanken. Wer mit solchem Schuhwerk reist, reist nicht allein, sondern mit Begleiteskorte.

Beunruhigt lässt er seine Blicke den Hang hinauf schweifen und lauscht dabei angestrengt auf verdächtige Geräusche. Sein geschultes Gehör vernimmt jedoch nur die üblichen friedlichen Stimmen des Waldes.

Aus dem Blätterlabyrinth vor ihm erklingt leises Stöhnen. Rhys biegt einige Zweige des Strauches auseinander.

Die Überreste eines Schleiers hängen zwischen wirren Zöpfen, Laub und losen Strähnen einer wahren Mähne lockiger, rubinroter Haare.

Niemand auf dieser Welt hat solche Haare, schießt es Rhys durch den Kopf. Fasziniert fragt er sich, wie wohl der Rest des Wesens aussieht.

Ein Blick aus blauen Augen trifft ihn wie ein Keulenschlag.

Nicht das helle, wässrige Blau vieler Angelsachsen. Nein, ein tiefes, reines Kobaltblau. Die leicht schräge, mandelartige Form verleiht dem fein geschnittenen Gesicht einen exotischen Touch. Und sie leuchten, wie Kornblumen in einem Weizenmeer, allerdings nicht sonderlich freundlich.

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