Die Stimme ruft wieder. Ich falle...
»He, Alizée! Wach auf!« Ich sitze senkrecht im Bett. Nur langsam normalisiert sich meine Atmung wieder. »Aly. Ist alles okay bei dir?« Marie. »J-ja.« Ich zittere immer noch. Es war nur ein Traum. Nur ein Traum. Marie streicht mir beruhigend über den Rücken. »Du hattest einen Albtraum.« Es ist eine Feststellung, keine Frage. Ich rutsche Halt suchend näher an sie ran. »Möchtest du darüber reden?« Ruckartiges Kopfschütteln beantwortet ihre Frage. Vereinzelte Tränen befeuchten meine Wangen.
Ich hatte oft Albträume in den letzten zwei Jahren. Häufig vom Unfall selbst. Die Dunkelheit danach sah ich erst seit wenigen Monaten. Aber so weit wie diesmal war ich noch nie vorgedrungen.
Maries Arme geben mir Halt, bis ich mich weit genug beruhigt habe, dass ich meine, nun noch ein paar Stunden schlafen zu können. Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch und sage Marie noch ein letztes Mal „Gute Nacht“. Während sie in ihr Bett verschwindet, drücke ich meinen alten Kuscheltierhund Bingu (Bild, unten rechts) an mich und drücke meine Nase in sein Fell. Er ist nicht mehr flauschig, da ich ihn zu meinem ersten oder zweiten Geburtstag bekommen habe und er seit dem jede Nacht in meinem Bett ist und immer mit in den Urlaub kam. Aber Bingu ist immer noch das beste Mittel gegen Albträume. Langsam gleite ich hinüber in die Welt der Träume.
»Guten Morgen!« »Man Marie. Musst du mir so ins Ohr brüllen?«, murmele ich in mein Kissen. »Du sollst aufstehen. Wir wollen ins Dorf. Und weil heute Samstag ist, schließen die Läden um 13 Uhr. Bis dann hat auch der Wochenmarkt offen.« »Und wie spät ist es jetzt, dass wir so dringend los müssen?« »Kurz vor halb acht«, beantwortet Jonathan meine Frage. Er klingt auch noch nicht ganz wach. Seine Stimme ist ein wenig rau und heiser.
»Ernsthaft? Wir haben Ferien, Marie. Ferien. Ich wollte ausschlafen!« »Komm schon, Aly. Der Ausflug wird dir gefallen. Wir kaufen ein. Für heute Nachmittag.« »Was ist denn heute Nachmittag?«
Nun mischt sich Jonathan ein: »Marie sagt, du hattest gestern Geburtstag. Also haben wir uns überlegt, eine kleine Geburtstagsfeier für dich zu veranstalten. Nachher, am See.« »Und zu einer Geburtstagsfeier gehören auf jeden Fall Muffins und Cola.« »Und Luftballons«, fällt Jonathan ihr ins Wort. »Genau. Also… Bist du dabei?«
Gegen neun sind wir zum Aufbruch bereit. Marie hat einen Picknickkorb in der Hand und schweigend warten wir auf Jojo, der sein Longboard holen gegangen ist und sich bereit erklärt hat, Maries mit zu bringen.
Sobald er vor mir steht und Marie auf ihrem Longboard, geht es los. Ich bekomme die ehrenvolle Aufgabe, den Korb zu transportieren. Meinen Ohrwurm ›Bad Chick‹ summend, rolle ich hinter meinen Freunden her.
Der Supermarkt ist klein, aber die Auswahl groß. Mit Zutaten für Schoko-Banane-Muffins, Gummibärchen und Cola mit Namen von Fußballspielern der deutschen Nationalmannschaft stellen wir uns schließlich an der Kasse an. Die Luftballons kaufen wir im Spielzeugladen nebenan.
Zurück im Internat verziehen wir uns in die noch leere Küche. Marie legt ihr Smartphone auf die Anrichte, damit alle auf den Screenshot des Rezepts gucken können. Sie misst Mehl und Zucker ab, während Jojo die Bananen schält und ich Eier aufschlage. Die zerdrückten Bananen landen natürlich nicht da, wo Marie sie haben will »Oh Jojo! Das ist die falsche Schüssel!«, meckert sie los. »Ist doch egal.« Jonathan zuckt die Schultern. »Eben nicht!« »Wo sollen die Eier rein?«, lenke ich Marie ab, bevor sie uns einen Vortrag hält, warum es so wichtig ist, die Bananenmatsche nicht zum Mehl zu geben. Marie wirft Jonathan noch einen wütenden Blick zu, bevor sie auf die rote Schüssel deutet und ich den flüssigen Inhalt der Tasse dort hinein gebe. »Jojo. Schneid mal die Schokolade«, befiehlt Marie.
Endlich sind die Muffins im Backofen. Ich schaue auf die Uhr, damit sie nicht zu lange drin sind, während die beiden sich nicht einige können, wer die Luftballons auf bläst. »Euer Ernst?«, lache ich, »Ihr seid 13 und streitet euch darum, wer die Ballons aufpusten darf?« »Ja, und?« Für Marie scheint da nichts Merkwürdiges dran zu sein. In ihrem Aufblicken sieht Jonathan seine Chance, nimmt die Tüte an sich und reißt sie auf.
Mit dem schweinchenpinken Luftballon zwischen den Lippen sieht er so lustig aus, dass ich noch mehr lachen muss. »Lachst du mich aus?«, fragt Jojo und schaut mich mit einem traurig-trotzigen Hundeblick an. »Nooin. Wieso sollte ich?«
Mittlerweile scheint Marie herausgefunden haben, warum ich immer noch lache. Sie betrachtet die aufgerissene Packung und den auf dem Boden sitzenden Jungen. Ihr Blick killt ihn förmlich. Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht noch doller zu lachen. Sonst wäre ich sicher das nächste Opfer von Maries Todesblick.
Diese stürzt sich auf ihren besten Freund, reißt ihm den halb aufgeblasenen Ballon aus dem Mund und lässt diesen los. Er knattert durch die Luft, von unseren Blicken verfolgt. Nach zwei Schleifen setzt der Ballon schließlich zur Landung unter dem Tisch an. Marie krabbelt hinterher, hält triumphierend ihre Errungenschaft hoch und richtet sich dabei auf.
»Auu!«, kreischt sie erschrocken auf, als sie mit dem Kopf gegen die Tischplatte stößt. Jonathan und ich brechen in Gelächter aus.
Eine Stunde später haben wir die Ballons und Wasserbomben fertig und die Muffins eingepackt. Die Küche müssen wir leider räumen, da unsere Mitschüler Mittagessen bekommen wollen und Jonathans Mutter sich jetzt zusammen mit den Köchinnen Magda und Johanna darum kümmert.
Marie holt ihre Gitarre und die beiden singen mir ein Geburtstagsständchen. Dann singen wir Stay und Green Eyes, die beiden einzigen Lieder, die Marie, ihrer Aussage nach, spielen kann.
Nach dem Mittagessen gehen wir nach draußen, hinunter zum See. »We say goodbye in the pouring rain and I break down as you walk away«, singt Marie laut. Jonathan und ich stimmen mit ein. »Staaaaay, staaaaay.«
Marie und Jonathan lassen sich ins Gras am Ufer fallen und ich hebe mich aus den Rollstuhl neben sie, während Marie die Muffins auspackt und jedem eine Cola reicht.
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Words: 1011
Danke für 661 Reads und 46 Votes! Ich liebe euch♥
Ich hätte nicht damit gerechnet, so schnell über 500 Reads zu bekommen. Es freut mich, dass die Geschichte so gut ankommt.
Oben seht ihr Luna, Lily, Vally, Dave, Sam und den lieben Bingu.
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Alizée - Rollstuhl, Pferde und andere bekloppte Dinge
Fantasy~Abgebrochen~ In den bisherigen zwölf Jahren ihres Lebens waren die Tage so verschieden und sich irgendwie doch so ähnlich. Das fällt Alizée auf, wenn sie an Früher denkt. Sie lebte das ganz normale, unspektakuläre Leben eines französischen Mädch...