4. Dunkelheit

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Es ist dunkel. Ich öffne die Augen. Blinzle. Noch einmal. Nichts. Ich sehe nichts! Panisch hebe ich meine Hände und taste nach meinen Augen. Sie sind geöffnet. Weit aufgerissen. Aber warum sehe ich nichts? Wie kann das sein? Was ist hier los? Wo bin ich? Hilfe!

Ich spüre das Rasen meines Herzens. Die Fragen stürmen auf mich ein. Mein Atem geht schnell.
Wo bin ich?

Ich liege. Vorsichtig streiche ich mit links über den Boden. Meine rechte Hand krallt sich fest in meine Kleidung. Ruhelos hetzen meine Blicke hin und her. Immer auf der Suche nach ein wenig Licht. Vielleicht einem Sonnenstrahl. Oder dem kalten, weißen Straßenlaternenlicht. Nichts. Kein noch so schwacher Schimmer.

Meine Unterlippe zittert. Der Boden ist hart unter meinen Fingern. Hart und doch nachgiebig. Alles, was ich höre, ist das laute Klopfen meines Herzens. Ich bin kurz davor in Tränen auszubrechen.

Bin ich tot?

Kann man überhaupt denken, wenn man tot ist?

Verzweifelt versuche ich, Antworten zu finden. Doch die scheint es nicht zu geben. Nicht auf diese Fragen. Nicht von mir.

Wo bin ich?

Was ist passiert?

Wo bin ich?

Warum bin ich hier?

Wo bin ich?

Was soll ich tun?

Was kann ich tun?

Und immer wieder die gleiche Frage, die sich in den Vordergrund drängt: Wo bin ich? Nicht für nur eine dieser Fragen.

Meine Finger sind kalt. Ich habe Angst. Ich will hier weg! Meine Augen werden feucht. Panisch reiße ich sie weiter auf. Nichts. Kein noch so kleiner Funken Licht. Mit jeder Sekunde, die vergeht, scheint es nur noch dunkler zu werden. Und je dunkler es wird, desto stärker wird auch meine Angst.

Ich setze mich auf. Langsam, ganz langsam. Nichts passiert. Ich hole tief Luft. Ganz ruhig. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es ist alles gut.

Nein! Nichts ist gut! Ich will hier weg. So schnell wie möglich. Ich stehe auf. Schwindelgefühl überkommt mich, ich rudere wild mit den Armen, um nicht wieder umzukippen.

Unruhig warte ich ein paar Sekunden, bis ich es mir zutraue, zu gehen ohne gleich wieder auf dem Boden zu liegen. Ich bewege mich geradeaus, einfach vorwärts. Hoffentlich gehe ich überhaupt in eine Richtung und laufe nicht im Kreis. Behutsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Immer wieder wandert mein Blick nach rechts und links, obwohl ich die Hoffnung, etwas leuchtendes zu finden, schon verloren habe.

Der Boden gibt leicht nach unter meinem Gewicht. Aber wirklich nur leicht. Kaum spürbar. Immer noch ist alles still. Meine Unterlippe zittert leicht. Vorsichtig schleiche ich weiter. Unsichere Schritte, geballte Fäuste, Fingernägel, die sich in Handballen graben, wachsamer Blick. Also, wenn man das überhaupt Blick nennen kann. Ich sehe schließlich rein gar nichts.

Ich weiß selbst nicht, warum ich schleiche. Wieso gebe ich mir solche Mühe, kein Geräusch von mir zu geben? Hier ist doch nichts. Obwohl… woher will ich das denn wissen? Vielleicht steht ja direkt neben mir ein Alien-Einhorn, das es nicht nötig hat, zu atmen und auf Hobbitfüßen schleicht. Allein die Vorstellung.

Was ein schlechter Witz. Ich verkneife mir ein Lachen und konzentriere mich lieber auf meine Füße. Nicht, dass ich noch stolpere. Schneller. Nein. Ruhig. Bloß nicht langsamer werden! Doch. Du stolperst nicht. »‘s’ klar«, flüstere ich sarkastisch, als ich auf dem Boden lande. Er war fester als dort, von wo ich gekommen bin.

Ich rappele mich auf und torkele weiter geradeaus. Wie soll man hier im Stockdunkeln bitteschön vernünftig gehen? Gehe ich eigentlich geradeaus? Oder im Kreis? Schlangenlinien?

Und schon wieder Fragen über Fragen über Fragen. Und keine Antworten. Wie ich es hasse. »Fragen sind doof, doof, doof«, summe ich. Meine Füße werden müde. Ich laufe schon sooo lange. Hey! Meine Angst ist weg! Lustig.

Mir ist so langweilig. Warum gibt es hier kein Licht? Das ist laangweeiliig. Und warum ist kein Handy da, wenn man es braucht? Handy! Ich taste meine Hosentaschen ab. Kein Handy. Andere Taschen, an der Jacke und so. Da! Da ist was! … Schade. Nur Taschentücher. Nee ne.

»Oh mein Gott!« Stumm formen meine Lippen die Worte. Da vorne ist etwas! Etwas helles! Im ersten Moment spüre ich nur Erleichterung. Doch das Licht (?) ist zu hell. Es sieht nicht natürlich aus. Irgendwie gruselig. Und merkwürdig. Welcome back, Angst!

Wieder einmal weiß mein Hirn einfach nicht, was es machen soll. Zu der Lichtquelle und herausfinden, was das ist? Oder lieber umkehren? Hier stehen bleiben, bis es verschwindet? Normalerweise wäre ich klar für Möglichkeit zwei gewesen. Aber ich bin doch nicht ewig herum gelatscht, nur um, sobald ich mein Ziel erreiche, kehrt zu machen und zu fliehen. Also taste ich mich auf leisen Sohlen weiter vorwärts. Immer dem Licht entgegen. Die Quelle ist nicht in irgendeiner Wand oder der Decke. Sie ist auf dem Boden. Oder ist es sogar der Boden selbst? Wer weiß.

Mein Herz klopft schneller. Ich spüre Gefahr. Gefahr, die stärker wird, je mehr ich mich dem Leuchten nähere. Aber da ist noch etwas. Angst. Die Luft schmeckt nach Angst. Und ich höre den stummen, verzweifelten Hilfeschrei. Schweißnasse Finger bohren sich in eiskalte Oberarme. Ich beiße die Zähne fest zusammen und stolpere weiter.

Dort liegt eine menschliche Gestalt! Leichenblass, blutüberströmt. Das braune Haar um den Kopf ausgebreitet. Das… Nein! Das kann nicht sein! Das kann gar nicht ich sein! So klein, so verletzt, so zerbrechlich. Was ist nur geschehen?

Ich liege dort. So ruhig, beinahe friedlich. Bin ich tot? »Warum?« Kaum ein Flüstern. »Warum?« Meine Stimme bricht. Die Tränen kommen, erst langsam, laufen sie schließlich wie Sturzbäche über meine Wangen. Ich sinke vor meinem Körper zu Boden. So viel Blut. Ist das alles meins?

Ich erkenne die Atemzüge der Person. Flach. Sterbe ich gerade? Warum? Die Atmung wird flacher. Das Blut mehr. Der gequälte, geschundene Körper ist so ruhig. Habe ich mich mit meinem Tod schon abgefunden? Naht er unaufhaltsam? Ich will doch noch nicht sterben. Ich will nicht gehen. Ich bin doch noch viel zu jung. »Ich will nicht!« Meine Stimme ist wieder fester als eben. Doch der Tod nähert sich dem kleinen Körper vor mir. Er ist so nah, dass ich ihn förmlich spüren kann.

»Alizée?« Ein Ruf durchdringt die Stille. Ich kenne die Stimme. Aber das ist unmöglich… Oder nicht?

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Und wieder habe ich so getrödelt. Ja, ich hatte Zeit, zu schreiben. Ich war einfach lustlos. Ich habe keine Ausrede. Entschuldigung.

Was denkt ihr, wo Alizée ist? Und warum? Und wer ist wohl die Stimme, die nach ihr ruft?

Alizée - Rollstuhl, Pferde und andere bekloppte DingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt