Writing Challenge- Oneshot- Reflektion

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Er. Ihm. Sein. Das war und ist es, was ich für „Zuhause" halte. Jedes Mal kommt dasselbe Gefühl hoch, wie bei meinem Outing. Zuerst Aufregung, die sich dann immer in Schmetterlinge im Bau verwandelt und ich schnell grinsen muss. Mittlerweile ist es normaler geworden für mich, männliche Pronomen zu verwenden und Leute diese auch nutzen. Aber trotzdem. Das Gefühl die Person sein zu können, die man sein möchte, ist wundervoll. Und gruselig.

Heute war es genau eine Woche seit meiner Brust Operation vergangen. Ich konnte die schmerzenden Verbände, die mir so oft geholfen hatten, mein Äußeres dem, was ich in Wirklichkeit war, anzupassen. Nie wieder würde ich drei bis vier Sport- BHs oder diese engen Binder tragen müssen. Zwar war fühlte ich mich in diesen frei, aber der raue Stoff auf meiner Haut, die Enge, war immer eine Erinnerung an meinen falschen Körper gewesen. Das war jetzt vorbei.

Klar, es würden Narben bleiben. Aber Narben zeigten mir, dass ich einen Kampf gegen mich-selbst gewonnen hatte. Es wurde Zeit, ich selbst zu sein.

Vorsichtig zog ich meinen Hoodie über meinen Kopf und schmiss ihn achtlos in die Ecke. Die Aufregung war nun ganz präsent. Ich merkte, wie meine Hände unruhig wurden, sodass ich anfing, mit meinen Fingerknochen zu knacken. Eine schlechte Angewohnheit, die mich aber immer öfter beruhigte.

Da war er, der vergilbte und teilweise abgeblätterte Verband. Ich starrte meinen Spiegel-zwilling an. Seine wuscheligen lockigen Harre waren noch zerzaust und aufgeladen von seinem Pulli. Durch das Testosteron war sein Gesicht schon viel kantiger und maskuliner geworden, genauso seine Schultern. Ich lächelte ihn an. Die Grübchen waren geblieben.

Ich bemerkte, meine Flagge im Hintergrund. Komisch, ich konnte mich nicht erinnern sie dort aufgehängt zu haben. Sie sah so schön aus, über meinem unaufgeräumten Schreibtisch, neben dem Bett, mit Marvel Bettwäsche, die ich zu meinem Outing bekommen hatte.

Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Die leise Stimme meiner besten Freundin, Stark- eigentlich hieß sie Starlight- aber der Name gefiel ihr nicht, deswegen nannte ich sie nach meinem Lieblingscharakter Toni Stark aka Iron Man. Er war stark und schlau. So wollte ich auch werden.

Vorsichtig schon Stark ihren Kopf durch die Tür, so schüchtern war sie selten.

„Hey Loan...ich- tut mir leid, dass ich hier so reinplatze. Ich dachte vielleicht, dass du jemanden dabeihaben willst, wenn du, du weißt schon." Sie machte eine kurze Pause, dann fügte sie in fast doppelter Geschwindigkeit noch ein „natürlich nur wenn du willst" hinzu.

Da musste ich gar nicht lange nachdenken. Sie war meine beste Freundin. Wir kannten uns seitdem wir denken konnten, sie war die erste, vor der ich mich geoutet hatte. Die erste, die mich richtig angesprochen hat. Sie hatte mir den Namen „Loan" vorgeschlagen- Stark war wie eine Schwester für mich. Natürlich würde ich diesen Moment mit ihr teilen.

Sie sah mich gespannt an. Ohne etwas zu sagen, rannte ich durch das Zimmer und umarmte sie stürmisch. Sofort erwiderte sie die Umarmung, fest und herzlich- ganz nach ihrer Art.

„Warst du das mit der Flagge?", die Frage kam ganz abrupt, aber Stark schien schon darauf zu warten, denn ihre Augen weiten sich, während sich ihr Mund zu einem hinterhältigen Lachen verzog.

„Dachte schon, du bemerkst das nie! Gefällt sie dir?"

„Sie ist perfekt. Danke.", schüchtern lächelten wir uns an. Es folgte ein Schweigen, das aber nicht unangenehm war, ganz im Gegenteil: Wir mussten sich nichts mehr sagen. Auch ohne Wort würden wir uns verstehen. Und manchmal war das genau das richtige.

Behutsam schob sie mich wieder vor den großen Wandspiegel. Zuversichtlich nickte sie mir zu.

„Du bist bereit." Ja, ja das war ich. Langsam löste ich den Kleber, der beiden Enden an meinem Rücken. Atmen, ermahnte ich mich. Sanft spürte ich Starks Hand auf meinem Rücken. Sofort entspannten sich meine Muskeln und auch mein Herzschlag schien sich auf ein normales Tempo geeinigt zu haben.

Mit zitternden Händen wickelte ich den Verband schließlich ab, immer noch dankbar für ihre Hand auf meinem Rücken. Die Haut darunter war noch rot und mit blauen und violetten Venen durchzogen, die unter den sich langsam lösenden Pflastern herausschauten. Sie sind weg. Meine Brüste sind weg. Wirklich, da war nichts. Flach wie ein Brett. Der Klumpen in meinem Hals löste sich langsam, während ich, ohne nachzudenken, endlich die Pflaster abzog. Es ziepte etwas an meiner Haut, als sich die feinen Härchen, die sich bereits auf meinem Körper gebildet hatten, von der Klebefläche trennen, aber ich ignorierte den Schmerz.

Denn...denn das, was ich im nächsten Moment sah, würde ich nie wieder vergessen. Es ist schwer die Freunde zu beschreiben, die in mir explodierte, als ich meine Brust sah. Sofort fing ich an, laut zu schluchzen und immer und immer wieder nach unten zu sehen, während ich mit meinen Händen, die zwei feinen, immer noch dunkelroten Narben, nachfuhr. Es sah so wunderschön aus.

Stark kam von hinten und umarmte mich kurz, auch sie weinte etwas vor Glück.

„Es ist toll. Du bist toll, Loan.", flüsterte sie mir ins Ohr, bevor sie das Zimmer verließ.

Nun war ich allein mit mir und meiner Reflektion im Spiegel. Erst jetzt sah ich die ganzen Details. Die Haut um meine Nippel herum, war etwas dunkler, als vorher und auch der Bereich darum hatte sich, wegen der Operationen leicht verfärbt. Trotzdem konnte ich nicht aufhören es anzustarren und zu grinsen. Ich sah aus wie ein Junge. Ich war ein Junge. Loan, er/ihm.

Noch lange stand ich so vor meinem Spiegel. Fassungslos von dem Glück, von meiner Reflektion. Der Junge im Spiegel war ich. 

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