Z W E I

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Als ich nach meiner kleinen Rast diesmal zurück ins Auto steige, fühlt sich die Stille erdrückender an. Nicht einmal meine Idee, das Radio einzuschalten, bringt etwas. Diese Stille ist lauter als jeder Song, der aus den Lautsprechern schallt. Also mache ich es wieder aus.

Tannen, soweit das Auge reicht. Mir kommt es fast so vor, als wären sie noch mehr und noch dichter geworden.

Ich biege in eine Landstraße ein, die durch einen Wald führt. Mittlerweile ist es schon dunkel geworden und mir gefällt die Idee nicht, nachts durch diese ewige Landschaft aus Tannen zu fahren, ohne klares Ziel vor Augen. Leider habe ich keinen Plan, was ich stattdessen tun könnte und bereue es bitter, mich in dieser Richtung gehalten zu haben.

Als ich kurz später eine breite ungeteerte Auffahrt am Straßenrand entdecke, die in einen Waldweg mündet, werde ich langsamer und parke das Auto so, dass man es von der Straße aus nicht sofort sehen kann.

Ich strecke mich nach hinten und krame eine Landkarte hervor, die ich noch am Tag in einer Tankstelle gekauft habe. Natürlich könnte ich genauso gut mein Handy verwenden, doch ich schätze, ich bin in der Hinsicht etwas altmodisch. Außerdem spare ich dadurch natürlich an Akku.

Während ich den Papier-Packen in meiner Hand auseinander falte und sich die USA immer weiter und weiter vor meiner Nase erstrecken, höre ich ein Rascheln von draußen. Ich halte inne. Gegen die Angst, die meine Adern wie eine giftige Droge flutet, kann ich nichts tun. Wir sind Menschen, doch unsere Instinkte haben uns trotzdem im Griff. Wer das verleugnet und denkt, er wäre besser als das, belügt sich nur selbst.

Angespannt lausche ich auf weitere Geräusche. Als nichts mehr kommt, atme ich auf und widme mich wieder der Karte vor mir, die beinahe den gesamten Innenraum des Autos einnimmt. Mit einer Taschenlampe aus dem Handschuhfach leuchte ich über das glänzende Papier.

Meine Augen gleiten über Staatsgrenzen, Straßen und Gewässer, während ich darüber nachdenke, was passiert wäre, wenn diesem Rascheln draußen etwas gefolgt wäre. Ein Wildschwein zum Beispiel. Es hätte mich zerfleischen können, da mache ich mir keine Illusionen. Wildschweine werden oft unterschätzt, aber sie können sehr blutrünstig und gefährlich sein – vor allem, wenn sie Kleine haben. Unwillkürlich frage ich mich, wie es sich anfühlt, durch ein gefährliches Tier den Tod zu finden. Und dann frage ich mich, warum ich mich das frage.

Kopfschüttelnd widme ich mich der Ostküste, welche ich endlich auf dieser riesigen Zeltplane von einer Karte ausfindig machen kann.

Ich ermittle meinen ungefähren Standort. Die Stadt, welche mir am nächsten wäre, ist Bonding Hills. Doch da ich keine Ambitionen habe, mich in dieser Gegend niederzulassen, schaue ich weiter.

Schließlich sticht mir eine weitere Stadt ins Auge: Salten Flags. Probehalber spreche ich den Namen leise aus und stelle fest, dass mir der Klang gefällt.

Ich falte die Karte wieder zusammen und werfe sie über die Schulter auf den Rücksitz, die ausgeschaltete Taschenlampe lasse ich ihr folgen. Anschließend klappe ich den Sitz nach hinten und rolle mich dort zusammen, nachdem ich das Auto von innen verriegelt habe. Ich wünsche mir eine dünne Decke, aber ich habe keine da. Man kriegt nur selten das, was man sich wünscht, schätze ich. 

Langsam drifte ich weg und versuche nicht daran zu denken, dass nachts immer die Monster rauskommen...

...

Am nächsten Morgen werde ich von einem lauten Hupen geweckt.

Ich fahre so heftig hoch, dass mein Kopf beinahe an die Autodecke stößt. Verschlafen reibe ich mir die Augen und richte mich auf. Die Scheinwerfer eines Lasters blenden mich und ich kann dunkel erkennen, wie ein Mann in der Fahrerkabine verärgert in meine Richtung gestikuliert. Ich blicke mich um – und erkenne, dass ich mit meinem Wagen den Weg blockiere, bei dem es sich scheinbar um eine Straße handelt, über die Holzfäller ihre Baumstämme verladen.

Queen Of LungsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt