E L F

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Es klingelt an der Tür. St. John öffnet. Eine freundliche, dennoch bestimmte Frauenstimme erklingt. Eine Stimme, die ich kenne. Das hier ist  doch ein scheiß Déjà-vu.

»Guten Morgen, mein Name ist Angela Los Carlos. Ich bin Officer des Pynings Police Department – ist Harriet Clues zu sprechen?«

»Einen Moment bitte«, höre ich ihn sagen, dann kommen seine Schritte näher. Er klopft an meine angelehnte Zimmertür.

»Da ist eine Officer Ange-«

»Ja, ja, ich hab's gehört. Ich komme gleich«, brumme ich. Nach einem kurzen Zögern entfernt er sich wieder und bittet die Polizistin, in der Küche Platz zu nehmen. Was für eine hartnäckige Schlampe.

Nachdem ich mir etwas übergezogen habe, steige ich aus dem Bett. Ich verzichte darauf, meine Haare zu kämmen und fahre mir lediglich einmal kurz mit den Fingern durch. Ein Blick auf die Wanduhr im Gang verrät mir, dass es noch früh ist – viel zu früh.

Als ich den Küchenbereich betrete, sehe ich zum ersten Mal das Gesicht von Officer Los Carlos – bisher habe ich es ja erfolgreich vermeiden können, von ihr in die Mangel genommen zu werden. Sie ist eine Frau mit sehr symmetrischen Gesichtszügen, kohlschwarzen Augen, die einem vermutlich auf den Grund der Seele blicken können und kurzen dunkelbraunen Locken. Ihre bronzefarbene Haut ist frei von jeglicher Schminke und für einen kurzen Moment bin ich auf ihre kaum sichtbaren Poren neidisch. Dann fällt mir wieder ein, wer diese Frau ist, und ich gehe innerlich in Abwehrhaltung. Nach außen hin setze ich ein unverbindliches Lächeln auf.

»Guten Morgen. Sie haben mich also gefunden«, sage ich leise und versuche dabei, meine Stimme so schwach wie möglich klingen zu lassen. Sie ist definitiv ein harter Hund und nicht so leicht zu bescheißen, weshalb ich subtil vorgehen muss. Dass ich seit einiger Zeit einfach nur innerlich tot bin und die Trauer um Anabelles Tod sich lediglich in meinen Albträumen materialisiert, sollte sie vielleicht nicht wissen. Meine emotionale Verdrängung könnte sie schließlich fälschlicherweise als Desinteresse an dem tragischen Unfall auffassen – was mich wiederum noch merkwürdiger dastehen ließe, als ich es ohnehin bereits tue.

Ihren prüfend zusammengekniffenen Augen nach zu urteilen, versucht sie gerade, mich einzuschätzen. Ich halte ihrem Blick so arglos wie möglich stand. Warum bin ich auf einmal so nervös? Schließlich habe ich nichts verbrochen.

Gut, sie zu meiden, könnte man durchaus als ›etwas verbrechen‹ auslegen.

Schließlich seufzt sie und faltet die Hände auf dem Tisch. »Miss Clues, ich verstehe sehr gut, dass ein solcher Vorfall sehr traumarisierend sein kann. Ich weiß, dass sie Anabelle gut kannten und möchte Ihnen daher nachsehen, dass sie sich bisher so unkooperativ gezeigt haben – aber damit muss jetzt Schluss sein. Verstehen wir uns?« Mit warnend hochgezogenen Brauen wartet sie auf meine Antwort.

Ich tätige einen tiefen Atemzug, dann nicke ich mit niedergeschlagenen Augen. »Ja. Es tut mir leid, dass sie extra hier rausfahren mussten.« Das ist die Wahrheit – es tut mir tatsächlich leid, dass diese Schnepfe mich unbedingt hier aufsuchen musste.

Sie nickt einmal knapp, dann holt sie einen kleinen Ringblock mit Stift heraus. Wow, das ist ja mal sowas von Retro.

»In Ordnung... darf ich Sie Harriet nennen?«, fragt sie beim Blättern ohne den Blick zu heben. »Natürlich«, sage ich, obwohl ich das nicht gut finde. Aber hey, mir ist bewusst, dass das nicht das erste Opfer gewesen sein wird, welches ich in dieser Angelegenheit bringen muss. Ich vermute, dass sie ein vermeintliches Vertrauen zu mir aufbauen will, dadurch, dass sie mich mit Vornamen anspricht. Versuchen kann sie's ja.

»Der Vorfall wird noch immer als Unfall behandelt. Ich persönlich bin ebenfalls der Meinung, dass es sich um einen handelt – wie sehen Sie das?«

Ich muss vorsichtig sein, was ich sage...

Queen Of LungsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt