D R E I U N D Z W A N Z I G

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Mit einer Gartenschere. Um die fünfzehn Mal. Sagt zumindest die Polizei.

Jemand muss einen mordsmäßigen Hass auf Berta gehabt haben, um ihr so oft mit einer verdammten Gartenschere ins Gesicht zu stechen. Allein bei dem Gedanken wird mir schon wieder schlecht. Ich schlucke.

Es war nicht wie in den Filmen, wo ich jetzt vermutlich mit einer Decke um den Schultern irgendwo säße und mich ein rücksichtsvoller Polizist befragen würde. Stattdessen stehe ich lediglich am Rande des Geschehens, wie bestellt und nicht abgeholt. Mir wurde gesagt, dass ich noch dableiben soll, da ein Beamter ein paar Fragen an mich hätte, aber gerade alle die Hände voll zu tun haben. Tja.

Gerade, als ich schon mit dem Gedanken spiele zu gehen und zu einem anderen Zeitpunkt aufs Revier zu kommen, läuft ein junger, schlaksiger Polizist mit kinnlangen, dunkelbraunen Haaren auf mich zu. Er hat sehr helle Haut, welche in starkem Kontrast zu seinen Zartbitter-farbenen Augen steht. Er ist hübsch.

»Ms Clues?« Ich nicke bestätigend. Seine Stimme ist genau so warm wie sein Lächeln. Hat wohl einen Grund, warum die ausgerechnet den zu mir geschickt haben. Wahrscheinlich denken die, dass das hilft, ein nettes Gesicht zu sehen, weil ich traumatisiert bin. Unrecht haben sie nicht ganz. Es tut tatsächlich ganz gut, sich zumindest ein wenig umsorgt zu fühlen. Hauptsächlich geht's dem Typen natürlich darum, Informationen von mir zu bekommen, ist klar.

»Ich bin Officer Grant. Wie fühlen Sie sich im Moment?«, will er wissen, die Stirn gerunzelt. Ich seufze. »Nicht besonders gut, Officer.« Er verzieht entschuldigend den Mund. »War vermutlich auch nicht die beste Frage. Die Vorschrift sagt bei uns, dass wir Ihren seelischen Zustand ›ertasten‹ sollen.« Er malt Anführungszeichen in die Luft mit seinen Fingern. »Könnte man vielleicht auch feinfühliger anstellen. Ich bin noch relativ neu hier.« Er zuckt die Schultern. Irgendwie ist der junge Polizist mir sympathisch.

Ich winke leicht lächelnd ab. »Schwamm drüber. Die Intention war eine gute.« Er nickt bekräftigend. »Das ist allerdings wahr.«

Als er einen kleinen Ringblock aus seiner hinteren Hosentasche holt, hätte ich fast laut aufgelacht. Grant entgeht mein Blick nicht und er schmunzelt. »Ich weiß, das ist bisschen oldschool, aber mit Stift und Papier kann ich meine Gedanken einfach besser ordnen, als wenn ich auf einem Bildschirm herumtippe.«

»Kann ich schon verstehen. Ich besitze zum Beispiel auch kein Handy«, entgegne ich. Seine dunklen Brauen schießen in die Höhe. »Ach, echt? Und wie könnte ich Sie denn dann erreichen, wenn –« Er unterbricht sich peinlich berührt und räuspert sich knapp mit glühenden Wangen. »Also, für polizeiliche Zwecke natürlich.«

Mir gefällt die Vorstellung, ihn ein wenig aufzuziehen. Doch ich unterlasse es, da ich erstens, nicht in der Stimmung dazu bin und zweitens, es wohl kaum angebracht wäre in Anbetracht der Tatsache, dass ich meine Chefin noch vor einer halben Stunde tot und verstümmelt in ihrem Garten aufgefunden habe.

»Wenn es Ihnen passt, kann ich dem Revier meine vorläufige Adresse und eine Festnetznummer hinterlassen.«

»Das wäre perfekt, vielen Dank. Und...« Er scheint zu zögern. Ich warte geduldig, bis er weiterspricht. Als er dies tut, meidet er meinen Blick. »Falls Sie psychologische Betreuung in Anspruch nehmen wollen, kann das Revier Ihnen eine Therapeutin für einige Sitzungen zur Verfügung stellen.«

Ich halte mich gerade noch davon ab, die Augen zu verdrehen. Also echt, aus was für einem weichem Holz sind die Leute hier eigentlich geschnitzt? Klar war es schrecklich Berta so vorzufinden, aber deshalb werde ich doch nicht gleich zum Wrack.

»Ich werde vielleicht darauf zurückkommen, danke«, antworte ich unverbindlich lächelnd. Officer Grant zwinkert freundlich, dann deutet er hinter sich zum Geschehen. »Ich muss bedauerlicherweise wieder zurück.« Er kramt etwas aus seiner Brusttasche und hält es mir hin. Eine Visitenkarte. »Wenn Sie mich kontaktieren wollen, sind auf dem Wisch einige Optionen, mit denen Sie das tun könnten«, witzelt er. »Wobei das mit dem Fax etwas schwierig werden könnte. Das Gerät in meinem Büro ist kaputt. Aber ich gehe sowieso davon aus, dass Sie kein Fax besitzen, oder?«

Entweder dieser Mann besitzt von Natur aus eine so aufgekratzte Persönlichkeit, oder ich mache ihn nervös. Letzteres gefällt mir, wie ich zugeben muss. Ich schenke ihm das schönste Lächeln, zu welchem ich fähig bin, und antworte: »Ein Fax habe ich tatsächlich nicht, aber vielen Dank für die Karte. Ich werde sicherlich einen anderen Weg finden, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen.« Als ich meinen Worten noch ein Zwinkern folgen lasse, wird er rosa um die Nase. »Das freut mich. Nun... alles Gute. Bis demnächst«, stammelt er und wendet sich ab. »Bis dann«, rufe ich ihm hinterher.

...

Als ich zu Hause ankomme, ist St. John zu meiner Überraschung da. Ich runzele die Stirn. »Musst du nicht arbeiten?« Er schüttelt müde den Kopf und winkt ab. »Ich habe Shauna einspringen lassen. Wie geht es dir?«

»Wie soll es mir gehen?«, frage ich unbeeindruckt.

Er sieht mich an, als versuche er herauszufinden, ob ich ihn auf den Arm nehmen will. »In Anbetracht der Tatsache, dass du scheinbar deine Chefin tot und verunstaltet gefunden hast, ist die Frage jetzt nicht so unberechtigt.« Es wundert mich nicht, dass sich das bereits zu ihm herumgesprochen hat. Scheint, als würde der Flurfunk in Salten Flags ganz ausgezeichnet funktionieren.

Ich zucke die Schultern. »Klar war das scheiße, aber ich habe nicht vor, in nächster Zeit zusammenzubrechen. Bist du extra wegen mir aus dem Laden?«

Er schürzt missbilligend die Lippen bevor er antwortet: »Um ehrlich zu sein: ja. Ein bisschen Dankbarkeit täte dir auch nicht weh.«

»Ich habe dich nicht darum gebeten.«

»Ich denke, Mitbewohner machen sowas füreinander – nicht?«

»Vielleicht wenn sie befreundet sind«, entgegne ich und er schnaubt. »Stimmt, du hast recht – das sind wir nicht. Trotzdem, wenn du reden willst... jetzt bin ich ja schon hier.«

Ich nicke. »Zur Kenntnis genommen.«

Zurück in meinem Zimmer, lasse ich mich auf meiner Bettkante nieder. Diese nahezu schmucklosen vier Wände kombiniert mit Ruhe und der Tatsache, dass ich allein bin, lassen es zu, dass ich nachdenken kann.

Alles ging so verdammt schnell. Ich schüttle den Kopf, nachdem ich einen Blick auf die Uhrzeit erhascht habe. Unglaublich, es ist tatsächlich erst eine Stunde her, dass ich Berta gefunden habe...

Warum musste sie sterben? Wer könnte sie umgebracht haben...?

Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

Sage.

Natürlich. Wie konnte ich auch nicht sofort an sie denken, als ich meine ehemalige Chefin so zugerichtet fand? Sie muss es einfach gewesen sein. Es würde so gut passen. Sie wird gemerkt haben, dass St. John und ich anfangen wollten, in Bertas Kopf herumzuwühlen um Anhaltspunkte über Sage  und damit ihren Aufenthalt zu finden... auch wenn Berta davon ausging, dass ich Sage bin. Schon dass ich im Supermarkt angefangen habe, muss meiner Doppelgängerin gewaltig quer gelegen haben. Ein leichter Stich an Schuldgefühlen macht sich in meinem Bauch bemerkbar, doch ich wische ihn beiseite. Es bringt nichts, mir die Schuld dafür zu geben. Immerhin war nicht ich diejenige, die Berta diese Gartenschere ins Gesicht gerammt hat.

Ich lache freudlos auf. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde glauben, dass ich in Salten Flags weniger Drama als in meiner Heimat finden würde?

...

Heftig oder heftig? 🤡🆘

Queen Of LungsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt