Prolog

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Triggerwarnung: Gewalt

Ein einzelner Sonnenstrahl drang durch die dunkelgrünen Samtvorhänge des Salons und kitzelte das zwölfjährige Mädchen an der Nase. Sie rümpfte ihre Nase und versuchte angestrengt, nicht zu niesen, allerdings blieben ihre Versuche erfolglos. Ein leises, vornehmes Chi! entwich ihr und sofort sah sie schuldbewusst zu ihren Eltern auf.

Ihre Mutter sah sie missbilligend an. „Benimm dich ja, Melusine. Wehe wir bekommen auch nur eine einzige Beschwerde zu hören, dann schicken wir dich wieder zu deiner Großmutter Althaia nach Griechenland!“ Ihre Mutter sah sie streng an.

„Oui, maman.“ Sie wollte sich unter keinen Umständen die Chance entgehen lassen, eine richtige, öffentliche Schule zu besuchen.

„Antworte in vernünftigen Sätzen, wenn deine Mutter mit dir spricht, Melusine!“, donnerte ihr Vater.

„Entschuldige, Mutter. Ich werde mich benehmen“, antwortete das Mädchen.

„Das solltest du besser auch. Wir können uns kein ungezogenes Gör als Tochter leisten.“ Die Frau mit der eleganten Hochsteckfrisur legte sich aufgebracht eine Hand an die Stirn.

„Beruhige dich, Bastiane. Die Aufregung tut dir nicht gut.“ Die Stimme des Hausherrn klang beinah sanft, während er mit seiner Frau sprach. „Vivie!“, rief er laut nach seiner Hauselfe.

Sekunden später tauchte diese mit einem leisen Ploppen im Salon des Anwesens auf. „Ja, Monsieur Marquis du Saturne? Was kann Vivie tun?“, fragte die Hauselfe untertänig und verbeugte sich vor ihrem Herrn.

Der Markgraf Bernard du Saturne betrachtete das kleine Wesen mit den großen Ohren nur mit einem abschätzigen Blick und befahl ihr, das Gepäck von Melusine in die Eingangshalle zu bringen und vorher nach dem Chauffeur zu schicken, der seine Tochter abholen solle. „Aber zuerst bringst du meine Gattin nach oben in ihre Gemächer. Sag Mimie, dass sie Bastiane umsorgen soll, es darf ihr an nichts mangeln! Und jetzt geh!“, herrschte er die Elfe an.

„Merci chéri“, lächelte die Herrin des Hauses, aber nicht ohne den Unterton in der Stimme ihres Mannes zu bemerken, und ließ sich dann von Vivie in das obere Stockwerk führen.

Als Beide weder zu sehen, noch zu hören waren, wandte sich das Familienoberhaupt seiner Tochter zu.

Er betrachtete sie einen Moment. Sie war für ihr Alter bereits sehr hübsch. Dunkelbraunes, volles Haar, das ihr bis auf die Brust reichte, grüne Augen und eine leicht olivfarbene Haut. Ihre griechischen Wurzeln waren unverkennbar. Sie ähnelte ihre Mutter, doch war es ihre Großmutter, deren Abbild sie war. Denn die Haare seiner Frau waren tiefschwarz und fielen ihr glatt bin auf die Taille.

Wenn seine Tochter erst perfekt erzogen war, gäbe sie eine ehrbare Mademoiselle ab. Eine Ehe ließe sich dann leicht arrangieren.

Melusine begann sich unruhig unter dem stechenden Blick ihres Vaters zu winden. Je länger er sie nachdenklich musterte, desto weniger konnte sie die unbekümmerte Maske, die man ihr antrainiert hatte, aufrechterhalten. Sie wusste, wenn er ihre Mutter wegschickte, wollte er mit ihr reden und das verhieß meist nichts Gutes.

„Melusine“, richtete er endlich das Wort direkt an sie und Melusine hätte beinah erleichtert aufgeseufzt, „Du bist die einzig übriggebliebene Erbin unserer ehrenvollen Familie und ich erwarte von dir, dass du dich dieser Position als würdig erweist. In Beauxbatons wird man dich zu einer vortrefflichen jungen Dame ausbilden und du wirst die Schule mit Bestnoten abschließen. Das ist deine Aufgabe. Werde eine würdige Vertreterin der Familie du Saturne! Wenn du alt genug bist, werden wir dich verheiraten. Du wirst eine ehrbare Ehefrau werden, deinem Ehemann gehorsam sein, ihm Kinder gebären und stets zur Seite stehen!
Am geeignetsten erscheint mir dein Großcousin Clèremont. Durch eine Heirat mit ihm wäre es zulässig, den Namen der Familie zu erhalten. Aber wir werden sehen. Hast du das verstanden?“

Mit diesem Satz war er einen Schritt auf Melusine zu getreten und hatte ihr Kinn mit festem Griff umfasst. Sein eiskalter Blick schien sie zu durchbohren und schnürte ihr die Kehle zu.

„Oui“, war alles, was sie zustande brachte. Ein Fehler.

Wütend kniff ihr Vater die Augen zusammen. „Du sollst in vernünftigen Sätzen sprechen, du freches Gör!“, knurrte er und schlug ihr mit der flachen Hand auf die Wange.

Es brannte fürchterlich und als Melusine sich an ihre rechte Wange fasste, fühlte sie blutige Striemen, die die zwei Ringe an der Hand ihres Vaters hinterlassen hatten. Sie schluckte und wagte es nicht, zur ihrem Vater aufzusehen.

Doch das machte ihn nur noch wütender. „Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!“, schrie er und schlug ihr erneut ins Gesicht, diesmal auf die andere Wange.

„Ja, Vater. Ich habe verstanden“, antwortete sie zitternd und hob ihren Kopf. Selten war ihr Vater so wütend auf sie oder benahm sich ihr gegenüber so unbeherrscht. Melusine verstand nicht, mit welchem Fehlverhalten sie diesen Ausbruch verdiente.

„Enttäusche mich nicht oder es wird dich teuer zu stehen kommen. Und jetzt verschwinde endlich, dein Gesicht sieht unmöglich aus!“, fuhr er sich an und stieß sich an der Schulter zurück.

Melusine taumelte und versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, während ihr die ersten Tränen über die Wange liefen. „Natürlich, Vater.“

„Und hör auf zu heulen, du bist doch kein Kleinkind! Eine du Saturne ist stolz und stark. Sei kein Schwächling!“

Mit diesen Worten warf er sie förmlich aus dem Salon. Melusine flüchtet in ihr Zimmer, nahm ihre Handtasche und ließ sich von Laurie, ihrer persönlichen Hauselfe, das Gesicht reinigen und zurechtmachen. Kaum war sie fertig, klopfte es an der Tür und Vivie trat ein. „Ihr Chauffeur wartet bereits, Mademoiselle du Saturne“, piepste sie.

„Ich bin soweit, vielen Dank.“

Als Melusine in die Kutsche stieg und sich auf einem dunkelgrünen Polster niederließ, bereute sie es, sich nicht mehr bei Madame Dubois, der freundlichen Gärtnerin, verabschiedet zu haben. Noch mehr bereut hätte sie es, wenn sie gewusst hätte, dass sie die liebenswerte Dame für die längste Zeit gesehen und mit ihr unbeschwert gelacht hatte.

Die Landschaft zog an Melusine vorbei, während sie teilnahmslos aus dem Fenster starrte. Sie vermisste ihre Großmutter Althaia und ihr geliebtes Griechenland und am liebsten hätte sie noch mehr Zeit dort verbracht, aber nach Beauxbatons zu gehen, hatte sie sich schon immer gewünscht.

Melusine seufzte und betrachtet ihre Hände. Klein und zart, schlanke Finger, perfekt manikürte Fingernägel und ein filigraner Ring in Form einer grüngeschuppten Schlange, die sich um ihren Mittelfinger ringelte.

Müde lehnte sich sich zurück, schloss die Augen und dachte an die Auseinandersetzung mit ihrem Vater im Salon zurück und daran, dass dies das erste Mal gewesen war, dass sie ernsthaft an ihrer Familie gezweifelt hatte.

»Eine du Saturne ist stolz und stark. Sei kein Schwächling!«

Medusa | Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt