Kapitel 3

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„Kann mir jemand die Zauberformel nennen, mit der man Gegenstände schweben lässt?“ Fragend blickte Professeur Bordeaux in die Klasse. „Niemand? Ich bin mir sicher, dass einer von Ihnen die richtige Antwort kennt. Trauen Sie sich einfach.“

Melusine hob die Hand und fragte sich im Stillen, warum sie zum wiederholten Mal die Einzige war, die Professeur Bordeaux die Lösung nennen konnte. Schließlich waren alle grundlegenden Formeln doch in ihrem Schulbuch für Zauberkunst zu finden. Man musste bloß sein Buch auf der ersten Seite des nächsten Themas aufschlagen und bekam die Formel direkt präsentiert. Waren ihre Klassenkameraden einfach alle schrecklich faul, dass sie nicht einmal eine Seite weiter blättern konnten? Es mangelt ihnen also an Fleiß und Arbeitswillen. Umso leichter wird es für mich, am Ende des Schuljahres die besten Noten zu erhalten. Mit etwas Glück sieht es bei den Jungen ähnlich aus.

„Sonst keiner? Nun gut, Melusine, bitte sagen Sie die Formel auf.“

„Für den Schwebezauber benötigt man neben der richtigen Zauberstabbewegung“, sie machte die Bewegung vor, „Auch eine Formel. Diese lautet Wingardium Leviosa. Dabei ist es von großer Wichtigkeit, dass man sie korrekt betont, damit der Zauber wie gewünscht funktioniert.“

„Très bien. Können Sie uns den Zauber vorführen?“

„Selbstverständlich.“ Melusine griff nach ihren Zauberstab und betrachtete eine Sekunde das dunkle Holz. Es war afrikanisches Wengé-Holz, kaffeebraun, hart und schwer, aber elastisch, wunderschön und sehr edel.

Sie stand auf, hob ihren Zauberstab und führte einen perfekten Schwebezauber aus. Die kleine Abraxanerfeder schwebte elegant durchs Klassenzimmer und landete schließlich wieder auf dem Tisch vor ihr. Ein anerkennendes Raunen ging durch die Klasse.

„Ausgezeichnet.“ Professeur Bordeaux strahlte. „Bitte üben Sie nun den Zauber. Melusine, Sie unterstützen bitte Ihre Mitschüler. Als Hausaufgabe üben Sie weiter und lesen die erste Doppelseite in ihrem Schulbuch zum Thema Schwebezauber. Viel Erfolg.“

„Ach, Melusine, wie machst du das bloß?“, wollte Florence verzweifelt wissen, als ihre Feder bereits beim dritten Versuch in Flammen aufging.

„Ich verbringe mehr Zeit mit Lernen und weniger damit, Abraxaner zu streicheln“, gab sie leicht arrogant zurück.

„Aber das sind doch so wundervolle Tiere!“

„Sie bleiben auch noch wundervoll, wenn du sie nur einmal in der Woche besuchst und nicht jeden Tag gleich drei Stunden bei ihnen verbringst.“ In den letzten drei Wochen vertrieb sich Florence mit einigen anderen Schüler oft die Zeit auf den Weiden der Abraxaner und ließ sich an solchen Tagen kaum mehr blicken.

„Aber sie freuen sich immer so auf mich!“

„Sie freuen sich auf die Leckerlis, die du mit dir herum trägst.“

„Das stimmt überhaupt nicht! Die Abraxaner brauchen menschliche Zuwendung!“

„Ach was“, Melusine machte eine wegwerfende Handbewegung, „Sie sind froh, wenn sie Ruhe vor nervigen Patschehändchen haben. Außerdem gibt es andere, wie zum Beispiel der Professeur für Studie magischer Tierwesen, die für die Pflege der Abraxaner zuständig sind. Du solltest dich lieber auf den Unterricht konzentrieren.“

„Genau, Florence, du solltest wenigstens in der Schule annehmbare Noten erhalten, wenn du deine Eltern nicht völlig enttäuschen willst!“ Élodie hatte sich mit einem fiesen Lächeln zu den beiden Mädchen umgedreht.

„Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Élodie!“, fauchte Florence.

„Sei doch nicht gleich so bissig. Wenn du nett fragst, leihe ich dir vielleicht einmal meine Feder, damit du weiter üben kannst. Deine ist ja leider nicht mehr zu gebrauchen.“

Florence bebte vor Wut.

„Das ist in der Tat bedauerlich, meine liebe Florence. Hier haben Sie eine neue Feder. Seien Sie diesmal vorsichtiger.“ Professeur Bordeaux reichte der nun beschämt dreinblickenden Florence eine neue Abraxanerfeder, die sich daraufhin hastig bedankte.

„Vielleicht kann Ihnen Élodie ein wenig helfen. Melusine ist ja gerade beschäftigt.“ Mit diesen Worten wandte Professeur Bordeaux sich an die nächste Schülerin und ließ eine geschockte Florence, die mit Entsetzen feststellte, dass ihre neugewonnene Freundin sie tatsächlich im Stich gelassen hatte, und eine triumphierende Élodie zurück.

„Schau her, ich zeige dir, wie es richtig geht“, sagte Élodie wichtigtuerisch und ließ ihre Feder gekonnt einen Meter über dem Tisch fliegen. „Sieh zu und lerne.“

Belustigt beobachtete Melusine das Schauspiel einige Tische entfernt und entschied sich kurzerhand dazu, Florence zu helfen. Als Élodie zu einer Schleife ansetzte, hob Melusine unauffällig ihren Zauberstab. Ein einfaches Schnippen genügte, um Élodies Feder in Brand zu stecken. Sie verbrannte lichterloh und ihre Asche rieselte direkt auf Élodies blonde Haarpracht hinab.

Das schmächtige Mädchen, dem Melusine gerade erfolgreich besagten Schwebezauber beigebracht hatte, starrte sie mit offenem Mund an. Sie war die Einzige, die Melusines Eingreifen bemerkt hatte. „Wehe, du sagst auch nur einen Ton“, drohte sie der Kleinen und richtete ihren Zauberstab direkt auf deren Brust, „Dann wird es dir leidtun. Hast du das verstanden?“

Mit angstvoll aufgerissenen Augen nickte das Mädchen.

„Gut.“ Zufrieden drehte sich Melusine wieder um und genoss das Spektakel.

Élodie schrie wie am Spieß und Professeur Bordeaux hatte ihre liebe Mühe, sie wieder zu beruhigen. Das Ende vom Lied war, dass sowohl Élodie, als auch Florence nach der Unterrichtsstunde, die für die Erstklässlerinnen eigentlich die letzte für diesen Tag gewesen wäre, zum Üben da bleiben sollten.

Als Professeur Bordeaux die Stunde beendete, alle Schülerinnen ihre Unterlagen in ihre Schultaschen einräumten und dabei miteinander tuschelten, wandte sich Florence wütend zu Melusine, die seelenruhig ihre Tasche schulterte. Offensichtlich war ihr nicht entgangen, wer für die brennende Feder verantwortlich war.

„Ist das dein Ernst?! Wegen dir muss ich jetzt noch mindestens eine Dreiviertelstunde hier bleiben!“, empörte sie sich flüsternd.

„Wie bitte?!“ Melusine trat einen Schritt auf sie zu, sodass die Gesichter nur noch wenige Zentimeter trennten. Ihr schraubstockartiger Griff um Florence’ Schulter, hinderte diese daran, zurückzuweichen. „Ich habe dafür gesorgt, dass Élodie bestraft wird und du die Chance bekommst, den Zauber einigermaßen zu erlernen, damit du nächstes Mal nicht wie ein unfähiges Schlammblut dastehst! Du solltest mir dankbar sein, Florence.“

Sie ließ Florence los und rauschte aus dem Klassenzimmer.

In ihrem Schlafsaal angekommen, packte sie Briefpapier und zwei Umschläge ein und begab sich dann in den ersten Stock. Leise betrat Melusine die Bibliothek und grüßte den Bibliothekar mit einem freundlichen Lächeln. Sie steuerte ihren Stammplatz an einem der hinteren Tische an und ließ sich elegant auf dem gepolsterten Sessel nieder.

Cher père,
chère mère,

Beauxbatons ist eine gute Schule, wenn man davon absieht, dass auch solchen Schülern ohne reines Blut der Schulbesuch gestattet ist Der Schulstoff bereitet mir keine Mühe und ich habe Bekanntschaft mit einigen Adelskindern gemacht.

Melusine schrieb noch eine Weile weiter, bis sie schließlich ihren Brief beendete, ihn zusammenfaltete und sorgsam in den mitgebrachten Umschlag steckte. Sie griff nach einem neuen Bogen Briefpapier, um an ihre Großmutter Althaia zu schreiben.

Chère mamie,
Αγαπητή γιαιγά,

Beauxbatons est fantastique!

...

Medusa | Fred WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt